Wie Satan starb. Artur Hermann Landsberger

Wie Satan starb - Artur Hermann Landsberger


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sind.“

      Sie winkte ihrem Bruder, dem Medizinalrat. Er ging auf sie zu und reichte ihr den Arm. An der Tür wandte sie sich um und sagte:

      „Das also soll das letztemal gewesen sein! Und nun gute Nacht, Kinder! Ich bin müde.“ — Sie bewegte leicht den Kopf, sagte noch einmal „gute Nacht“ und ging aus dem Zimmer.

      „Gute Nacht, Mama!“ sagten gedämpft ein paar Stimmen, als sie am Arme des Medizinalrates durch die Tür schritt.

      II

      Als Frau Julie draussen war, herrschte zunächst Totenstille. Der Landrat zündete sich wieder eine Zigarette an und sah, als er das Streichholz löschte und auf den Tisch legte, unabsichtlich seinem Onkel, dem Justizrat, ins Gesicht. Schnell zog er das Etui noch einmal aus der Tasche, reichte es über den Tisch und sagte:

      „Bitte!“

      Der Justizrat lehnte ab; der Landrat verzog das Gesicht und glitt in den Sessel zurück.

      Nach einer Weile fragte Ilse von Zobel:

      „Was soll nun werden?“

      „Das hast du ja eben gehört,“ erwiderte der Landrat, und Baron Zobel bestätigte:

      „Deutlich genug war ja eure Mama.“

      „In manchem hat sie recht,“ erklärte Hilde, und Ilse nickte mit dem Kopf und sagte:

      „Die arme Mama!“

      Der Justizrat sah nach der Uhr und stellte fest:

      „Es ist halb acht,“ worauf auch Zobel und der Landrat ihre Uhren zogen und sagten:

      „Wahrhaftig!“

      Der Justizrat stand auf, knöpfte seinen Rock zu, dachte einen Augenblick nach und sagte:

      „Falls ihr mich braucht, ich bin zu Hause.“

      Er gab allen die Hand und ging. Als er draussen war, sagte Zobel:

      „Wollen wir nicht auch gehen?“

      „Na und?“ fragte Ilse und sah ihn an.

      „Das geht doch nicht,“ erklärte Hilde.

      „Warum nicht?“ fragte der Landrat.

      „Erstens haben wir Margot Rosen herbestellt.“

      „Ach du lieber Gott,“ sagte Zobel, verzog das Gesicht und trat vor den Likörschrank.

      „Und dann,“ fuhr Ilse fort, „wir müssen doch wissen, was wird.“

      „Gar nichts wird,“ sagte Zobel und goss sich einen Likör ein. „Was soll denn werden?“

      „Mir auch bitte,“ sagte der Landrat, trat an seinen Schwager heran, goss erst einen, dann einen zweiten uralten Meukow herunter, wischte sich mit seinem Batisttuch den Mund, klemmte das Monokel fest, stemmte die Arme in die Hüften, beugte sich ein wenig nach vorn und sagte:

      „Diese verfluchte Rührseligkeit! Machen wir uns doch klar, was ist denn eijentlich jeschehen?“

      „Nun fang nur du nicht auch noch an!“ wehrte Zobel ab und goss sich einen Chartreuse ein.

      „Jott bewahre! Fällt mir nich ein. Mir steht’s bis da! Aber unter uns: Tatbestand? Tippmamsell — Regierungsassessor. Das landesübliche Verhältnis. Statt auf Schmuck und Sekt mehr auf Jefühl jestimmt. Schon faul. Die Sache vertieft sich. Familie jreift ein. Ihre verfluchte Pflicht und Schuldigkeit. Jeder, der auf sich jibt, hält seinen Stall rein. Und ’n Stammbaum ist schliesslich keine Hühnerleiter. Sondern eine verdammt ernst zu nehmende Sache. Die Karriere des Jungen stand auf dem Spiel. Bei seinen Verbindungen konnte er’s mal zum Staatssekretär oder Botschafter bringen. Wir haben’s in Jüte versucht, indem wir ’ne Abfindung boten. Wir waren wahrhaftig nich kleinlich. Aber nee! Nu jerade nich! — Was sollten wir tun? Sollten wir nachjeben und uns mit der Pedellstochter verschwägern? Mama war jlücklich so weit. Sie öffnete die Arme, die Mätresse verwandelte sich in eine Märtyrerin und flog ihr als Schwiejertochter in die Arme. Das reine Theater! Na, da mag se denn wohl selbst jefühlt haben, dass was nich stimmte. Als sie am Halse unserer lieben Schwiejermutter hing, jing ihr der Atem aus! Es is eben doch ’ne andere Luft als in der Pedellsstube. Jott sei Dank! — Wenn n’en Droschkenjaul sich plötzlich für’n Steepler hält und über Hürden jeht und sich dabei das Jenick bricht, so is das seine Sache.“

