Ausblendung. Wege in die virtuelle Welt. Группа авторов

Ausblendung. Wege in die virtuelle Welt - Группа авторов


Скачать книгу
Sie spielten ihm eine virtuelle Umgebung vor. Aber warum? Hatte die Innenrevision herausbekommen, dass er von den Todeskommandos wusste?

      Es gab vielleicht einen Weg, das herauszufinden. In der Nacht schloss er sich in seinem Büro ein, wählte den Realitätsmodus und aktivierte den Helm.

      Phantom City

      RealitätsModus

      Immersion startet …

      Das vertraute Kribbeln in den Armen verging rasch. Die 3DBrille bot ihm eine Reihe von Avataren an. Er wählte eine schlanke Frau, überlegte kurz, dann stattete er sie mit Anns Gesicht aus und steuerte sie zielstrebig in Richtung Krankenhaus. Der Avatar bewegte sich nun durch einen virtuellen Raum, der dem realen Gebäude exakt glich. Jedenfalls hoffte er das. Dann würde Ann Dinge wahrnehmen können, die ihm, Bill, in seiner virtuellen Realität verborgen blieben, wenn er denn wirklich in einer solchen gefangen war. Dinge, die er in der Neurochirurgie vermutete.

      Die Laborräume entsprachen exakt seiner Erinnerung an den Rundgang. Aber die Abstellkammer am Ende des Korridors, an der er bei seiner Erkundung ratlos kehrt gemacht hatte, war jetzt keine Abstellkammer, sondern bot Zugang zu einem Vorraum, von dem mehrere Türen wegführten. In einem Raum lebten Mäuse und Meerschweinchen in ordentlich gestapelten Käfigen. Dann zwei OPs, ein leeres Krankenzimmer mit zwei Betten und eine breite Doppeltür mit der Aufschrift „Intensivpflege“.

      Ann trat ein. Gedämpftes Licht, eine lange Reihe von Hightech-Betten. Beatmungsgeräte, Monitore, Schläuche, Kabel. Die Betten waren mit etwas Menschenähnlichem belegt. Hier lag ein halber Torso, dort jemand, dem Teile des Schädels fehlten. Mehrere Patienten waren frisch operiert, Drähte führten von geöffneten Schädeldächern zu Maschinen.

      Ann schritt die Reihe der Schwerverletzten ab, bis sie unvermittelt erstarrte. Da lag er, Bill. Er war sehr klein, besser gesagt sehr kurz. Keine Beine, kein Torso, keine Arme. Die Chirurgen hatten aus den Resten seines Körpers einen polstergroßen Klumpen gebaut, auf dem der Kopf saß. Der Kopf trug einen VR-Helm und die Mirage.

      So einfach war das. Hier lagen die unrettbar Verlorenen. Krüppel, die für die Firma wichtig waren. Alle waren sie bei Unfällen oder Anschlägen schwerst verletzt und für ein virtuelles Leben zurechtgeflickt worden. Die Biobots konnten keine Körper nachbauen, aber sie hatten die Gehirne bewahrt. Wichtige, wertvolle Gehirne. Und sie waren gnädig gewesen. Sogar seine Frau hatten sie ihm virtuell zurückgegeben.

      Er steuerte den Avatar an das Kopfende seines Bettes. Merkwürdig war das: Er nahm durch die Mirage seine Frau wahr, die vor seinem Krankenbett stand – dem Bett eines Verlorenen. Aber eigentlich sah der Verlorene durch Anns Augen, was er wirklich war: Nichts als ein intaktes, getäuschtes Gehirn.

      Der Monitor neben dem Bett wurde hell. „Hallo, Bill“, sagte Bryan. Er schien sehr ernst und besorgt. „Wir wussten, dass du irgendwann hier auftauchst. Bei deiner Intelligenz war das vorauszusehen. Wir wussten nur nicht, wie du es anstellen würdest, die Simulation auszutricksen.“

      „Was habt ihr mir angetan?“ fragte Bill, aber aus Anns Mund klang es erstaunt und sanft. Bryan schwieg.

      „Was … was habt ihr mir angetan? Ich bin – ein Krüppel. Ein verdammter Krüppel! Und ihr spielt mir die heile Welt vor. Ihr … ihr verfluchten Schweine!“

      Bryan seufzte, den Blick schmerzgetrübt. „Es tut mir so leid.“

      „Spar dir dein Mitleid! Du … mieser …“

      „Bill! Bill, hör zu! Was hätten wir denn tun sollen? Die Explosion hat deinen Körper fast vollständig zerstört. Du warst gerade noch am Leben, als wir dich holten.“

      Ann, alias Bill, blieb stumm. Was sollte sie auch sagen? Sollte sie jene verfluchen, die ihn gerettet hatten? Auch wenn sie es nicht aus Nächstenliebe getan hatten.

