Das einzig wahre Rheinische Derby. Heinz-Georg Breuer

Das einzig wahre Rheinische Derby - Heinz-Georg Breuer


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Lager entstammt. Zwar kommt der Fusionspartner Spielvereinigung Sülz 07 aus dem Arbeiterbereich, aber Kremer (Spitzname: „der Boss“), Sohn eines Lokomotivführers, im Krieg beim Sonderkommando „Seelöwe“ und später wohlhabender Werbeartikel-Unternehmer, erdrückt mit früher Professionalisierung und modernem Management jegliche klassenkämpferische Sentimentalität. Sein Spruch: „Tradition hat nur dann einen Sinn, wenn der Wille zu noch größeren Taten vorhanden ist.“ Und unmissverständlich: „Wollt ihr mit mir deutscher Meister werden?“

      Wenn heute am Beispiel von TSG Hoffenheim oder RB Leipzig über den Einfluss des Kapitals lamentiert wird – erfunden hat ihn zumindest in Deutschland Kremer. Er holt in den Sechzigern mit dem Stahl-Boss Otto Wolff von Amerongen einen der einflussreichsten Wirtschaftsbarone der Nachkriegszeit in den Verein. Ebenso im FC-Verwaltungsrat sitzt Anton Weiler, Finanzvorstand des Versicherungsriesen Gerling. Und weil das Vertragsspielerstatut, das der DFB 1948 nach der Währungsreform erlässt, anfangs nur eine Maximalvergütung von 320 DM pro Monat für einen Kicker zulässt und den Nachweis einer „richtigen“ Berufstätigkeit verlangt, bringt Kremer seine Leute gern im Kaufhof unter – Nationalspieler Hans Schäfer etwa in der Parfümerie-Abteilung.

      Die Gladbacher können es – auf bescheidenerer Ebene – später auch. Präsident wird Anfang der Sechziger der Textilfabrikant Dr. Helmut Beyer, sein Vize der Garngrossist Helmut Grashoff. Beyer beklagt schon damals die wirtschaftliche Monostruktur in der Stadt. Aktueller VfL-Boss ist Rolf Königs, lange Präsident des Verbands der Rheinischen Textil- und Bekleidungsindustrie, zugleich erfolgreicher Geschäftsführer eines traditionsreichen Familienunternehmens, das den Sprung vom Tuchmacher zum Weltzulieferer in der Auto-Industrie gepackt hat. Und da viel textiles Stöffchen einen trockenen Hals macht, muss auch ein Bierchen her. Horst Randel, Chef von Gladbachs Hannen-Brauerei, einst größter Altbier-Produzent der Republik, wird Anfang der Neunziger VfL-Vizepräsident.

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       Bundesliga 1964: FC-Präsident Franz Kremer (r.) mit Bundestrainer Helmut Schön auf der Tribüne in Müngersdorf. Foto: Imago/Horstmüller

      Politische Hintergründe: Manches Derby gründet sich in politischen Wurzeln. Wie Spaniens „El Clásico“ FC Barcelona – Real Madrid, eines der wenigen überzeugenden Beispiele für ein Derby ohne jede Nachbarschaft. Den Klubs aus den Metropolen – Madrid als Landeshauptstadt, Barcelona als Hauptstadt der Küstenregion Katalonien – fehlt räumliche Nähe (dafür dienen die Stadtderbys gegen Atletico bzw. Espanyol), aber sie verschärfen politische Gegensätze bis hin zur Zerreißprobe. Wie in der Franco-Ära, als der FC Barcelona zum Symbol des Widerstands gegen die madrilenische Zentralregierung wird.

      Gut 40 Jahre später bricht der Konflikt am 1. Oktober 2017 wieder auf. Bei einem von der Zentralregierung als illegal eingestuften Referendum zur Unabhängigkeit Kataloniens kommt es zu massiver Polizeigewalt in Barcelona. Der Klub will sein Punktspiel gegen UD Las Palmas absagen, am Ende findet das Match vor leeren Rängen statt. Vize Carles Vilarrubi tritt zurück, Innenverteidiger Gerard Piqué erwägt seinen Rücktritt aus der Nationalmannschaft. Barca-Keeper Marc-André ter Stegen aus Mönchengladbach hält sich mit Äußerungen ebenso zurück wie der argentinische Weltfußballer Lionel Messi. Solch politische Abstinenz hatte einst auch Borussia-Ikone Günter Netzer bevorzugt, als er 1973 beim Wechsel zu Real mitten in das Finale der faschistischen Franco-Diktatur kam. Da ist Bernd Schuster fünf Jahre später unbekümmerter. Als er sich in Köln mit FC-Coach Karl-Heinz Heddergott überwirft, flüchtet er nach Barcelona, und als es dort auch nicht mehr funktioniert, wechselt er zu Real Madrid.

      In Deutschland gilt neben dem plakativen Gegensatz beim Hamburg-Derby (HSV konservativ, St. Pauli alternativ) als politisch geprägt das Ostberliner Duell FC Union – BFC Dynamo. Die Rivalität der Hauptstädter erwächst in drei Jahrzehnten im real existierenden Sozialismus der DDR. Hier die „Eisernen“, 1966 auf Initiative von Gewerkschaftsboss Herbert Warnke gegründet als „ziviler Fußballklub für die Werktätigen“ und Nachfolger des SC Union Oberschöneweide, 1923 deutscher Vizemeister. Dort der BFC Dynamo, Team des Establishments um Stasi-Chef Erich Mielke, bei dem so lange gespielt und gepfiffen wird, bis das Spiel gewonnen ist.

