Wie Satan starb. Artur Hermann Landsberger

Wie Satan starb - Artur Hermann Landsberger


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      „Was man so lieben nennt,“ warf Baron Zobel ein.

      „O nein!“ widersprach Frau Julie, „vielmehr eine Liebe, wie man sie heutigen Tages leider nur noch selten findet. Sie vertraute ihm und er hatte den ernsten Willen, sie zu seiner Frau zu machen.“

      „Das is ja doch der Wahnsinn!“ erwiderte der Landrat. „Um es dazu nich kommen zu lassen, um diese Mesalliance zu verhindern, veranlassten wir seine Versetzung nach Südwest.“

      „Weil wir keine Ahnung von der Tiefe des Gefühls hatten, das die beiden Menschen miteinander verband,“ sagte Frau Julie, und der Medizinalrat ergänzte:

      „Weil wir uns einredeten, diese Trennung würde genügen, um sie auseinander zu bringen.“

      „So hattet ihr es mir wenigstens dargestellt,“ sagte Frau Julie, „ich sehe euch beide“ — wandte sie sich an ihre Schwiegersöhne — „noch vor mir, als wenn es heute wäre. ‚Lass uns nur machen,‘ sagtet ihr, ‚das geht ganz schmerzlos. Man macht ihr klar, dass Peter für die nächsten Jahre fort ist, für ihre Zwecke also ausscheidet, legt auf die Wunde ein Pflaster und verabschiedet sie an den Nächsten, mit dem es ihr ein paar Monate später dann genau so geht.‘“

      „Das ist ja doch so üblich,“ erwiderte Zobel, und Frau Julie sagte:

      „Ich, die ich von den Dingen natürlich keine Ahnung hatte, war entsetzt und fragte: ist es denn möglich, hat so eine Frau denn kein Gefühl? worauf ihr nicht ohne Spott erwidertet: ‚Gewiss! das hat sie schon. Aber die Person spielt dabei keine so grosse Rolle. Wen sie hat, auf den konzentriert sie’s.‘“

      „Tut se’ auch,“ bestätigte der Landrat, „wenigstens im allgemeinen.“

      „Aber ihr nahmt euch nicht die Mühe, festzustellen, ob euer Wald- und Wiesenrezept auch auf diese Aenne zutraf. Bei ihr war die Liebe nicht das Primäre, für das sie nur einen Gegenstand der Betätigung suchte: gleichviel, wer es war. Peter war es, der jenes Gefühl in ihr zum Erwachen brachte, das eine Frau nur einmal und nur an einen zu vergeben hat. Für eine Frau von Wert wird das ihr Schicksal bedeuten. Aenne war so eine! Ihr kamt ihr erst in moralischer Pose und suchtet mit Geld und sachlichen Argumenten ein Gefühl, wie einen Vertrag oder eine Sache wegzudiskutieren. Und der Erfolg? Und das Ergebnis? Es stellte sich heraus, wieviel tiefer und moralischer ihr Gefühl war, als euer Zorn und eure Entrüstung. Ihrem einfachen und unverfälschten Wesen gegenüber, den schlichten Worten, die ihr Herz als Antwort auf alle eure spitzfindigen Reden fand, wirktet ihr in eurer Gespreiztheit und mit euren gesellschaftlichen Phrasen, verzeiht, possenhaft. Aller Schmutz, den ihr, da euer so erprobtes System bei Aenne nicht zum Ziele führte, in eurer gekränkten Eigenliebe auf sie abzuladen suchtet, glitt von diesem reinen Kinde, das nichts wusste und nichts wollte, das nur liebte und geliebt sein wollte, ab wie von einer Heiligen. Ich übertreibe nicht und die Zeit hat ihr Bild nicht verklärt — aber nie in meinem langen Leben habe ich die Gegensätze und gesellschaftliche Lüge stärker empfunden als in jenen peinlichen Stunden, da ihr über diese Aenne zu Gericht sasst, und ihre reine Liebe trotz aller Liebesnächte über eure anempfundene Moral und künstliche Erregung triumphierte.“

      „Aber Mama,“ sagte Hilde mit einem ängstlichen Blick auf den Landrat.

      „Lass nur, mein Kind,“ erwiderte Frau Julie, „wir alle spielen ja das ganze Leben über Komödie. Einmal dürft ihr euch von eurer alten Mutter schon die Wahrheit sagen lassen. Wenn der armen Aenne auch nicht mehr damit geholfen ist, so sollt ihr wenigstens mit Scham und Reue und Achtung an sie denken.“

      Der Landrat verzog den Mund, glitt lässig in den ledernen Fauteuil zurück, zog mit grosser Nachlässigkeit erst sein goldenes Zigaretten-Etui, dann sein goldenes Gehänge aus der Tasche und zündete sich eine Zigarette an. Frau Julie aber sah an dem Ausdruck seines Gesichts, wie erkünstelt seine Ruhe war.

