Herzblut. Michaela Neumann

Herzblut - Michaela Neumann


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kannst.«

      »Hoffentlich.«

      Logan räusperte sich.

      »Oh, stimmt«, stotterte James und fuhr sich mit der Hand verwirrt durch das Haar, er war wohl noch halb in Gedanken bei den Fallakten.

      »Logan, das ist Dr. O’Reilly. Dr. O‘Reilly, das ist mein Bruder Logan Reynolds.«

      »Bitte nennen Sie mich Hope«, sagte sie lächelnd und streckte Logan die Hand entgegen. »Der Doktortitel lässt mich so alt wirken.«

      »Es freut mich, Sie kennen zu lernen«, sagte Logan.

      »James hat mir schon sehr viel von Ihnen erzählt.«

      »Hoffentlich nur Gutes.« Logan schmunzelte verlegen. »Kommen Sie aus Irland? Ich meine, wegen Ihres Nachnamens.«

      »Nein. Aus London. Aber mein Urgroßvater war irischer Abstammung. Daher der Name.«

      Logan hielt ihre Hand noch immer. Erst jetzt fiel ihm das leise Knurren des Rottweilers auf. Hope lächelte Logan an, entzog ihm seine Hand und schnipste einmal mit den Fingern. Der Hund war sofort still.

      »Was ist passiert?«, fragte sie nun James.

      James deutete auf den Stuhl neben Logan. Er wirkte auf Logan deutlich entspannter als am Tatort. Vermutlich lag das an Hopes Ausstrahlung. Irgendwie fühlte man sich sofort wohl in ihrer Umgebung. Doch nahm noch mehr wahr. Den Geruch von Vanille und Früchte – sie roch nach Sommer.

      »Bevor ich anfange, ich habe beschlossen, meine Informationen mit Logan zu teilen. Ich habe bei Bobby bereits einen Antrag eingereicht, dass mein Bruder uns bei den Ermittlungen als Berater unterstützen darf.«

      Der Sinneswandel überraschte Logan und zugleich freute er ihn. Hope nickte zustimmend und nahm neben Logan Platz.

      »Heute Morgen wurde eine Leiche im Boston Public Garden gefunden«, erklärt James Hope auf. »Die Frau war zwischen 20 und 25 Jahren alt und am Körper fanden sich Spuren von Folter. Ob sie sexuell missbraucht wurde, wissen wir erst, wenn Dr. Murphy fertig ist. Die Todesursache ist aller Wahrscheinlichkeit ein hypovolämischer Schock. So wie es aussieht, wurde die Pulsader mit den Zähnen rausgerissen. Dr. Murphy nimmt einen Zahnabdruck, um herauszufinden, ob sie es selbst getan hat oder der Täter. Es müssen unerträgliche Schmerzen gewesen sein. An ihrem Hals befanden sich mehrere Einstichstellen, vermutlich von Drogen, die sie gefügig machen sollten. Wir haben auf ihrem rechten Schulterblatt die eingebrannten Initialen MB gefunden. Und in ihrem Mund haben wir diesen Zettel gefunden.« James legte einen, in einer Beweismitteltüte verpackten, blutverschmierten Zettel auf den Schreibtisch. Hope griff danach und betrachtete den Fetzen genau.

      »Ich bin zurück«, las sie laut vor. Danach schaute sie James an. »Wie ist das möglich? Das kann ja nur bedeuten, dass ihn irgendwer freigelassen oder er einen Komplizen hat.«

      James nickte. »Ich habe gerade mit der Klinik telefoniert. Boyed sitzt ruhig und friedlich in seinem Zimmer. Wir müssen mit ihm sprechen. Und hier kommst du ins Spiel. Er mag dich. Du erinnerst ihn an seine verstorbene Tochter. Vielleicht kannst du ihm ein Detail entlocken.«

      Hopes Magen zog sich zusammen. Sie hatte gehofft, nie wieder mit Boyed sprechen zu müssen. Sie hatte gemischte Gefühle, wenn sie in seiner Nähe war. Er konnte ihre Stimmung deuten und nach einer geraumen Zeit würde sie ihm wahrscheinlich alles erzählen.

      »Ich werde mich sofort auf den Weg machen«, sagte sie trotz all ihres Abers.

      »Wir werden dich natürlich begleiten und vor der Tür warten. Brauchst du noch Zeit, um dich auf das Gespräch vorzubereiten?«

      Sie winkte ab und sagte: »Der Fall ist mir präsenter, als es mir lieb wäre. Ich hole noch meine alten Unterlagen, dann treffen wir uns im St. Elisabeths. Hast du einen Termin mit seiner Psychiaterin gemacht?«

      »Ja, sie wissen Bescheid.«

      Hope nickte und verließ den Raum. Dexter folgte ihr dicht auf den Fersen. Die Gespräche im Großraumbüro verstummten dieses Mal nicht völlig, als Hope an den Kollegen vorbei Richtung Ausgang ging. Logan bemerkte aber, dass sie deutlich leiser wurden.

