Feldstudien auf der Hundewiese. Marc Bekoff

Feldstudien auf der Hundewiese - Marc Bekoff


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wahrnehmen können, ob sie Eifersucht empfinden, wissen, wer sie sind und Selbsterkenntnis erlangen können.

      Dieses Buch ist bewusst so geschrieben, dass es dem breiten Publikum jener Menschen zugänglich ist, die meine Faszination und mein Interesse an Hunden teilen. Es ist ein Buch für alle, die mir auf der Hundewiese begegnen: Akademiker, andere Experten, engagierte Hundeliebhaber und einfach alle, die sich um ein vierbeiniges Familienmitglied kümmern. Sie alle haben gemeinsam, dass sie sich bemühen, die Lebensqualität und Lebensfreude ihres Hundes zu maximieren. Viele von ihnen wollen mehr über das Verhalten ihrer Kameraden lernen. Außerdem hoffe ich, dass dieses Buch den Ton unserer Gespräche widerspiegelt: persönlich und oft unbeschwert, gleichzeitig aber auch so detailliert, kritisch und wissenschaftlich fundiert, wie ich sie nur halten kann. Wichtig ist mir der Hinweis, dass wir bestimmte Aussagen nicht mit ausreichend Daten belegen können und weitere Studien nötig sind. Das, was wir jedoch über das Verhalten der Hunde wissen, sollten wir dafür einsetzen, bestmöglich für sie zu sorgen. Dazu gehört auch das Trainieren bzw. Ausbilden unserer Hunde. Es gibt keinen Grund, grausame oder gewalttätige Methoden einzusetzen, um unsere Hunde dazu zu bringen, sich in einer von Menschen beherrschten Welt unseren Wünschen entsprechend zu verhalten.

      Ich schätze mich unglaublich glücklich, ein Forscher auf der Hundewiese zu sein und hoffe, andere zu inspirieren, es mir gleichzutun. Ich verbringe einen großen Teil meiner Zeit damit, in der Gesellschaft von Hunden über sie zu lesen und zu schreiben. Wir werden zwar niemals alle Geheimnisse dessen lüften, was in den Köpfen und Herzen anderer Tiere – darunter auch unserer Hunde – vor sich geht, aber wir wissen doch bereits viel darüber, was sie denken und fühlen. Häufig ist es eine Frage des gesunden Menschenverstandes, gut für sie zu sorgen.

      Sind Sie bereit? Dann kommen Sie, lassen Sie uns die Hunde treffen!

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       Ich verbrachte unzählige Stunden damit, Zeke und seine Freunde beim gemeinsamen Spielen und Entspannen in meinem Zuhause in den Bergen am Rande von Boulder, Colorado, zu beobachten. (Foto: R. J. Sangosti/Denver Post/Getty Images)

       Vom Glück, unser Leben mit Hunden zu teilen

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       Auf den Hundewiesen der Stadt Boulder in Colorado sind Paul und Pina als „Popo-Fans” wohlbekannt. Es ist unschwer, zu erraten, woher der Spitzname kommt: Um bekannte und neue Menschen und Hunde zu begrüßen, steuern sie direkt deren Popo an. Sally und Simba hingegen, „die Schamlosen”, konzentrieren sich erst einmal auf die Schrittgegend, wo sie ganz ungeniert schnüffeln und schnaufen. Zugegebenermaßen habe auch ich schon mehrmals eine derartig enthusiastische Hundeschnauze im Schritt gefühlt, dass ich um meine Stimme fürchtete.

       Kimmy, „die Kotfresserin”, hat einen unermüdlichen Appetit auf Exkremente, während Zora „die Zunge” und Shari „die Schleckerin” die Zweibeiner im Hundepark mit der Zunge begrüßen und eine nasse Sabberspur hinter sich zurücklassen.

      Ingo und Ines sind „immer in Stimmung”. Fröhlich und ohne zu zögern reiten sie ihren Artgenossen auf, ganz gleich, ob diese männlich oder weiblich, intakt oder kastriert sind. Mit gekonnter Akrobatik steigen sie auf und haben ihren Spaß. Mehr als einmal entlud sich ihr manisches Aufreiten und eher unpassendes Stoßen schon an einem meiner Beine, und regelmäßig schlägt Ines’ Halterin die Hände überm Kopf zusammen und ruft: „Meine Güte, ich hab sie kastrieren lassen, damit sie damit aufhört!” Ines ist ein Beispiel für jene Art Vierbeiner, die ich liebevoll als ADHS-Hund bezeichne: ein Hund mit Aufmerksamkeits-Defizit-Syndrom. Giovanni, der „Phallus-Fetischist”, begegnete mir zum ersten Mal vor einigen Jahren. Ich muss wohl nicht näher erklären, womit er sich – unter den wohlwollenden Blicken seines Menschen – gern die Zeit vertreibt! Als ich Giovannis Herrchen darauf hinwies, dass mir dies nicht recht sei, antwortete er: „Er macht es so gern, also was soll’s …”

       Die Schnauzen im Schritt, der Sabber auf der Haut und das ausgelassene Aufreiten resultieren in zahlreichen Fragen und angeregten Gesprächen darüber, warum unsere Hunde gewisse Dinge tun, als gäbe es kein Morgen, und wie wir Menschen damit umgehen sollen.

