Herzblut. Michaela Neumann

Herzblut - Michaela Neumann


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konnte kleine Tränen in seinen Augenwinkeln erkennen.

      »Mr. Boyed.« Sie lehnte sich weiter vor in seine Richtung. »Ich bin mir sicher, dass Sie Gefühle haben.« Hope hätte nie gedacht, ausgerechnet einem Serienmörder ihre eigene Meinung zu offenbaren. Doch es schien ihr, als wäre es richtig.

      »Die Menschen in meiner Umgebung denken das Gleiche über mich«, sagte sie. »Sie verurteilen mich und können mich nicht leiden. Ich weiß, dass ich oft einen schroffen Eindruck hinterlasse.« Es bereitete ihr Unbehagen, etwas Persönliches von sich zu erzählen, aber vielleicht half es, mehr von seinem Vertrauen zu gewinnen. Und ehrlich gesagt, tat es ab und zu gut, die Hüllen fallen zu lassen.

      »Das ist Ihr Job. Wenn Sie nicht hart bleiben, wie soll man Sie dann ernst nehmen? Sie sind eine beeindruckende Frau, genau wie es meine Mary war.« Er hielt inne. Vorsichtig griff er nach Hopes Hand.

      Erst war sie skeptisch und zog sie etwas zurück, ließ es aber dann doch geschehen.

      Boyed drehte ihre Hand und musterte die Innenseite. Eine tiefe Narbe zog sich senkrecht am Handgelenk entlang. Er streichelte vorsichtig mit dem Daumen darüber. Hope ließ ihn nicht mehr aus den Augen und fixierte ihn.

      »Woher wussten Sie …?«

      »Ich sagte doch bereits, Sie sind genau wie meine Mary. Diesen Ausdruck in Ihren Augen kenne ich nur zu gut.«

      »Ich bin nicht, ich lebe noch.«

      »Dann waren Sie offensichtlich stärker, als sie es damals war«, sagte er traurig und ließ Hopes Hand wieder los. »Sie sind nicht zum Smalltalk mit einem Mörder gekommen, nicht wahr?«

      Hope faltete die Hände im Schoß. »Das ist richtig Mr. Boyed. Heute Morgen wurde eine Leiche im Boston Public Garden gefunden.« Sie wartete eine Reaktion ab. Es passierte nichts. »Das Opfer ist Jenny Blake. Sagt Ihnen dieser Name etwas?«

      »Nein.«

      »Sie war erst 24 Jahre jung. Hatte noch das ganze Leben vor sich. Sie studierte Medizin. Sie wollte Kinderärztin ...«

      »Schöne Geschichte«, unterbrach Boyed.

      »Auf ihrem Schulterblatt wurden Ihre Initialen, MB, eingebrannt.«

      »Worauf wollen Sie hinaus? Denken Sie, ich hätte etwas damit zu tun, nur weil jemand die gleichen Initialen hat, wie ich? Wie sollte ich das machen?« Seine Atmung wurde schneller.

      Hope zuckte leicht mit den Schultern. »Jenny wurde auf die gleiche Art und Weise getötet wie Ihre Opfer.« Sie nannte das Opfer absichtlich bei dem Vornamen, um eventuell eine Regung in seinem Gesicht zu sehen. Aber da war nichts. »Niemand wusste davon, dass Sie Ihre Opfer gebrandmarkt haben.«

      »Vielleicht ist es ja jemand aus den eigenen Reihen. Haben Sie schon einmal darüber nachgedacht? Vielleicht war es dieser rüpelhafte Lieutenant, der mich hier eingesperrt hat?«

      Sie hielt seinen Blick stand. »Wir haben Ihr Sperma an Jenny gefunden. Können Sie mir erklären, wie diese an das Opfer gelangen konnte?«

      »Denken Sie, ich wäre hier ausgebrochen, hätte jemanden getötet, vergewaltigt, was ich zudem verabscheue, und wäre dann wieder zurück in dieses Höllenloch, damit ich nicht zum zweiten Mal für lebenslänglich verurteilt werde?« Er lachte verächtlich auf.

      Oder wollte er beweisen, dass er zurechnungsfähig war, um endlich hier rauszukommen, dachte Hope.

      »Vielleicht haben Sie einen Komplizen in der Klinik, der Ihnen alle Türen öffnet, damit Sie weiter töten können, um Ihren Drang zu befriedigen«, sagte sie. »Sie haben schließlich nichts zu verlieren.«

      »Ich dachte, Sie verstehen mich. Sie wissen genauso gut wie ich, dass ich keinen Drang habe zu töten. Ich hatte eine Mission und diese habe ich erfüllt. Ich habe Sie sogar darum gebeten, mich aufzuhalten! Wieso kommen Sie hierher, unterstellen mir diese grausame Tat und das ausgerechnet heute?« Boyed schlug mit der Faust auf den Tisch und erhob sich.

