Wie Satan starb. Artur Hermann Landsberger
bitte?“ unterbrach ihn frotzelnd der Medizinalrat. „Darf ein derart tollwütiger Vaterlandsparteiler ...“
„Erlaub’ mal!“ setzte sich der Landrat zur Wehr.
„Verzeih, lieber Neffe! wenn ich nicht fürchten müsste, dein patriotisches Gefühl zu verletzen, so hätte ich natürlich gesagt: darf ein so fanatischer Sprachreiniger wie du Worte wie Sensibilität gebrauchen?“
Der Landrat stutzte und verbesserte schnell:
„Ae ... ich ... e ... meine natürlich ... na, wie sagt man gleich?“
„Empfindsamkeit,“ sprang ihm seine Frau bei.
„Richtig!“ erwiderte der Landrat. „Ganz recht! das wollte ich natürlich sagen: Empfindsamkeit. Also bei seiner Empfindsamkeit — obgleich das Wort wohl doch nicht ganz das trifft, was ich eigentlich sagen wollte ...“
„Ah!“ rief lachend der Medizinalrat.
„Also jedenfalls bei seiner Veranlagung, die sich in den Jahren gewiss noch stärker ausjeprägt hat, halte ich es für durchaus notwendig, dass ihn gleich bei seiner Ankunft einer von uns in die Finger bekommt.“
„Nun also,“ sagte Frau Julie.
„Nur, ob du da die Geeignete bist — nimm’s mir nicht übel, Mama, — bei aller Hochachtung, aber das glaube ich nicht.“
„Wie? ich, seine Mutter, wäre nicht die Geeignete? — Ja, Anton, ist es denn möglich, dass du das im Ernste sagst?“ fragte Frau Julie entsetzt.
„Du befindest dich begreiflicherweise jetzt in einem — na, sagen wir mal Freudenrausch — das soll kein Vorwurf sein. Als Mutter, da ist das am Ende sogar natürlich — wennjleich ich offen sagen muss, dass du dich nach meinem Jefühl — und ich bin auch nicht von Stein — als deutsche Mutter dennoch etwas gar zu hemmungslos deiner Freude hingibst.“
„Soll ich in meinem Hause etwa mit meinen Gefühlen für mein Kind zurückhalten?“ fragte Frau Julie erregt.
„Verzeih!“ entschuldigte sich der Landrat und griff nach Frau Julies Hand, um sie zu küssen. Sie zog sie zurück.
„Er meint es ja nicht so,“ verteidigte ihn seine Frau.
„Ich fürchte einfach,“ fuhr der Landrat fort, „dass du zu weich ihm gegenüber sein wirst.“
„Kann man zu einem Kinde, das fünf, vielleicht grauenvolle Jahre von seiner Heimat, seiner Mutter, von allem, was es liebte, getrennt war, überhaupt weich genug sein?“ fragte Frau Julie.
„Es ist mir wahrhaftig äusserst peinlich, liebe Mama,“ sagte der Landrat, „dir deinen Freudenbecher sozusagen verwässern zu müssen. Aber ich sehe weiter. Und da Erfahrungen dazu da sind, dass man aus ihnen lernt, so meine ich: jetzt ist die Jelegenheit, wie vielleicht kein zweitesmal mehr da, um Peter mit fester Hand anzupacken und zu den Grundsätzen zu bekehren, die in unseren Familien Gott sei Dank seit Jahrhunderten bestanden haben.“
„Lass ihn doch erst einmal zur Besinnung kommen,“ fiel ihm der Medizinalrat ins Wort.
„Heute mehr denn je,“ fuhr der Landrat fort, „ist ein fester Zusammenschluss notwendig.“
„Worin hätte sich Peter denn jemals gegen die Traditionen der Familie vergangen?“ fragte Frau Julie erregt.
„Na, erlaub mal!“ wandte sich der Landrat gegen seine Schwiegermutter. „Das reizt denn doch beinahe zu der unhöflichen Frage: hat dein Gedächtnis in den paar Jahren denn derart gelitten? — Was mich betrifft, so ist die ganze Zeit über kein Tag vergangen, an dem ich nicht dankbar mir ins Jewissen jerufen habe, welcher Jefahr wir alle damals mit knapper Not entjangen sind.“
„Du übertreibst,“ rief Ilse; und Hilde, des Landrats Frau, stimmte ihrer Schwester bei und sagte:
„Masslos übertreibst du!“ — Und halblaut fügte sie hinzu: „Wie immer und in allem.“
„Das hängt von dem Mass des jesellschaftlichen Reinlichkeitsjefühls ab, mit dem man behaftet ist,“ erwiderte der Landrat. „Für eine Familie, die auf sich hält, jibt’s nach meinem Empfinden nichts Aergeres als eine Deklassierung.“
„Was ist das?“ fragte der Medizinalrat spöttisch, und zu seiner Schwester, die stark bewegt war, sagte er: „So rege dich doch darüber nicht auf, Julie!“
Der Landrat war sichtlich in Verlegenheit.