      „Wir hatten gehofft, dass die Simulation schlauer sein würde als du. Aber so war es leider nicht. Jetzt, da du die Wahrheit kennst, hast du den Wunsch, dem allem ein Ende zu machen. Wir verstehen das. Aber es gibt eine Option: Wir simulieren den Anschlag, holen dich heraus und versetzen dich in Tiefschlaf. Wir würden die Lipropanol- Dosis erhöhen, um diesmal dein Trauma endgültig zu löschen. Du würdest dich an nichts erinnern, du könntest wirklich von vorn beginnen. – Und wir brauchen dich.“

      Bryan verschwand mit einem hoffnungsvollen Blick vom Schirm. Von vorn beginnen. Ein virtuelles Leben. „Wirklich“ hatte er gesagt. Welch ein Hohn …

      Die bleierne Zeit floss wie ein Lavastrom dahin. Nach einer Ewigkeit erwachte das Display wieder zum Leben.

      „Life Support System“ stand da. Darunter zwei Buttons – Shutdown und Replay.

      Ann blickte den Patienten traurig an. Dann strich sie ihm zärtlich über die Wange. Bill spürte die schlanken Finger wie einen Lufthauch der Verheißung. Wir sind eins. Du bist mein Leben, dachte er und schloss die Augen. So konnte er nicht sehen, wie sie sich zum Monitor drehte. Ihre Hand schwebte scheinbar zögernd über dem Bildschirm, dann drückte sie Replay.

      Michael Rapp

       Feuervögel

      Die Datumsanzeige am unteren Rand des 3D-Kontrollhelm- displays zeigte den 11. März 2033.

      Flammen schlugen aus den Fenstern im dritten Stock des Hauses bis über die Kante des Flachdachs. Rauch stieg zwischen den Bitumenbahnen auf, über die eine Miniatur-Rotordrohne taumelte wie ein verletzter Maikäfer. Auch zu Füßen des Eingeschlossenen qualmte es. Der stämmige Mann winkte hektisch nach oben in die Kamera der Feuerwehrdrohne.

      „Hände fest an die Traggurte!“ brüllte Mirko Gutlieb in das Mikro seines Drohnenkontrollhelms, dann zog er den Flightstick zurück. Die LLD 4C „Seeschwalbe“ stieg auf, das Tragseil spannte sich und hob den Mann vom Dach. Sofort schwang er nach vorn, ruderte mit den Armen, dann entsann er sich der Aufforderung und packte wieder die Gurte. Die Drohne folgte seiner Bewegung und stabilisierte ihn. Durch die Helmlautsprecher hörte Mirko die drei Rotoren angestrengt surren, als sie den Geretteten in die Höhe zogen. Von der Straße aus musste es seltsam aussehen, wie er unter dem Fluggerät hing, das kaum größer war als er selbst. Die Seeschwalbe war eine leichte Feuerwehrdrohne, entworfen für die Lageerkundung und Einsatzführung. Personenbeförderung gehörte nicht zu ihrer offiziellen Leistungsbeschreibung, aber im Einsatz nutzte man, was man hatte, und tat, was nötig war, um Leben zu retten.

      Mirko betätigte den Autopilot-Knopf am Flightstick, dann wählte er einen Kurs in der 3D-Eingabe der Vorausplanung. Das thermische Bild der Kamera seiner zweiten, höher fliegenden Seeschwalbe warnte ihn vor heißen Luftströmungen. Die 360-Grad-Kamera des Löschzugs lieferte ihm Bilder von der Straße, wo Kollegen gerade gegen zwei junge Männer vom Nachbarschaftsschutz vorgingen, die den Brand mit Minidrohnen filmten und so die Rettungsarbeiten gefährdeten. All diese Informationen liefen in der Lagedarstellung seines Helms zusammen.

      Während der Gerettete sicher vom Dach schwebte und auf der Straße von Mirkos Kollegen in Empfang genommen wurde, feuerten die schweren „Hummel“-Drohnen weitere Lösch- mittelpakete durch die Fenster. Diese Pakete platzten drinnen, füllten die Wohnungen mit blauem Nebel und erstickten das Feuer so weit, dass die Männer vom Löschzug mit ihren vierbeinigen robotischen Einsatzmittelträgern vorrücken konnten.

      „Das hätte nicht passieren dürfen“, sagte Nils, der von seinem Arbeitszimmer aus zwei der Hummeln führte. „Nicht hier.“

      „Zufall ist das bestimmt nicht“, antwortete Tim, der dritte Mann des Luftlöschtrupps. Als Elektroingenieur war er zuständig für die technische Wartung der Drohnen und arbeitete als Einziger ständig auf der Wache.

      „Nein“, stimmte Mirko zu. „Das war er.“

      Er, das war der Phantombrandstifter, und Nils hatte recht. Dieser Brand hätte niemals gelegt werden dürfen. Nicht nur, weil sie durch zwei Dutzend Brandstiftungen vorgewarnt gewesen waren, sondern vor allem, weil


Скачать книгу