Das einzig wahre Rheinische Derby. Heinz-Georg Breuer
die in dem Spruch „Schwôbe schaffe, Badner denke“ gipfelt. Ähnlich die Konkurrenz von Braunschweig und Hannover. Historiker führen sie zurück bis auf den Zoff von Welfen und Kurfürsten im 17. Jahrhundert. Weiter angereichert wird die Rivalität nach dem Zweiten Weltkrieg, als Hannover zur Hauptstadt des neuen Bundeslandes Niedersachsen erkoren wird. Sportlich kocht es über, als 1963 Braunschweig bei Gründung der Bundesliga dabei ist, Hannover aber nicht.
Solch mentales Konfliktpotenzial wird es wohl zwischen den nieder- bis mittelrheinischen Kölnern und den niederrheinischen Gladbachern nicht geben, zumal ja beide Städte überwiegend auf der einst von den Franzosen besetzten Seite links des Flusses liegen und nicht auf der vom Kölner gering geschätzten rechten („schäl Sick“). Zugegeben, der Kölner muss zu seinem 157,38 Meter hohen Dom geradewegs hinaufschauen können, während der Niederrheiner den freien Blick aufs flache Land braucht. Aber ist das nun kriegsentscheidend? Zumal doch Dr. Fritz Langensiepen vom Landschaftsverband Rheinland 2007 im „Kölner Stadt-Anzeiger“ die Attribute „Offenheit, Gemeinschaftssinn, Feierfreude, Redelust und Spontanität“ als Klammer rheinischer Mentalität benennt.
Da wird gar der weithin bekannte „kölsche Klüngel“ zum Gemeinsamkeit stiftenden Merkmal, von Adenauer einst umschrieben mit „man kennt sich, man hilft sich“. Oder wie der Lateiner sagt: „Manus manum lavat“ (eine Hand wäscht die andere). Gemeint ist ein Beziehungsgeflecht aus Politik, Recht, Wirtschaft, Kultur und Geistlichkeit in einem System gegenseitiger Gefälligkeit, Verpflichtung und Abhängigkeit. Böse Zungen sprechen von Korruption und Filz. Der Schriftsteller Heinrich Böll hat das Phänomen 1960 in seinem Essay „Was ist kölnisch?“ plastisch beschrieben. Der bei Kiepenheuer & Witsch erschienene Sammelband führt im Jahr darauf die „Spiegel“-Bestsellerliste an.
Während der Niederrheiner das System eher stillschweigend praktiziert, trägt der katholische Kölner es mit Stolz wie eine Monstranz vor sich her. Oder auch wie einen Karnevalsorden. 1989 beim 38. Deutschen Braumeistertag macht das Bonmot die Runde, Erzbischof Josef Kardinal Frings wäre nur deshalb nicht Papst geworden, weil er forderte, die Schweizergarde durch die Roten Funken zu ersetzen … Als aber 2015 der Effzeh als eingetragener Karnevalsverein mit einem Fastnacht-Trikot die Roten Funken ehren will, gibt es in den sozialen Medien einen Shitstorm – wegen der weißen Lätzchen, die den Kickern zum Halse heraus hängen.
Womit auch die wesentlichen Lebensinhalte des Domstädters umschrieben wären, die den Verdacht nahelegen, dass er den Buchstaben K beim Rest der Welt für sich reserviert hat: Karneval, Kicken, Kirche. Die Kölner Alliteration. Oder numerologisch: Elferrat, Elfmeter, elfter November (an dem die Katholiken St. Martin feiern). Wenn jetzt noch ein Gladbacher um die Ecke käme und fragte: „War das der mit dem Fohlen?“, wäre es wohl mit der Symbolik etwas übertrieben …
Überhaupt das Sprachliche: Identitätsforscher Langensiepen sagt auch, dass es bei aller Gemeinsamkeit unterschiedliche rheinische Regionen gebe und die Dialekte ein Schlüssel zu ihrer Mentalität seien. Nirgendwo anders auf der Welt fächern sich auf engstem Raum so viele Mundarten auf, weshalb man auch vom „Rheinischen Fächer“ spricht. Am ehesten lasse sich, so springen die Sprachforscher hilfreich bei, das Niederrheingebiet als das Land kennzeichnen, dessen Bewohner die früheren zum Niederländischen gehörenden Mundarten sprechen würden. Da kommt man unweigerlich zu einem Düsseldorfer Vorort: Die „Benrather Linie“ trennt den südniederfränkischen Sprachstamm im Norden vom ripuarischen im Süden, der auch als „kölsche Mundart“ durchgeht. Die Grenze wird ebenso als „Maken/Machen-Linie“ bezeichnet. Damit ist auch dieser Versuch gescheitert, die Rivalität der Fohlen und Geißböcke herkömmlich zu deuten: Ob nun die Gladbacher ein Tor „maake“ oder die Kölner eines „maache“, macht einen 90-minütigen Kick noch nicht zum Derby …
Ein letzter Versuch: Wenn schon Akademiker und andere kluge Köpfe es nicht schaffen, rheinische Rivalitäten zu erläutern, dann vielleicht die Spezies, deren Profession es ist, dem Volk aufs Maul und hinter die Stirn zu schauen: die Kabarettisten. Da gibt es gleich mal ein Remis: Während die kölsche Spitze Jürgen Becker erklärt, „der Kölner kann nichts, traut sich aber alles“, formuliert Altmeister Hanns Dieter Hüsch Jahre zuvor: „Der Niederrheiner an sich weiß nichts, kann aber alles erklären.“
Auf Fohlen-Seite fängt mit Hüsch jedoch das Dilemma schon an. Der 2005 verstorbene „Poet unter den Kabarettisten“ kam nicht aus Mönchengladbach, sondern aus Moers, war also nur phonetisch mit Ach und Krach auf Augenhöhe und alliterativ um Längen schlechter als die K-Fraktion (zumal Moers früher Meurs hieß). Schlimmer noch: Ende der Achtziger kürt Hüsch auch noch Köln zu seiner Wahlheimat. Mit Fußball hatte der Mann ebenfalls nicht allzu viel im Sinn, auch wenn die Beziehungsprosa über seine erste Ehefrau Marianne 1959 in der Geschichte „Frieda und der Fußball“ mündet.