„Ah so!“ sagte er. „Ich meinte ... ä ... ja, wie sagt man da?“ — Er fuchtelte mit der Hand in der Luft herum — „Na! ... ä ... Abgrund ist wohl nicht das richtige Wort dafür. Aber ... ä ...“ — und dann stiess er mit grosser Bestimmtheit hervor: „Niederjang! das trifft’s! Also, ich meine, dass wir ganz einfach die Pflicht haben gegen uns selbst, und heute mehr denn je, uns davor zu schützen, dass nicht durch den Leichtsinn irgendeines von uns — und dieser Eine is in diesem Falle erfahrungsjemäss kein anderer als mein verehrter Schwager Peter — den Niederjang unserer Familie — das heisst: Niederjang is wohl doch nicht das richtige Wort — jedenfalls, ihr wisst, was ich meine — kurz und gut: ich für meine Person habe keine Lust, meinen Namen und meine Karriere und die meiner Kinder den Aventüren ...“
„Wie bitte?“ zog ihn der Medizinalrat auf. „Karriere, Aveutüren! Was sind das für Worte!“
„Ae,“ verbesserte sich der Landrat schnell. „Ich wollte sagen, den Abenteuern — das heisst, es ist wohl doch mehr. Denn, wenn es das nur wäre — Jedenfalls: jetzt ist Zeit und Jelegenheit, dem ein für alle Male einen Riegel vorzuschieben.“
„Was willst du eigentlich?“ fuhr ihn Frau Julie, die sich nicht länger beherrschen konnte, in einem Tone an, den niemand an ihr kannte.
„Sehr einfach!“ erwiderte der Landrat. „Ich will vermeiden, dass wir durch die Unbeherrschtheiten deines Sohnes noch einmal wie vor fünf Jahren in die Gefahr eines Skandals kommen, der mir heute noch in den Gliedern liegt.“
Frau Julie schwieg erst und sah den Landrat erstaunt an. Dann schüttelte sie den Kopf und sagte mit bewegter Stimme:
„Du nennst es einen Skandal, der dir heute noch in den Gliedern liegt! — Ich denke daran zurück als ein von uns begangenes Verbrechen, das mein Gewissen heute noch genau so quält wie vor fünf Jahren.“
„Wozu musstest du nur davon anfangen?“ schalt Hilde ihren Mann. „Und dann grad heut! wo wir die ganzen Jahre über mit Mama nicht davon gesprochen haben.“
„Hätten wir’s nur!“ erwiderte Baron Zobel. „Hätten wir nur davon gesprochen! und zwar so oft wie möglich, damit sich in Mama nicht so unsinnige Ideen festgesetzt hätten.“
„Ich muss auch sagen,“ stimmte der Justizrat bei, „dass das die Dinge denn doch etwas einseitig beurteilen heisst.“
„Sie auf den Kopf stellen heisst,“ fiel ihm Zobel ins Wort.
Der Landrat unterdrückte, was ihm schwer genug fiel, die Erwiderung, die ihm auf der Zunge lag, und beschränkte sich darauf, sich in den Sessel zurückzulehnen, die Beine übereinander zu schlagen und zu sagen:
„Na! Dann kann das Theater ja wieder losgehen! Aber ich spiele nicht mehr mit. Ich nicht! Und meine Frau und meine Kinder auch nicht!“
„Ich weiss gar nicht, was du eigentlich willst,“ sagte Hilde und wandte sich an ihren Mann. „Das liegt doch glücklich hinter uns.“
„Um morgen in neuer Auflage seine Wiederholung zu erleben.“
„Aber das ist ja doch gar nicht möglich,“ erklärte Ilse, „das Mädchen ist doch tot.“
„Auf das System kommt es an! auf den Geist! ob der tot ist. Davon hängt es ab. Aber er lebt, wie ihr aus Mamas Worten ja eben gehört habt.“
„Da hat er recht,“ bestätigte Zobel. „Was nützt es, dass diese Aenne starb, solange man befürchten muss, dass morgen eine Else oder Grete an ihre Stelle