Ausblendung. Wege in die virtuelle Welt. Группа авторов

Ausblendung. Wege in die virtuelle Welt - Группа авторов


Скачать книгу
größtes Geheimnis: Outgesourcte Todeskommandos liquidierten die Familien der Terroristen – eine der wirksamsten Abschreckungsmaßnahmen für potenzielle Attentäter. Und er wusste, dass niemand wissen durfte, dass er das wusste.

      Am Ende der Ansprache erläuterte Bryan ein paar neue Ideen, die zu implementieren waren, sobald Bill sich dazu in der Lage fühlte – am besten gleich. Bill bat jedoch darum, zuerst die neuen Kadetten für den Einsatz schulen zu dürfen und dann ein paar Tage Urlaub zu nehmen, die er mit seiner Frau verbringen wollte.

      Bill war zufrieden. Von den Toten auferstanden – was will man mehr? Wenn nur nicht das merkwürdige Ameisenlaufen auf den Armen und Beinen gewesen wäre und das Gefühl, einen nassen Lappen zu quetschen, als Bryan ihm zum Abschied die Hand gab.

      „Sie werden jetzt Ihre erste Trainingseinheit in der aktiven VR-Umgebung absolvieren.“

      Er betrachtete die Kadetten, die da wissbegierig und vor Enthusiasmus platzend vor ihm saßen. Zehn junge Kerle, die den Eingangstest geschafft hatten. Er nahm den Helm vom Pult. Eine elastische anthrazitgraue Hülle aus sechseckigen Waben.

      „Dieses Ding“ – er dehnte es wie eine Badehaube – „versetzt Sie in eine virtuelle Trainingsumgebung. Die Terrahertz-Laser in den Waben stimulieren Ihre afferenten Nerven durch das Schädeldach; Sie werden das Gefühl haben, in einer absolut realen Situation zu sein. Sie werden sich alle im gleichen virtuellen Raum befinden, Sie werden alle Mitglieder des Platoons sehen und mit ihnen kommunizieren. Bisher haben Sie nur in einer Augmented-Reality-Umgebung geübt, die Ihre reale Umgebung wiedergab.“

      Er holte weit aus und deutete auf die Fensterfront. „Wenn Sie sich erinnern: Die Sonne schien durch dieses Fenster und warf an diesem Bildschirm einen exakt nach der Realität berechneten Schatten. Sie haben gelernt, sich mit Hilfe des VR-Helms in dieser realen Umgebung zurechtzufinden. Sie konnten alles beobachten, was Sie auch in Wirklichkeit beobachten würden, aber Sie konnten nichts verändern. Sie konnten durch diese Tür gehen, aber nicht durch die Wand.

      Diesmal ist es anders. Sie werden zum ersten Mal im Active Mode arbeiten. Sie können die Umgebung verändern. Sie können Wände sprengen“ – seine Handfläche knallte gegen die Projektionswand –, „Sie können Terroristen aufspüren und eliminieren. Sie werden heute die Burj Khalifa in Dubai schützen. Wir haben Hinweise auf einen geplanten Anschlag des KS.“

      Ein prüfender Blick zur Klasse zeigte ihm, dass keine langen Erklärungen nötig waren.

      „Der Turm hat eine Höhe von achthundertachtundzwanzig Metern. Allerdings werden Sie nicht auf die Nadelspitze klettern. Im Einsatz wird die hohe Aussichtsplattform wichtig sein. Und die ist in welcher Etage?“

      „In der hundertachtundvierzigsten“, tönte es mehrfach aus der Klasse.

      Bill war zufrieden. Sie hatten die höchsten Gebäude der Welt gründlich studiert. „Die Übungsannahme ist, dass mehrere Sprengladungen im Gebäude so gezündet werden, dass der Turm in sich zusammenbricht. Sie wissen nicht wo, aber Sie können gewisse Bereiche ausschließen. Sie haben das in der Ausbildung gelernt.“

      Die Klasse schwieg. Einige starrten nachdenklich an die Decke, andere senkten den Kopf zu ihrem Tablet.

      „Ich gebe Ihnen einen Hinweis: Die Druckspannung hängt vom darüber liegenden Gewicht und von der lokalen Querschnittsfläche der Tragkonstruktion ab.“

      Die Klasse murmelte verunsichert. Sie sollten das selbst herausfinden, entschied Bill.

