Die Welt, die meine war. Ketil Bjornstad

Die Welt, die meine war - Ketil Bjornstad


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überlegt, was zu tun sei, beschließt die Volkskammer in Ostberlin, zu außergewöhnlichen Mitteln zu greifen, um der Massenflucht vor dem kommunistischen Regime ein Ende zu setzen.

      Zugleich kreist der sowjetische Kosmonaut German S. Titow nicht weniger als siebzehn Mal in seiner Wostok II um die Erde und hält sich länger als einen Tag im Weltraum auf, zur großen Verzweiflung der Amerikaner.

      Die Volkspolizei der DDR und Abteilungen der Volksarmee beginnen, die Grenze zwischen dem sowjetischen und dem amerikanischen Teil Berlins mit Stacheldraht abzusperren. Es ist die Nacht zum 13. August. Von nun an brauchen Ostberliner und Bürger der DDR eine Sondererlaubnis, um den von den Westalliierten kontrollierten Teil der Stadt zu besuchen. Das gilt auch umgekehrt. Die achtzig Grenzübergänge zwischen Ost und West werden auf zwölf reduziert.

      Die Machthaber im Osten lassen dort, wo bisher Stacheldrahtzäune waren, Betonelemente anbringen. Willy Brandt, der Regierende Bürgermeister von Berlin, unterstützt einen offiziellen Protest gegen die Sowjetunion, in dem daran erinnert wird, dass die neuen Maßnahmen gegen das Viermächteabkommen verstoßen. Großbritannien und Frankreich kündigen an, ihre Truppenpräsenz in der BRD verstärken zu wollen, aus den USA kommen Vizepräsident Johnson und General Clay zusammen mit 1500 Soldaten, die in augenblickliche Bereitschaft versetzt werden. Diese Soldaten werden begeistert empfangen. Im Norden der S-Bahnstation Staaken fahren Panzer auf, um die Stadtgrenze vor Übergriffen zu sichern. Aber der Osten hat kein Interesse daran, den Westen anzugreifen. Stattdessen wird eine Mauer gebaut. Dass vier Panzer der USA durch Friedrichstraße und Kochstraße rollen, kann das katastrophale Ergebnis nicht verändern. Berlin wird endgültig geteilt. Das passiert an dem Tag, an dem Vater so ernst ist. Die Mauer wird gebaut, DDR-Soldaten fliehen in letzter Minute in den Westen. Bald wird auf Flüchtlinge geschossen. In den kommenden Jahren wird es viele davon geben.

      »Was für eine Schande«, sagt Vater. Er legt sich mit leichenblassem Gesicht auf das Wohnzimmersofa.

      Ich gehe zu Mutter, die in der Küche steht. »Was ist denn eigentlich los?«, frage ich.

      »Vater ist vor Kummer am Boden zerstört«, sagt Mutter. Sie schüttelt den Kopf. Dann nimmt sie die Brotformen aus der untersten Schublade.

      An der Straßenbahnhaltestelle Smestad haben Mads und ich viel zu besprechen.

      Aber Mads ist nicht mehr so sicher, ob man gerade jetzt zur Sowjetunion halten sollte.

      Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Es passiert so schrecklich viel. Die Leute von Orientering sind nach den Parlamentswahlen sehr wichtig. Sie haben zwei Mandate geholt. Finn Gustavsen und Asbjørn Holm. Ich finde, Gustavsen sieht aus wie Reineke Fuchs. Vielleicht ist auch er ein Schlaukopf.

      Auf General de Gaulle wird, als er von Paris nach Colombey les Deux Églises unterwegs ist, ein Attentat mit vier Kilo Plastiksprengstoff verübt. Zehn Tage darauf kommt der UN-Generalsekretär Dag Hammarskjöld über Nord-Rhodesien bei einem Flugzeugabsturz ums Leben.

      »Hier wird uns vieles verheimlicht«, sagt Mads, während die Blätter an den Bäumen gelb werden. Die Nachmittage füllen sich mit herbstlichen Sonnenuntergängen. Der Himmel über Ullernåsen steht in Flammen.

      30

      Es ist Sonntag. Später Herbst. Vater sagt, dass wir zur Hütte nach Vestmarka fahren. Ich stöhne. Ich habe versucht, tot im Bett zu liegen, aber das half nichts. Vater sieht, dass ich lebe. Und auch wenn ich länger aushalte, als ich es für möglich gehalten hätte, bin ich hilflos, als er anfängt mich zu kitzeln.

      Der Bus nach Guriby. Die langen Hänge hoch nach Vensåsseter. Ich bin kurzatmig und erschöpft, und als der Waldweg endlich abflacht, ist es nur vorübergehend. Vater hat die Hütte für zehn Jahre gemietet, sie liegt oben am steilsten Hang.