      Hope erschrak, hatte sich aber trotz allem unter Kontrolle und konnte dem Reflex wegzurennen und sich in Sicherheit bringen, widerstehen.

      »Setzen Sie sich wieder, Mr. Boyed. Wir sind noch nicht fertig.« Sie wusste, er würde ihr nichts tun, nicht einmal in diesem Gemütszustand. Doch eines verwirrte sie. Welcher Tag war heute, und wieso brachte genau dieser Tag ihn aus der Fassung? Dann lief Boyed plötzlich zur verschlossenen Tür und hämmerte mit den Fäusten dagegen.

      »Wachen, das Gespräch ist zu Ende. Schafft sie sofort hier raus!«

      Es dauerte nur ein paar Sekunden bevor die Tür aufging und James eintrat. Boyed stellte sich vorbildlich mit gehobenen Händen ans andere Ende des Zimmers, wie es die Regeln in der Anstalt waren, wenn einer der Sicherheitsleute oder Pfleger den Raum betraten. Seine Atmung ging immer noch schnell.

      »Was ist hier los?«, fragte James.

      »Das Gespräch ist zu Ende«, antwortete Hope entrüstet über ihren Fehlschlag und verließ das Zimmer.

      Kaum stand sie auf dem Gang, stürmte Dr. Harson auf sie zu. »Was haben Sie mit meinem Patienten gemacht?«, fauchte sie. Speichel flog bei jedem Wort aus ihrem Mund.

      »Nichts. Ich habe eine normale Unterhaltung mit ihm geführt, bis er die Fassung verloren hat.«

      »Sie haben alles zunichte gemacht. Ich werde es Ihnen verbieten, weiterhin mit meinem Patienten zu sprechen und in irgendeiner Weise Kontakt mit ihm aufzunehmen.«

      »Das werden wir sehen«, entgegnete Hope scharf. Ihre leichte Bestürztheit über Boyeds Ausbruch wurde von einer Sekunde zur anderen von Wut abgelöst.

      Jemand legte ihr eine Hand auf die Schulter. Es war James. Er drängte sich zwischen sie und die keifenden Psychaterin.

      »Alles in Ordnung bei dir?« Er klang besorgt.

      »Ja, alles okay. Danke.«

      James schob Hope in Richtung Treppe. Hope wischte James Hand von ihrer Schulter. »Ich muss kurz an die frische Luft.« Sie lief die Treppe mit schnellen Schritten nach unten. Raus! Sie musste hier raus. Als sie vor die Tür trat, hob Dexter alarmieret den Kopf und stellte die Ohren auf.

      Hope fühlte sich schlecht. Zweifelte an ihrer Beobachtungsgabe, da sie Boyeds Reaktion nicht vorhergesehen hatte. Hatte sie einen Fehler gemacht? Und welcher Tag war heute?

      Sie ging zu ihrem weißen Alfa Romeo Giulia – Dexter folgte ihr. Sollte sie einfach verschwinden, nach Hause fahren? Doch anstatt einzusteigen, lehnte sie sich an die Fahrertür, kramte in der Handtasche und nahm eine Zigarette heraus. Hastig zündete sie sie an und nahm einen tiefen Zug. Dexter drückte sich an ihr Bein.

      Hatte sie etwas Falsches gesagt, das ihr nicht bewusst war? Vielleicht war sie doch nicht so gut in dem Job, wie sie geglaubt hatte, wenn sie sich nicht einmal mehr an ihre eigenen Worte erinnern konnte? Hatte sie nun die Verbindung zu Boyed verloren? Nicht nur, weil Dr. Harson strikt dagegen war, dass sie ihn noch einmal treffen durfte. Vielleicht wollte Boyed das ja gar nicht mehr.

      Hope hörte Schritte auf sich zukommen. Ihr Blick fiel auf ihre Zigarette. Schnell wollte sie sie fallen lassen, doch Logan stand bereits neben ihr.

      »Ich hätte Ihnen gar nicht zugetraut, eine von uns zu sein. Eine Raucherin.« Ein verschmitztes Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus.

      »Es sollte auch keiner wissen und hier auf dem Gelände ist es

      strengstens verboten.«

      »Na, wenn das so ist«, entgegnete er und zündete sich ebenfalls eine Zigarette an.

      »So einer sind Sie also. Sie kämpfen für das Gesetz, aber die Gesetze gelten nicht für Sie.«

      »Nicht ganz. Aber Sie wissen ja, wie das in unseren Berufen ist. Man kann nicht immer die Regeln einhalten, um zu gewinnen. Ein faires Spiel hat man selten. Leider.« Er machte eine kurze Pause. »Möchten Sie mir erzählen, was da drin passiert ist?«

      »Erst


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