      „Okay, Kadetten. Ich werde dabei sein, aber Sie werden mich nicht wahrnehmen und ich werde nicht eingreifen, denn ich benutze diesmal den Passivmodus. Sie sind also auf sich allein gestellt. Seien Sie vorsichtig, Ihr Gegner ist stark. Es kann passieren, dass Sie verletzt werden, sogar schwer oder tödlich. In diesem Fall geben wir Ihnen nach Übungsende Lipropanol.“

      Er machte an dieser Stelle immer eine Pause. Er wusste, dass das ein heikler Punkt war. Die Kadetten waren verunsichert, es gab Gerede über eine Kampfdroge, aber niemand wagte danach zu fragen.

      „Um das ein für allemal zu klären: Lipropanol ist tausendmal getestet worden und gut verträglich. Es verhindert die Langzeiterinnerung nach kritischen Einsätzen, die sonst posttraumatische Störungen erzeugen würden. Entgegen allen Verschwörungstheorien macht es nicht aggressiv; Aggression müssen Sie schon selbst mitbringen. Noch Fragen?“

      Einer in der ersten Reihe meldete sich.

      „Wir müssen uns ja bewegen, Kampftaktiken anwenden. Während wir hier still sitzen?“

      „Wie heißen Sie, Kadett?“

      „Kevin, Sir.“

      Kevin war ein kleiner Besserwisser. Eine Demonstration war fällig. Er trat an den Jungspund heran.

      „Okay, Kevin. Setzen Sie den Helm auf“, forderte er ihn auf. Der stülpte sich die Haube umständlich über, nicht mehr so sicher, mit seiner Frage Punkte gemacht zu haben. Bill korrigierte den Sitz des VR-Helms, ließ sich Zeit, damit die anderen den wackelnden Kopf des Prüflings zur Kenntnis nehmen konnten. Dann griff er nach der Brille, hielt sie hoch.

      „Das ist die Mirage von Oculus, eine Weiterentwicklung der Rift 12. Wer hat schon mal mit einer Rift gespielt?“

      Alle Hände schossen in die Höhe.

      „Setzen Sie die Mirage auf, Kadett!“ befahl er, kontrollierte noch einmal den Sitz von Helm und VR-Brille. „Ich starte jetzt Combat, Sie haben das beim Auswahltest real geübt. Messerangriff. Ich ziehe jetzt Ihre VR auf den Schirm.“

      Das große Display an der Wand erwachte zum Leben.

      Combat 1.0 -- Messerattacke

      VR AktivModus

      Immersion startet …

      Eine Wüstenlandschaft erschien auf dem Schirm. Kevin stand wie verloren da. Aus der flimmernden Luft materialisierte ein virtueller Trainer.

      „Hallo, Kadett. Bevor Sie kämpfen, müssen wir Ihr Interface trimmen“, stellte er fest.

      „Äh …?“

      „Das ist neu für Sie, Kadett. Bisher waren Sie im Realitätsmodus unterwegs, Sie konnten nicht interagieren. Jetzt kommt es auf präzise Kampfbewegungen an. Die Signale des Helms sollen ja an den richtigen Stellen in Ihrer Hirnrinde ankommen, damit Sie nicht danebengreifen. Sie werden jetzt einem Fliegenschwarm ausgesetzt. Sie werden spüren, wo sich eine Fliege niederlässt. Das wird irgendwo auf Ihrer linken Körperhälfte sein, je nach Sitz des Helms. Sie können die Fliege mit Handbewegungen steuern. Tun Sie dies so lange, bis sie auf Ihrem linken Handteller sitzt.“

      „Aber wie …“

      „Das ergibt sich von selbst.“ Der Trainer schnippte mit den Fingern und am sonnenhellen Himmel erschien ein Schriftzug:

      Cortex triangulation.

      Follow advice.

      Und sie kamen surrend daher, Hunderte grünschillernder Fliegen wirbelten wie eine Aura um Kevins Kopf. Er fuchtelte mit den Armen, um sie zu verscheuchen, aber sie blieben auf Distanz, abwartend, den Angriff planend. Dann schickten sie eine Kundschafterin aus, die auf seiner linken Schulter landete.

      „Locken Sie sie nach vorne, auf die Hand“, ermutigte ihn der Trainer.

      „Ich hab sie!“

      „Gut. Schließen Sie die Hand. Fest.“

      Left palm locked.

      Repeat right.

      Die Wiederholung mit der Rechten endete mit der Erfolgsmeldung:

      Right palm locked.

      Repeat crotch area.

      Ein kleiner Schwarm landete auf Kevins Bauch. Dem Kadetten war sichtlich nicht wohl bei der Sache.


Скачать книгу