      Als sie aber dort sind, kann er sich keinen Ort denken, wo er lieber wäre. Vestmarka. Nicht weit von Kampen. Sie haben Aussicht auf den neuen Tryvannsturm, der noch nicht in Gebrauch genommen worden ist. Der Vater kümmert sich um das Plumpsklo. Das Brunnenwasser ist kalt und gut. In der Hütte ist es wie in alten Tagen. Rohe Holzstühle. Ein Tisch, von dem die Farbe abblättert. Ein Sofa, das eigentlich eine Holzbank mit Kissen ist. In der Ecke gibt es einen riesigen Kamin, den der Vater repariert hat. Er bewundert den Kamin, weil der so groß ist. Der Vater kann alles. Der Vater ist Ingenieur. Allein mit dem Vater und dem Bruder hat er keine Angst, dass sich die Eltern streiten und die Mutter mit den Türen knallt und in Tränen ausbricht. Der Vater ist streng, aber man kann mit ihm reden. Er hat die stärksten Hände auf der Welt, aber er schlägt nicht damit. Und beim Armdrücken merkt er immer, dass diese Hände groß sind und dass sie Geborgenheit und Wärme schenken.

      Die Dämmerung setzt früh ein. Der Himmel ist rot. Sie haben zwei Dosen Rentierfrikadellen mitgenommen, die sie auf dem Primuskocher aufwärmen und zu dem grünen Sauerteigbrot essen wollen, das sie alle so lieben. Der Bruder darf den Primuskocher anwerfen, den der Vater einige Meter von der Hütte entfernt aufgestellt hat, wo es eine alte, von Steinen eingerahmte Feuerstätte gibt.

      Er dagegen darf die Rentierfrikadellen in dem alten Blechtopf anwärmen. Es ist ein Freitagnachmittag im Oktober und mäuschenstill im Wald. Nur eine Krähe regt sich hoch oben in der riesigen Eiche.

      »Jetzt hört mal zu«, sagt der Vater. »Wisst ihr noch, dass ich voriges Wochenende allein hier war?«

      Sie nicken.

      »Ich wollte den Kamin fertigmauern und den Abzug überprüfen. Kaum hatte ich meinen Rucksack abgestellt, habe ich losgelegt. Das Wichtigste war, den Zugbegrenzer so zu justieren, dass er genau in die Öffnung passte.«

      »Ja?«

      »Ich schob den Arm hinein, machte ihn krumm und tastete dann nach der schweren Klappe. Aber als ich sie gefunden hatte, löste sich etwas aus seiner Befestigung, fiel auf meinen Unterarm und presste auf mein Handgelenk. Weil ich den Arm angewinkelt hatte, steckte ich fest. Ich konnte den anderen Arm nicht hineinschieben und spürte, wie mein Blut an der Stelle hämmerte, wo der Zugbegrenzer auf die Adern drückte.«

      »Was hast du da gedacht, Vater?«, fragt der Bruder mit großen, ängstlichen Augen.

      »Ich dachte, dass Freitag war, dass ich ganz allein war und dass mich vor Sonntagabend niemand vermissen würde.«

      »Und dann?«

      »Dann habe ich mit langsamen Bewegungen versucht, den Arm zu befreien. Zwei Stunden lang habe ich eine Position gesucht, um mit dem Daumen die Klappe hochschieben zu können, auch wenn ich riskierte, den Daumen zu brechen.«

      »Und das hast du geschafft?«

      »Ja.«

      »Und nichts gebrochen?«

      »Nein.«

      »Warum erzählst du uns das?«

      »Weil ich euch daran erinnern will, dass es immer, fast immer, Möglichkeiten gibt, an die man anfangs nicht gedacht hat. Auch, wenn die Lage hoffnungslos wirkt.«

      »Gilt das auch für Mutter und dich?«, fragt er. »Wie meinst du das?«

      »Dass es die Möglichkeit gibt, dass ihr eines Tages aufhört, euch zu streiten?«

      Der Vater weiß nicht, was er antworten soll. »Mutter und ich, wir lieben uns«, sagt er ernst. Er zieht seinen älteren Sohn an sich. Zwischen den beiden gibt es eine besondere Beziehung, denkt der andere.

      »Warum kommt sie nie mit nach hier oben?«

      »Mutter hat anderes zu tun. Und sie ist nicht gern da, wo sich Fuchs und Hase gute Nacht sagen, meint sie.«

      »Aber sie mag doch Hasen und Füchse und alle Arten von Tieren?«

      »Sie braucht ein bisschen Zeit für sich.«

      »Aber was macht sie in dieser Zeit?«

      Vater rührt im Frikadellentopf, wo die Soße langsam ins Kochen kommt. »Ich weiß nicht«, antwortet er zerstreut, wie oft, wenn er an etwas anderes denkt.

      In diesem Moment verliert der Blechtopf


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