      »Warum reagieren die Leute da draußen so auf Hope?«

      »Sie hatte damals den maßgeblichen Hinweis im Fall Boyed geliefert, obwohl sie offiziell gar kein Teil der Ermittlung war. Die Medien haben sie in den Himmel hinauf gelobt. Ich erinnere mich noch sehr gut an die Schlagzeile: Junge attraktive Kriminalpsychologin lässt die Polizisten des Boston Police Departement im Abseits stehen. Die Kollegen sind einfach nur neidisch und hegen einen gewissen Groll gegen Hope, weil sie sie unbewusst bloßgestellt hatte. Und ihr Hang zu knurrenden Monstern macht die Sache nicht leichter. Also, ich spreche von Dexter. Der hasst Männer. Anfangs habe ich mir fast in die Hosen gemacht, wenn sie mit ihm ankam. Jedes Mal hatder mich angeknurrt. Aber jetzt, wo er weiß, dass ich nett zu seinem Frauchen bin, sind wir die besten Freunde. Zumindest empfinde ich das so.«

      James hielt inne und fixierte Logan. »Tu mir den Gefallen und lass die Finger von ihr. Sie ist kein Spielzeug.«

      Es fühlte sich an wie ein Schlag in die Magenhöhle, aber Logan musste sich eingestehen, dass James recht hatte. Logan hatte kein Bedürfnis nach festen und echten Beziehungen. Dafür war das Leben zu kurz und es gab so viel, dass man genießen konnte. Und es gab viele Frauen, die auch auf das Abenteuer standen, das er ihnen versprach.

      Hope war aber keine von ihnen. Sie war wie ein Rätsel, dass man nie entschlüsseln konnte, wenn sie es nicht wollte. Und trotzdem gab sie einem das Gefühl, als würde man sich schon seit Ewigkeiten kennen. Logan war fasziniert von ihrer Persönlichkeit, von der er nur einen Bruchteil kannte. Ein lautes Knallen holte Logan aus seinen Gedanken. James klatschte vor seinem Gesicht mit den Händen. Er schüttelte den Kopf und lachte laut.

      »Warst du gerade gedanklich im Schlafzimmer?«, scherzte er.

      »Nein, ich dachte gerade an den Fall. Wieso ist die Beziehung zwischen O’Reilly und Boyed so besonders?«

      »Boyeds Tochter wurde, als sie 25 Jahre alt war, von fünf Mitstudentinnen gemobbt und gestalkt. So lange, bis sie es nicht mehr ertragen konnte und Selbstmord beging. Boyed kam nie darüber hinweg. Wie sollte man das auch jemals vergessen können? Auf jeden Fall war seine Tochter gerade dabei, Psychologie zu studieren. Offenbar erinnert ihn Hope an seine Tochter. Er sagte immer, seine Tochter war genauso hübsch, ehrgeizig und klug wie sie. Zugegeben: Hope ähnelt seiner Tochter sogar ein bisschen.«

      »Und wo haben sich Boyed und Hope kennengelernt? Wie kam es dazu?«, wollte Logan wissen.

      »Hope war bei einer Pressekonferenz in ihrer Funktion als beratende Kriminalpsychologin dabei. Boyed hatte sie im Fernsehen gesehen – seitdem schrieb er ihr. Er beschrieb sich selbst in den Briefen und gab ihr Rätsel, die sie lösen sollte. Ein Rätsel war, wo wir das nächste und schlussendlich letzte Opfer finden würden. Es war so, als wollte er, dass wir ihn aufhalten. Nur deswegen konnten wir die junge Frau retten, weil wir mit Hope das Rätsel aus dem letzten Brief schnell lösen konnten. Ohne diesen Tipp wäre das Mädchen tot gewesen.«

      »Verstehe«, sagte Logan.

      »Boyed spricht nur mit Hope.« James klopfte Logan auf die Schulter. »Du brauchst es also gar nicht erst versuchen, mit ihm zu sprechen. Er wird dich ignorieren, genauso wie er mich ignoriert. Wir tun gut daran, vor der Tür zu warten.«

      »Aber es wird jemand vom Sicherheitspersonal der Anstalt mit beim Gespräch dabei sein, oder?«

      »Boyed hatte sich geweigert unter Aufsicht mit Hope zu reden und Hope hat dem zugestimmt. Er ist gefährlich und unberechenbar, aber er mag sie. Ich würde sie nicht zu ihm lassen, wenn ich anderer Meinung wäre. Du wirst es selbst sehen, wenn wir dort sind.«

      Logan sah seinem kleinen Bruder an, dass er nicht komplett überzeugt war, dass auch er sich Sorgen um Hope machte. Logan kam nicht dazu, weiter mit James darüber zu sprechen, denn James` Smartphone klingelte und er ging ran.

      »Dr. Murphy hat etwas für uns«, sagte James, nachdem er das Gespräch


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