Herzblut. Michaela Neumann

Herzblut - Michaela Neumann


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hinter einer halbrunden Theke saß und auf dessen Namensschild Paul stand, wünschte Logan einen guten Morgen und fragte, ob er ihm behilflich sein könne.

      »Ich möchte zu Dr. O’Reilly. Mein Name ist Logan Reynolds.«

      Paul lächelte und tippte etwas in den Computer. Als er wieder aufschaute, sagte er: »Nehmen Sie den Aufzug in die sechste Etage, folgen Sie dem Flur nach rechts. Apartment Nummer 3.«

      Logan bedankte sich und ging zu den Aufzügen hinüber. Im schwach beleuchteten Lift drückte er den Knopf für die sechste Etage und überprüfte seine Haare im Spiegel. Die Fahrstuhltüren öffneten sich mit einem Ruckeln und durchfluteten den Lift mit warmen Licht. Logan trat auf den Flur und sah sich um. Rechts und Apartment Nummer 3, hatte der Portier gesagt.

      Logan folgte dem Gang. Vor der Tür blieb er stehen, rieb die Hände aneinander um sie zu wärmen, bevor er Hope die Hand gab und klopfte. Neben der Tür stand eine Kristallschale mit roten Äpfeln auf einem Holzpodest. Logan nahm sich einen, legte ihn aber dann wieder zurück.

      Das Klicken des Sicherheitsriegels war zu hören und die Tür öffnete sich. Der Duft von Früchten und Vanille strömte ihm in die Nase. Logan fühlte sich sofort geborgen. Ihre Ausstrahlung war so herzlich und ehrlich, dass man für immer bleiben mochte. Dexter drückte den Kopf an Hope vorbei und wedelte mit dem Schwanz. Er machte einen deutlich freundlicheren Eindruck als auf dem Revier und scheinbar sah er Logan nicht als Eindringling an.

      »Guten Morgen.« Hope lächelte und bat ihn herein. »Sie sind früh dran.« Sie trug eine enge Jeans mit einer hellrosa Bluse. Ihr Spitzen-BH zeichnete sich unter dem dünnen Stoff ab.

      Sie gingen ins Wohnzimmer und Logan bot sich ein Ausblick aufs Meer.

      »Ich dachte mir, wir verlegen unser Gespräch in meine Wohnung, wenn es Ihnen nichts ausmacht. Hier habe ich alle Unterlagen und Akten vom Fall M. Boyed.«

      Logan betrachtete die Unterlagen, die sorgfältig auf dem Boden verteilt lagen. Es ergaben ein riesiges Bild aus Papier.

      Dexter warf sich in seinen überdimensionalen Korb und schnaubte.

      »Möchten Sie Tee?«

      »Ein Kaffee wäre mir lieber.«

      »Auch noch Sonderwünsche?« Sie zwinkerte ihm zu.

      »Nur, wenn es Ihnen keine Umstände bereitet.«

      »Milch? Zucker?«

      »Schwarz. Darf ich fragen, warum Sie alles auf dem Boden ausgebreitet haben?«

      »Damit ich einen besseren Überblick habe. Manchmal springen mir so fehlende Zusammenhänge ins Auge.«

      »Interessant«, stellte er fest und umkreiste die Papiere.

      Während Hope sich in die Küche begab, sah sich Logan weiter um. Auf dem Kaminsims entdeckte er eine Fotokollage. Eines der Bilder war verkehrt herum in die Ecke gestellt worden. Es zeigte eine Frau und ein kleines Mädchen. Vermutlich Mutter und Tochter. Das Bild kam ihm merkwürdig bekannt vor.

      Hope kam mit zwei Tassen zurück und reichte ihm eine davon. Sie öffnete die Schiebetür und trat auf den Balkon hinaus. Dexter rührte sich keinen Millimeter, sondern verfolgte sie nur mit den Augen.

      »Kommen Sie?«, fragte Hope.

      Logan folgte ihr hinaus in die kühle Luft. Auf dem großzügigen Balkon befand sich eine Sechs-Sitzer-Rattan-Garnitur in L-Form und ein dazu passender Tisch. Hope deutete ihm, Platz zu nehmen. Er setzte sich ihr gegenüber und schaute über das Balkongeländer. Es ging ziemlich weit runter, nur gut, dass er keine Höhenangst hatte.

      Hope wickelte sich in eine Decke und kramte einen Aschenbecher unter dem Tisch hervor. Logan zog die Zigarettenschachtel aus seiner Jacke und bot Hope eine an. Sie griff danach und suchte ein Feuerzeug. Logan war schneller und hielt ihr seines hin. Sie schob ihre Zigarette in die Flamme, bedankte sich nickend und stieß eine kleine Rauchwolke aus.

      »Eigentlich rauche ich nicht viel. Sie sind kein guter Einfluss, sie stiften mich zum Rauchen an«, witzelte sie.

      »Das tut mir natürlich leid«, sagte er.