      „Ihr empfandet es ja denn auch als das, was es war,“ fuhr Frau Julie fort, „als eine moralische Niederlage, die euch um so schwerer traf, als ihr auf seiten eures Gegners alles vorausgesetzt hattet, nur keine Moral. Auf Wut, Niedertracht, Geldgier, auf alles das wart ihr gefasst! Denn über diese Mittel verfügtet auch ihr und konntet sie daher mit der Art nach gleichen, an Wirkung aber zehnfach, hundertfach stärkeren Waffen niederkämpfen. Nur über Moral verfügtet ihr nicht! Ich will euch nicht zu nahe treten, gesellschaftliche Moral, gewiss, die besasset ihr! Darin übertrifft euch niemand! Aber die reine Moral, die unbewusste, die von Gott kommt, davon habt ihr in euren Kindertagen vielleicht einmal einen Hauch gespürt. Nun, da sie in dieser Aenne wieder vor euch hintrat, wart ihr entwaffnet. Und in dieser Bedrängnis — und darin liegt denn auch die einzige Entschuldigung für euch! — wuchs eure Wut ins Ungeheure und ihr verhundertfachtet eure Niedertracht, um das arme Geschöpf zu Tode zu hetzen. Ihr liesst ihr suggerieren, Peter sei ihr untreu geworden, habe sie aufgegeben. Ihr Glaube erwies sich stärker als eure Lüge! Ihr liesst ihr nachstellen, suchtet auf raffinierteste Weise sie zu Fall zu bringen. Auch das gelang nicht. Jetzt hetztet ihr den Vater gegen sein Kind. Damit hattet ihr mehr Glück. Dieser einfache Mann war leicht zu verwirren. Von dem Glauben an einen verbotenen Umgang mit Peter, den ihr ihm wie ein Gift beibrachtet, bis zu der falschen Vorstellung, dass sein Kind eine Dirne sei, war nur ein Schritt. Er warf Aenne aus dem Haus. Aber die Mutter, die zu ihrem Kinde hielt, ging mit. So war es für euch nur ein halber Triumph. Was tatet ihr nun? Ihr stecktet euch hinter die Mutter. Und als die, die das Herz ihrer Tochter kannte, sie zu keinem Verzicht auf Peter bringen wollte, da triebt ihr die Aenne auf infame Weise aus ihrer Stellung und sorgtet dafür, dass sie auch anderswo nirgends mehr ankam. Ihr glaubtet: was Gewalt nicht erreicht, erzwingt am Ende der Hunger. Aber mehr als der Hunger frassen an der Alten die Sorge um ihr Kind und die Sehnsucht nach ihrem Mann. Es dauerte nicht lange, da setzte eines Tages das gequälte Herz aus. Jetzt schwankte Aenne wohl, die sich für den Tod der Mutter mit verantwortlich fühlte. Aber schliesslich erwies sich doch wieder die Liebe zu Peter als stärker. Ein um das andere Mal wiederholte sie: ‚Ein Wort von Peter, dass sein Gefühl für mich die geringste Aenderung erfuhr — und ich trete zurück, ohne dass jemand ein Wort zu verlieren braucht‘. — Da setztet ihr die famose Verlobung mit Margot Rosen in Szene, und um sie dem standhaften Peter mundgerecht zu machen, verdächtigtet ihr Aenne. Margot Rosen sass in Berlin, Peter in Südwest: er kannte sie kaum. Und so sagte er nicht ja, nicht nein; und so verlockend nach der für seine Karriere ja nicht gleichgültigen materiellen Seite hin die Partie war — er machte seine Entscheidung von Aenne abhängig. Da wandtet ihr euch an den verkommenen Baron Seifert, um den ihr sonst in einem weiten Bogen herumgingt, und verspracht ihm Geld und hetztet ihn auf sie. Dieser Hund“ — Frau Julie zitterte am ganzen Körper — „nie, solange ich lebe, habe ich solch ein Wort für einen Menschen gebraucht, aber es ist zu gut für ihn, denn dieses verkommene Subjekt“ — Frau Julie senkte den Kopf, dämpfte die Stimme und sagte: „Es soll nicht über meine Lippen kommen, was er mit ihr tat. — Zu Tode gehetzt, in ihrer höchsten Not flüchtete sie zu dir, Martin,“ wandte sich Frau Julie an den Medizinalrat, „und du tatest, was als Mensch deine Pflicht war — du führtest sie zu mir! Und nun erst erfuhr ich all das, was ich eben geschildert habe. Aber darüber hinaus: ich lernte einen Engel kennen, gütig, klug — aber ohne Kraft mehr zum Leben. — Das hattet ihr aus ihr gemacht! Da schämte ich mich — zum erstenmal in meinem Leben. — Nie empfand ich mehr die Sinnlosigkeit aller gesellschaftlichen Vorurteile. Ich verglich Margot Rosen mit ihr und wusste, wo für meinen Jungen das Glück lag. Ich hatte nur noch ein Gefühl: sie ihm zu erhalten und dafür zu sorgen, dass er an ihr gutmachte, was ihr an ihr gesündigt hattet. Auch ich! Denn wenn ich eure Mittel auch nicht kannte, ich kannte euch! Ich hätte mich darum kümmern müssen. Aber mit soviel Liebe ich sie nun umgab, so heilig ich ihr auch versicherte, dass ich sie als Peters Braut und mein Kind betrachte — sie lächelte nur und schüttelte den Kopf. Und als ich hinausging, um Papier und Feder zu holen und an Peter zu telegraphieren, war sie fort. — Eine halbe Stunde später stand ich in einer kleinen, sauberen Stube vor einer Chaiselongue, fiel in die Knie und küsste die Lippen seiner toten Braut. Ich fühlte in dieser Stunde wie eine Mutter, die ihr Kind verliert. Und als ich ihr die Augen geschlossen hatte und aufstand — ihr wisst, ich bin nicht fromm — da faltete ich die Hände und sagte so laut, dass ich vor mir selbst erschrak: Gott gib, dass wir die Schande überleben.“

      Alle


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