Herzblut. Michaela Neumann

Herzblut - Michaela Neumann


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da zu sein, egal, wie sehr ihr die ganze Situation widerstrebte.

      »Ich bitte dich nur um einen einzigen Gefallen.« Hope machte eine Pause und holte tief Luft. »Sag mir die Wahrheit. Was ist gestern Abend passiert?«

      Zoe zögerte. Man konnte ihrem Gesicht ansehen, dass sie um Fassung rang.

      »Es war eine Kurzschlussreaktion. Tom wollte das alles gar nicht. Er wusste selbst nicht, warum er es getan hat.«

      Mehr musste Zoe nicht sagen. Hope wusste auch so, dass Tom wieder handgreiflich geworden war. Sie spürte, wie die Wut ihr das Blut in die Wangen trieb. Am liebsten wäre sie auf der Stelle zu ihm gefahren, um ihm zu drohen und womöglich zu schlagen. Aber sie durfte sich nicht auf das gleiche Niveau herablassen, auch wenn es nur zu logisch wäre. Sie musste jetzt diplomatisch vorgehen und nicht ausrasten.

      »Soll ich dir einen Kühlbeutel bringen?, fragte sie.

      Zoe nickte und zog langsam das ausgeblichene Nachthemd nach oben. Es offenbarte sich ein faustförmiger Bluterguss am Hüftknochen, der sich zwischen den Farben Dunkelviolett und Blau nicht entscheiden konnte. Eine typische Stelle, um Frauen zu schlagen. Es musste dort sein, wo es nicht jeder sehen konnte. Wenn er sie im Gesicht schlägt, was für Tom wahrscheinlich mehr befriedigender wäre, würde man Zoe darauf ansprechen. Natürlich könnte sie es leugnen, doch irgendwann würde man merken, dass da etwas nicht stimmen konnte.

      Zoe sollte sich nicht bedrängt von Hope fühlen. Ihr Zuhause sollte ein Rückzugsort für Zoe sein, zu dem sie jederzeit kommen und wieder gehen konnte. Wenn Hope jetzt das Falsche sagen würde, würde sich Zoe zurückziehen und das Thema »Tom« meiden oder im schlimmsten Fall sogar totschweigen.

      »Zoe … du hast so viele Fälle von häuslicher Gewalt bearbeitet, du kennst das Szenario.«

      »Aber Tom ist nicht wie die anderen. Und ich weiß, dass er mich liebt. Ich bin selbst schuld. Ich hätte ihm einfach sagen müssen, dass ich noch mit einer Freundin einen Kaffee trinken gehe. Er hat sich Sorgen um mich gemacht.«

      Verleumdung. Sich selbst die Schuld dafür geben. Emotionaler Terror. Ein lebendiges Beispiel für die zahlreichen Fachbücher über häusliche Gewalt.

      Zoe war gefangen in dieser Konstellation und würde sich in Zukunft alles von Tom gefallen lassen. Hope wusste mit Sicherheit, dass sie etwas dagegen unternehmen musste, sofern es nicht schon zu spät war.

      »Das ist nicht deine Schuld, Zoe. Sagt Tom dir denn alles und wo er sich gerade aufhält?«

      Zoe‘s Wangen röteten sich vor Scham, den Blick richtete sie auf den Boden und spielte verlegen an ihren Nägeln. Ihre Augen füllen sich mit Tränen.

      »Ich möchte ihm noch eine Chance geben. Wir haben darüber gesprochen, wie sehr er mich verletzt. Er ändert sich, das hat er mir hoch und heilig versprochen«, sagte sie und klang wie ein kleines Kind, dem Süßigkeiten nach dem Zahnarztbesuch zugesichert wurden.

      Ihn darauf hinzuweisen, dass er sie verletzt, brachte überhaupt nichts.

      Hope wiederum versprach sich selbst, sollte Tom noch ein einziges Mal seine Hand Zoe gegenüber erheben, würde sie alles Erdenkliche tun, um ihn aus Zoe‘s Leben verschwinden zu lassen. Koste es, was es wolle. Aber dies behielt sie natürlich für sich.

      »Ich sollte jetzt gehen.« Zoe vermied den Augenkontakt, während sie aufstand, nickte aber. Sie verschwand im Schlafzimmer. Nach wenigen Minuten kam sie angezogen und mit gepackter Tasche wieder heraus.

      »Ruf mich an, wenn du zu Hause bist«, sagte Zoe zum Abschied.

      Dann war Zoe verschwunden.

      Hope schaute durch das Fenster nach draußen. Sie fühlte sich hilflos. Die Welt drehte sich einfach weiter, als wäre nichts passiert.