      „Ausgezeichnet!“ stimmte Zobel bei: und der Medizinalrat, der eben ins Zimmer trat und die letzten Worte mit angehört hatte, sagte:

      „Gewiss! nur ist dir nicht ganz der Nachweis gelungen, lieber Neffe, dass du dich als Mensch so hoch über diese Aenne erhebst, wie der Steepler als Pferd über einem Droschkengaul steht.“

      „Na, erlaub mal,“ wehrte sich der Landrat gekränkt, „an Klasse doch nu mal sicher.“

      „Was du unter Klasse verstehst, ist etwas rein Aeusserliches,“ erwiderte der Medizinalrat. „Etwa: wenn ein reicher Viehhändler auf der Eisenbahn erster Klasse und ein gottbegnadeter Dichter dritter Klasse fährt, so bleibt der eine darob doch ein Vieh und der andere ein höheres Wesen.“

      „Erlaub mal,“ erwiderte der Landrat gereizt und trat fast drohend vor den Medizinalrat hin, „willft du damit etwa sagen ...“

      „I Gott bewahre,“ fiel ihm der ins Wort. „Da du meines Wissens kein reicher Viehhändler bist und die arme Aenne kein gottbegnadeter Dichter, so trifft auch der Vergleich auf dich nicht zu.“

      „Das wollte ich nur in aller Form festjestellt wissen,“ sagte der Landrat mit starker Betonung und wandte sich von dem Medizinalrat ab. Aber der Rittergutsbesitzer Kurt Freiherr von Zobel, dessen Güter einen besonders reichen Viehbestand hatten, setzte das Glas, das er eben zum Munde führen wollte, ab, wandte den Kopf zu dem Medizinalrat und sagte:

      „Ich muss dich ebenfalls um eine Erklärung ersuchen, Onkel.“

      „Aber ich sagte ja schon,“ erwiderte der Medizinalrat, „da die arme Aenne keine Dichterin war, so kannst du dich doch nur im Falle eines schlechten Gewissens betroffen fühlen.“

      „Danke,“ erwiderte Zobel, „das genügt mir,“ setzte an und trank seinen dritten Likör.

      Ilse, die schärfer sah, flüsterte dem Medizinalrat zu:

      „Ich bitt’ dich, Onkel, lass das! Wir haben gerade Verdruss genug. Sag’ uns lieber, was nun werden soll.“

      „Mir scheint, ihr werdet eure Mutter nicht zurückhalten können, zu Peter zu fahren.“

      „Sie wird ihm doch nicht erzählen, dass Aenne Selbstmord beging?“ fragte Hilde.

      „Nein,“ erwiderte der Medizinalrat, „ich habe ihr klar gemacht, wie das unter Umständen zeitlebens auf ihn wirken könnte. Sie sieht das ein und wird die Lüge, dass sie eines natürlichen Todes starb, aufrecht erhalten.“

      „Gott sei Dank!“ sagte Ilse und atmete auf.

      „Trotzdem halte ich es für notwendig,“ fuhr der Medizinalrat fort und wandte sich an die beiden Frauen, „dass eine von euch mit ihr fährt.“

      „Ich bin bereit,“ erklärte Hilde.

      Zobel wandte sich an seine Frau und sagte:

      „Dann fahr’ auch du mit!“

      „Fräulein Margot Rosen!“ meldete Johann.

      Im selben Augenblick rauschte ein ungewöhnlich hübsches und geschmackvoll gekleidetes junges Mädchen ins Zimmer. Vielleicht, dass die ganze Art ihrer Haltung und Kleidung für ein Mädchen aus gutem Hause eine Nuance zu mondän und bewusst war. Dass sie zu unbefangen auftrat und jene reizvolle Schüchternheit vermissen liess, hinter der sich sonst die Scheu und die Neugier erwachter Sinnlichkeit verbergen. Aber ihr Scharme milderte, was sonst vielleicht aufdringlich gewirkt hätte.

      Sie begrüsste höflich die beiden Damen, indem sie ihnen die Hand reichte, und


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