Für Hüsch einspringen kann auf Gladbacher Seite niemand. Volker Pispers kommt zwar aus Rheydt und hätte wohl früher einen glänzenden WG-Partner für Borussias einstigen Linksaußen Ewald Lienen abgegeben, bleibt aber, inzwischen in Düsseldorf-Oberkassel gelandet, in seinen Programmen ausnahmslos politisch. Zur Erklärung des Derbys taugt Pispers nicht. Bei ihm tauchen fußballerisch allenfalls mal die Münchener Bayern auf, wenn etwa Angela Merkel „unschlagbar ist, wie der FC Bayern der deutschen Politik, nur eben ohne Pep“. Woran man erkennt, wie lange die Kanzlerin schon da ist und der Maestro schon weg.
Auch der Kölner Becker kämpft mit Handicaps, muss er doch bei den „ARD-Mitternachtsspitzen“ Wilfried Schmickler als Co-Moderator aushalten. Der wohnt zwar in der Kölner Südstadt, ist aber in Leverkusen geboren und bekennender Bayer-Fan. Becker gelingt es gleichwohl, beim FC typisch kölsche Seelenlagen herauszukitzeln. So etwa 2009, als er ein „Tieropfer“ vorschlägt: Geißbock „Hennes“ solle vor einem Spiel im Strafraum verbrannt werden, damit der FC wieder mal gewinne. Oder 2010, als Becker in der „Süddeutschen“ zum Besten gibt, die Zuschauerzahlen des 1. FC Köln würden sich reziprok zum Erfolg entwickeln. In der Zweiten Liga hätte man mehr Zuschauer als viele Bundesligisten: „Spätestens in der Kreisklasse braucht Köln ein größeres Stadion.“
Oder noch ein Jahr später im Fernsehen, als Becker Silvio Berlusconi als FC-Präsidenten ins Spiel bringt. Auf die Frage der „Neuen Osnabrücker Zeitung“, ob es schon so weit gekommen sei, erwidert Becker, Köln sei die nördlichste Stadt Italiens und der FC etwa so seriös gemanagt wie Italien regiert. Aber: „Viele Italiener schämen sich mittlerweile für Berlusconi. Die Kölner sind stolz auf ihren FC und feiern auch, wenn er verliert.“
Und dann gibt es 2016 auch noch diesen Becker-Spruch im „Express“: „Köln ist so etwas wie Lothar Matthäus als Stadt.“ Das verwirrt jedoch. Ist das jetzt positiv oder negativ gemeint und wenn ja, für wen? Fazit: Wenn selbst Becker mit solcher Mehrdeutigkeit keine Klarheit in die Derby-Frage bringt, ist auch dieser Versuch gescheitert.
III. Ein feiner Verein gegen ostholländische Bauern
Dior-Kunden treffen auf grenznahe Kartoffelsäcke
Eine Kölner Sichtweise zieht sich so oder ähnlich schon länger durch die Fußballgeschichte: Die Gladbacher Fohlen sind nur ein provinzieller Emporkömmling aus dem „Ost-Holländischen“ und ihre Anhänger sind „Boore“ (Bauern). So titelt im August 2003 die „Kölnische Rundschau“ vor dem Derby: „Ostholland freut sich auf Ziegenclub“. Der Boulevard kann noch anders, im September 2014 ätzt der „Express“ unter dem Motto „50 gute Gründe, ein Geißbock zu sein!“: „weil wir keine ostholländische Enklave sind.“ Und der Fernsehsender „n-tv“ beschäftigt sich 2016 mit der Vorliebe von Borussen-Keeper Yann Sommer für knallfarbene Trikots: „Was ihm ruhig jemand hätte sagen können: Ein Gladbacher Torwart in Oranje amüsiert die Fans des Erzrivalen aus Köln sicher prächtig – die verspotten die Borussia gern als Bauern aus Ostholland.“
Ostholländische Bauern. Eine nicht bis zu Ende gedachte Schmähung, die einkassiert wird von einer Erkenntnis des früheren Bundespräsidenten Gustav Heinemann: Wenn du mit dem Finger auf andere Leute zeigst, weisen drei Finger deiner Hand auf dich zurück. Der erste Ausländer, den der 1. FC Köln nur zwei Jahre nach seiner Vereinsgründung verpflichtet, ist ein … Holländer. Nationalkeeper Frans de