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      Ich gebe den Hunden, die mir auf der Hundewiese begegnen, genau wie den Hunden, mit denen ich zusammenlebe, liebend gern Spitznamen. Oft stehen die Namen mit bestimmten Körperteilen in Verbindung: Schließlich dreht sich das Verhalten unserer Vierbeiner häufig um Nasen, Mäuler und Zungen, Beine und Popo. Wenn Hunde einander begegnen oder einen Menschen begrüßen, so nehmen sie auf die unterschiedlichste Art Kontakt auf: Sie sehen einander in die Augen, berühren einander mit der Schnauze und stecken ihre Nasen in die Schrittgegend oder riechen am Popo. Wir alle wissen, dass nichts und niemand vor der Nase eines Hundes sicher ist: Die Hundewiese steckt voller olfaktorischer Geschichten und Daten.

      Die Begeisterung der Hunde für Dinge, die wir Menschen meiden würden, unangemessen oder widerlich finden, schmälert unsere Liebe für die Vierbeiner nur selten. So finden etwa „Furzer”-Fredi und „Analdrüsen”-Anton nichts schöner, als ihre Gase und beißenden Gerüche mit anderen zu teilen. Fredi furzt und Anton presst stinkende Klümpchen aus seinen Analdrüsen, die immer wieder am Bein eines Menschen landen. Lacht das zweibeinige Publikum, so sehen die Hunde dies als Aufforderung, ihre liebsten Verhaltensweisen noch öfter zu zeigen: Sie rammen so viele Menschen wie nur möglich mit der Schnauze, versuchen, den Zweibeinern die eigene Zunge in den Rachen zu stecken, lassen links und rechts einen fahren und blasen den Hundewiesenbesuchern begeistert ihren Atem ins Gesicht.7

      Ich erinnere mich gut an einen älteren Herrn, der mich im Hundepark zur Seite nahm, um mir hinter vorgehaltener Hand zu erklären, was mit Lucifer, einem Hund, der für seinen üblen Mundgeruch berüchtigt war, vor sich ginge: Lucifers Halterin, meinte er, „sieht es einfach nicht. Ihr Hund hat die Gleich-Krankheit. Sein Maul riecht genau gleich wie sein Hintern. Wenn sie das endlich einsieht, wird’s uns allen besser gehen.”

      Was hündischen Mundgeruch betrifft, erzählte mir meine Freundin Kimberly Nuffer eine Geschichte zum Thema „Stinkzungensyndrom” oder SZS:

      Wir holten Zelda (Zipper, ZDog) aus dem Tierheim in Aurora. Schon beim ersten Kennenlernen kletterte sie in meinen Schoß und begann herzzerreißend zu winseln, als wir sie wieder in ihren Zwinger zurückbrachten. Als wir sie schließlich abholten, durfte sie eine Woche lang nicht gebadet werden, damit ihre Kastrationsnähte heilen konnten. Im Tierheim war sie wohl auch noch nicht gebadet worden, seit man sie auf den Straßen Auroras aufgelesen hatte. Die Tatsache, dass Zelda nach einem Müll fressenden Streuner roch, hielt mich nicht davon ab, meinem neuen Familienmitglied Zuwendung zu schenken. Sie schlief in unserem Bett und ich kuschelte viel mit ihr. Als die Nähte gezogen waren, setzte ich sie in die Badewanne, was sie dringend nötig hatte. Danach wurde direkt weiter gekuschelt, da ich dabei war, eine innige Beziehung zu Zelda aufzubauen. Dem Lavendelshampoo zum Trotz roch sie auch nach ihrem Bad kaum besser als zuvor. Selbst das Abscheren ihres lockigen grauen Pudelfells schaffte keine Besserung: Der Geruch kam aus Zeldas Maul! Sie roch nach verwesendem Fleisch – anders lässt es sich nicht beschreiben. Wir untersuchten ihre Zähne – sie waren perlweiß, nicht gelb, keine faulenden Stümpfe. Auch ihre Zunge sah gesund und rosa aus, jederzeit bereit, einen Zweibeiner zu küssen. Wir ließen ihre Zähne professionell vom Tierarzt reinigen. Kein einziger musste gezogen werden; ihr Gebiss war in bestem Zustand. Ihr Mundgeruch verschwand nach dem Zähneputzen … jedoch nur einen Tag lang. Auch heute, zehn Jahre später, erinnert Zeldas Mundgeruch noch an verwesendes Fleisch – dem regelmäßigen Zähneputzen, wöchentlichen Baden, biologischem Futter und Pfefferminz-Kaustangen zum Trotz. Manchmal ist es ein wenig besser und manchmal viel schlimmer, aber niemals verschwindet der Gestank vollständig. Das Rätsel bleibt bis heute ungelöst. Um ihr über die Schamgefühle


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