      Das Smartphone klingelte auf dem Wohnzimmertisch. Sie hatte keine Lust. Auf gar nichts. Nicht mal telefonieren wollte sie. Aber wie so oft siegte schlussendlich die Neugier. Sie schob den Barhocker zurück an die Theke und ging zum Smartphone. Auf dem Display erschien in Großbuchstaben der Name TOM. Das hatte ihr gerade noch gefehlt. Doch sie wollte zu gern wissen, was er ihr zu sagen hatte, also nahm sie ab.

      »Hallo Tom.«

      »Hi Hope.« Seine Nervosität konnte man durchs Telefon spüren. Die Stimme klang hektisch. »Ist Zoe bei dir? Sie war letzte Nacht nicht zu Hause.«

      »Sie war bei mir.«

      »Oh. Ähm. Gut. Wo ist sie jetzt?«

      »Sie ist gerade auf dem Weg nach Hause und will sich mit dir versöhnen.«

      »Ich habe mir solche Sorgen um sie gemacht. Sie ist mein Ein und Alles. Ohne sie bin ich nichts.«

      Das ist wahr, dachte Hope, wagte es aber nicht es laut auszusprechen. Das ließ ihn nur wütend werden und würde zu nichts führen.

      Ihr widerstrebte es mit jeder Faser in ihrem Körper, diesem Aas freundlich gegenüber zu sein. Doch mit dieser Sorte Menschen musste man vorsichtig umgehend, um die Menschen in deren Umgebung zu schützen. Soweit man es eben konnte. »Sei einfach nett zu ihr, Tom.«

      »Natürlich Hope. Vielleicht kommst du mal zum Abendessen und dann können wir die Unannehmlichkeiten vergessen.«

      »Vielleicht«, antwortete sie und legte auf.

      Hope schloss die Augen und legte ihr Smartphone neben sich und das Gesicht in die Hände. Vielleicht sollte sie Zoe fragen, ob sie mit nach England kommen wollte. Der Abstand würde ihr sicher guttun, aber sie bezweifelte, dass Tom es erlauben würde.

      Das Smartphone klingelte erneut. Wenn das wieder Tom war, würde sie das Telefon aus dem Fenster werfen. Sie öffnete langsam die Augen und schaute aufs Display. James. Erleichterung durchflutete sie.

      »Hi James, was gibt’s?«

      »Du musst sofort aufs Revier kommen.«

      »Was ist los?« Ihr Herz klopfte schneller. James klang ernst. Zu ernst.

      »Boyed!«

      Hope wurde schwindelig und sie musste sich an der Sofalehne festhalten. »Ich bin unterwegs.«

      Zwei

      James saß in seinem kleinen Büro am Schreibtisch, den Kopf in die Hände gestützt. Von draußen drangen Geräusche herein. Gemurmel, ständig klingelnde Telefone – Geräusche der Geschäftigkeit. Doch James schien sie nicht zu hören. Er brütete über den alten Fallakten und sah dabei nicht wirklich zuversichtlich aus. Logan ließ ihn nicht aus den Augen, dabei spielte er mit dem Feuerzeug. Er hätte eine Zigarette dringend nötig. Aber seit die nikotinverfärbten Tapeten einen strahlendweißen Anstrich bekommen hatten, herrschte im Gebäude Rauchverbot.

      Doch mit einem Mal verstummte das Gemurmel. Logan schaute durch die Glaswand, mit der James‘ Büro vom Großraumbüro abgetrennt war. Eine junge Frau durchquerte den Raum. An ihrer Seite ein Rottweiler. Ein großer, muskulöser Hund, der nicht aussah, als könnte man entspannt mit ihm Ball im Park spielen. Es war aber nicht der Hund, dem die abschätzenden Blicke der Kollegen galten, es war eindeutig die Frau. Logan fragte sich, warum. Sie machte keinen unfreundlichen Eindruck, sie sah eher aus, wie eine Geschäftsfrau, die genau wusste, was sie wollte. Blondes Haar, rote Lippen; sie trug eine knallenge Jeans, die ihren weiblichen Kurven schmeichelten, eine weiße Bluse und Sneaker. Eins stand für Logan fest: Diese Frau würde er sicher nicht von seiner Bettkante stoßen. Dann kam sie näher und er richtete sich in seinem Stuhl auf. Sein Puls erhöhte sich. Er wandte den Blick schnell von ihr ab und hoffte, dass sie seine Gafferei nicht bemerkt hatte. Sie schien die erste Frau zu sein, die ihn in Verlegenheit brachte.

      Als sie das Büro betrat, deutete sie ihrem Rottweiler an, sich zu setzen. Dieser gefolgte dem Befehl sofort und setzte sich neben sie. An seinem Halsband hing eine Hundemarke mit dem Namen Dexter eingraviert.

      »James?«

      Ihre Stimme riss ihn aus seinen Gedanken. Er stand auf, ging


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