      Dietmar „Kutte“ Schütze, Mitglied des BFC-Meisterteams von 1983, erzählt mir 2017 bei einem Interview mit leuchtenden Augen: „Waren schon geile Zeiten. Ich bereue nichts.“ Auch nicht seine spätere Oberliga-Zeit beim Halleschen FC Chemie, wo der Stürmer 1987 späte Rache am 1. FC Magdeburg übt, der ihn wegen seiner „Vergangenheit“ beim Stasi-Club Dynamo nicht haben wollte. Schütze macht bei einem 2:2 zwei „Buden“ gegen DDR-Nationalkeeper Dirk Heyne. Anfang 2017 bestreiten die beiden Ost-Vereine beim sachsen-anhaltinischen Landespokal ihr 100. Derby.

      Heyne wechselt nach der Wende zu Borussia Mönchengladbach und macht 1992, bezeichnend am „Tag der Einheit“, gleich nach einem 1:2 im Derby gegen den FC sein erstes von 24 Bundesligaspielen für den VfL. Das führt zurück zu den Fohlen und Geißböcken. Auch im politischen Segment findet sich keine Begründung für das Rheinische Derby. Köln ist zwar älter und stets bedeutender, doch nach früher römischer Besiedlung ähneln sich die Entwicklungen der Städte im Laufe der Epochen, in denen sie von allen etwas mitbekommen. Spätestens seit der Franzosenzeit Ende des 18. Jahrhunderts, weiter über die Preußen-Herrschaft sowie Kaiserreich, Weimarer Republik und NS-Zeit bis hin zur Bundesrepublik heute. Die Bürgerrechte von den Römern, den Code Civil von Napoleon, die Pressefreiheit von den angelsächsischen Besatzern. Seither wechseln politische Strömungen am Rhein und ihre Mehrheiten munter, wobei Köln eher ein liberales Übergewicht und Mönchengladbach eher eine konservative Note hat. Aber eigentlich nix, was eine Derby-Kollision auslösen könnte.

      Religiöse/weltanschauliche Hintergründe: Das „Old Firm“ zu Glasgow ist eines der ältesten Derbys der Welt und seit 1890 das meistgespielte in Europa mit über 400 Partien zwischen den schottischen Spitzenklubs Celtic und Rangers. Die Rangers in Blau sind Klub des Establishments und der protestantischen Mehrheit, Celtic in Grün-Weiß ist katholisch geprägter Verein irischer Einwanderer. Das führt auch zu patriotischer Abgrenzung im Ibrox-Stadium oder Celtic-Park. Die Celtic-Anhänger schwenken irische Fahnen, die Rangers-Fans den Union Jack.

      Für Fohlen und Geißböcke lässt sich aus dem religiösen Brunnen ein Motiv für das Derby nicht schöpfen. Beide Städte sind vom Ursprung her erzkatholisch. Seit Beginn des 4. Jahrhunderts ist Köln Bischofssitz. Der Bischof übernimmt die vollständige Machtausübung in der Stadt, also auch die weltliche. Erst Ende des 13. Jahrhunderts können die Bürger sich davon befreien, als Köln ab 1288 Freie Reichsstadt wird. Keimzelle Gladbachs ist im Jahre 974 der Bau des Münsters und die Gründung einer Abtei durch den Kölner Erzbischof Gero. Mönche treiben die Besiedlung voran. Unter Erzbischof Everger kommt das Gebiet zum Erzbistum Köln. Die Abtei bleibt relativ autonom und übt über Gladbach die kirchlichen Rechte aus. Die Stadtrechte werden 1365 verliehen.

      Wenn heute die Geißbock-Fans zur Saisoneröffnung bei einer ökumenischen Andacht im Dom zur Orgel die Vereinshymne „Mer stonn zo dir FC Kölle“ der Gruppe De Höhner singen (eine Adaption des nach einem Volkslied 1979 entstandenen Kultsongs „Loch Lomond“ der Schotten-Band Runrig), fahren die Fohlen zur gleichen Zeit zur Papst-Audienz in den Vatikan … Nur mit kölschem Katholizismus und einer ganz besonderen Persönlichkeit ist allerdings Folgendes zu erklären: Als Hennes Weisweiler, der Fohlen wie Geißböcke trainiert hat, 1983 stirbt, findet die Totenmesse im Hohen Dom zu Köln statt und gleicht einem Staatsbegräbnis. Mehr als 20.000 Menschen, darunter 6.000 geladene Gäste, begleiten ihn auf seinem letzten Weg. Der Leichnam ist zuvor im Dom aufgebahrt – eine Ehre, die bis dahin nur Bundeskanzler Konrad Adenauer und Erzbischof Joseph Kardinal Höffner zuteilwurde.

      Doch zuweilen kann es auch von oben nicht gerichtet werden: Beim „Schicksalsspiel“ gegen Mainz 05 im April 2018 segnet Dompropst Gerd Bachner in der Halbzeitpause feierlich in der „Geißbock-Loge“ im Rhein-Energie-Stadion eine Fiale, also ein Stück Stein des Kölner Doms. Die Fans bekommen davon nichts mit – dann wär‘s ja auch nicht mehr feierlich. Es hilft nichts, der FC steigt ab.

      Mentale Hintergründe: Auch mentale Unterschiede können Rivalität und Derby-Charakter auslösen. Wie beim VfB Stuttgart und Karlsruher


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