      »Dann schießen Sie mal los. Was möchten Sie wissen?«

      »Alles. Von Anfang an.«

      »Das kann etwas dauern.«

      »Ich habe alle Zeit der Welt.«

      »Also gut.« Sie nahm einen Schluck von ihrem Tee. »Vor gut einem Jahr wurde das erste Opfer entdeckt. 24 Jahre, Studentin. Sie wurde in einem Waldstück des Dorchester Parks gefunden. Die junge Frau wurde dort nicht umgebracht, sie wurde platziert und arrangiert. Die Hände lagen verschränkt auf der Brust, als würde sie in einem Sarg liegen. Sie wies einige Folterspuren auf – ihr wurden die Fingernägel ausgerissen, tiefe Schnittwunden zugefügt, Blutergüsse bedeckten ihren ganzen Körper und ein Auge wurde entfernt. Sexuell missbraucht wurde sie nicht, was eine sexuell-motivierte Handlung erstmal ausschloss. Jedoch waren die Verletzungen nicht die Todesursache. Sie starb durch einen Kopfschuss. Man hat Schmauchspuren an ihrer rechten Hand nachgewiesen. Das bedeutete, sie hat sich selbst erschossen. Entweder aus freiem Willen oder sie wurde dazu gezwungen. Fremde DNA wurde nicht gefunden. Es stellte sich heraus, dass das Opfer drei Tage lang als vermisst gemeldet war. Sie war ungefähr seit fünf Stunden tot, als man sie fand. Das heißt, der Täter hielt sie gefangen, folterte sie und stellte das Opfer nach dem Tod der Öffentlichkeit zur Schau. Es wurden keinerlei Hinweise am Tatort gefunden und Zeugenaussagen ergaben auch nichts. Natürlich haben sich einige angebliche Zeugen gemeldet, die sich einfach nur wichtigmachen wollten, aber im Endeffekt nichts half. Als die Gerichtsmedizin die Leiche untersuchte, fanden sie die eingebrannten Buchstaben »MB« auf dem Schulterblatt. Das war ein Anhaltspunkt, jedoch gab es keine Verbindung zum Opfer. Keine Person in ihrem Umfeld, welches akribisch geprüft wurde, hatte diese Initialen oder ließ keinen Anhaltspunkt auf etwas Anderes schließen.

      Gut zwei Wochen später wurde dann eine zweite Leiche gefunden. Die gleichen Folterspuren, die gleiche Aufbahrung der Leiche, das »MB« auf dem Schulterblatt. Nur der Standort und die Todesursache waren anders. Durch einige Tests wurde festgestellt, dass sie an einer Kaliumcyanid-Vergiftung gestorben war. Sie kennen bestimmt Cyanid aus dem zweiten Weltkrieg. Oder aus Filmen wie James Bond. Die Einnahme von Cyanid bewirkt die Blockierung der Sauerstoffbindungsstelle und führt zu einer innerlichen Erstickung. Das heißt, der Sauerstoff kann von den Zellen nicht mehr verwertet werden. Man erstickt. Eine sehr hohe Dosierung kann auch in ein paar Minuten zu einem Herzstillstand führen. Bei einer Atemnot sollte man eigentlich mit bläulichen Verfärbungen der Haut rechnen, jedoch ist das venöse Blut sauerstoffarm, und damit hellrot. Also haben Vergiftete eine rosige Hautfarbe. Zudem kann man einen mandelartigen Geruch feststellen.

      Nach dem zweiten Opfer wurde ich hinzugezogen, da man davon ausging, es könne sich um einen Serienmörder handeln. Durch die Signatur des Mörders schlossen wir darauf, dass er auf sich aufmerksam machen wollte. Wir suchten nach einer Verbindung zwischen den beiden Opfern. Diese war nicht schwer zu finden. Beide besuchten dieselbe Universität und belegten die gleichen Kurse. Sie waren Freundinnen. Das zweite Opfer wurde sogar noch befragt, ob sie etwas über das Verschwinden ihrer Freundin wisse. Wer hätte gedacht, dass sie kurz darauf ebenfalls auf dem Seziertisch landen würde?« Hope nahm einen Zug ihrer Zigarette. »Als ich die Fotos der Leichen genauer betrachtete, wurde mir eins klar: Die Position, in der sie platziert wurden, ließ auf eine gewisse Zuneigung schließen. Die Opfer wurden fürsorglich abgelegt und arrangiert. Es war ein grausames Verbrechen, doch andererseits konnte man auf eine verkehrte Art und Weise Liebe spüren.

      Wir hielten eine Pressekonferenz ab, wobei wir die Details zurückhielten. Danach bekam ich Briefe. Der Täter oder die Täterin, was wir zu diesem Zeitpunkt noch nicht wussten, schrieb mir. Wie sie ja wissen, war das Boyed. Er schrieb, ich wäre ihm sehr vertraut und er möchte seine Sicht der Dinge schildern. Er wäre kein Monster, er müsse es tun, weil die jungen Frauen es verdient und sich ihr Schicksal selbst ausgesucht hätten. Er wollte sich verteidigen und mein Vertrauen gewinnen. Ich schloss aus seinen sehr emotionalen Briefen, dass er nicht immer gewalttätig war, sondern ein


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