Wie Satan starb. Artur Hermann Landsberger

Wie Satan starb - Artur Hermann Landsberger


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nämlich ganz bestimmt drauf, dass ich ja sage. Aber er wird sich damit eben abfinden, dass ich, wenn ich später von Peter mal ein paar Wochen getrennt sein will, sein Sanatorium nicht als seine Frau, sondern als sogenannte Patientin aufsuche. Das aber tue ich bestimmt! Das bin ich ihm sozusagen moralisch schuldig. Oder finden Sie nicht?“ wandte sie sich an Ilse.

      „Ich kann das schwer beurteilen,“ sagte sie. „Auf alle Fälle sind Sie also entschlossen ...“

      „Peter zu heiraten,“ beendete Margot den Satz und stand auf. „Ja! das bin ich!“ wiederholte sie, streifte ihre weissen Schweden auf und trat vor Ilse und Hilde hin. „Ich verlasse mich nun also fest darauf.“

      „Das dürfen Sie!“ sagte der Landrat.

      „Und was hätte nun zunächst zu geschehen?“ fragte Margot.

      „Meine Mama fährt morgen nach Luzern und nimmt Peter in Empfang.“

      „Kann ich da nicht mit?“ fragte sie lebhaft. „Himmlisch jetzt in Luzern. Im Hotel National! Das heisst, im des Alpes ist die Verpflegung besser. Aber da kann man nicht hin, weil es zu billig ist.“

      „Meine Mama hat den Wunsch,“ erwiderte Ilse, „erst mal ein paar Tage mit ihrem Sohne allein zu sein.“

      „Das passt mir ganz gut. Da habe ich ein paar Tage Zeit, meine Garderobe in Ordnung zu bringen. Und wie erfahre ich, wenn ich fahren soll?“

      „Das werden wir Sie natürlich, sobald Mama ihn gesprochen hat, wissen lassen,“ erwiderte Ilse. — „Und wenn es Ihnen recht ist, machen wir morgen vormittag Ihren Eltern unsere Aufwartung.“

      „Natürlich! Das passt sogar ganz gut und wird Mama über Dr. Priester hinwegtrösten.“ Sie reichte allen die Hand, nickte ihnen noch einmal zu und sagte: „Also bis morgen.“

      Die Herren verbeugten sich. Zobel begleitete sie bis zur Tür. Ilse und Hilde sagten:

      „Auf Wiedersehen!“

      An der Tür drehte sich Margot noch einmal um und rief:

      „Und viele Grüsse und eine glückliche Reise für Mama!“

      Im ersten Augenblick stutzten alle. Dann sagten sie wie aus einem Munde:

      „Danke!“

      Als sie draussen war, herrschte zunächst wieder tiefes Schweigen. Alle sassen unbeweglich und starrten vor sich hin. Der Landrat lehnte sich in den Sessel zurück, liess das Monokel aus dem Auge fallen, zündete sich eine Zigarette an und sagte halblaut:

      „Na, ich danke!“

      Nach einer Weile sagte Ilse:

      „Ob das die richtige Frau für Peter ist?“

      „Kaum,“ erwiderte Hilde.

      Der Medizinalrat machte ein nachdenkliches Gesicht und sagte:

      „Mir missfällt sie nicht.“

      Als Johann eine Viertelstunde später die Familie auf den Flur hinausbegleitete, sagte er:

      „Recht leise, wenn ich bitten darf, die Frau Geheimrat schläft.“

      Ohne ein Wort zu sprechen, zogen sie sich an und gingen auf den Zehen über die Terrasse die Treppe hinunter bis in den Hausflur, wo ihnen ein Diener leise die Haustür öffnete.

      Johann irrte.

      Wohl war das Licht gelöscht und die Zofe entlassen.

      Aber Frau Julie von Reinhart schlief nicht. Verklärt und mit offenen Augen lag sie da und genoss das Glück, das, wenn auch von stiller Wehmut überschattet, doch stärker und innerlicher war als in jener Nacht, da sie ihrem Manne nach zwei Töchtern Peter, den Knaben, schenkte.

      III

      Peter war über Genf hinaus. Im ersten Dämmer fuhr der Zug den See entlang, der noch in tiefem Schlafe lag.

      Peter sass abgezehrt und wachsbleich, mit tief in den breitumränderten Höhlen liegenden, matten Augen, stumm, gebeugt und in sich versunken.

      Seine Kameraden standen und sahen mit staunenden Augen hinaus.

      Nach endloser Fahrt durch Frankreich, hinter verrammelten Fenstern, nach einer nicht endenwollenden Nacht, der letzten als Gefangene in Feindesland, lag nun, ein Märchen aus Tausendundeiner Nacht, schweigend in friedlichem Schlummer der See vor ihnen. Auch die Berge, an denen die letzten Schatten der Nacht hingen, schliefen noch.

      Eine feierliche Rührung war über alle gekommen. Ohne dass jemand ein Zeichen gab, waren sie aufgestanden und hatten sich an die Fenster gedrängt. Mit dem scheuen Glanz in den erstaunten Augen von Kindern, die, halbbewusst, zum ersten Male am heiligen Abend zu dem strahlenden Baume emporschauen — also starrten die dem Leben Zurückgegebenen die Landschaft an. Eine Weile lang; dann rissen sie die Mützen von den Köpfen, fassten sich bei den Händen, einer hob den Kopf ein wenig, und aus vierzig Kehlen erscholl leidenschaftlich und bewegt der Gesang:

      „Nun danket alle Gott!“

      Lautes Schluchzen mischte sich in den Gesang; erst vereinzelt und beherrscht; dann wuchs es an und gab dem Klang der Stimmen eine Rührung, die ohnegleichen war.

      Nur Peter sass in sich zusammengesunken auf seinem Platz und rührte sich nicht.

      Ein junger Offizier, der gestern noch bleich wie der Tod ausgesehen, jetzt aber vor Freude rote Wangen hatte, trat an ihn heran, legte ihm die schwere Hand auf die Schulter und sagte mit weicher Stimme:

      „Reinhart!“

      Peter erschrak, fuhr auf und sah ihn an. In seinen Augen lag etwas Wehes, Müdes.

      „Sieh dir das an!“ sprach ihm der blonde Offizier zu. „Du bist draussen! in der Schweiz! bist frei!“

      Peter nickte teilnahmlos.

      „Woran denkst du?“ fragte der Blonde.

      „An die da!“ erwiderte Peter mit zitternder Stimme und wies mit der Hand in die entgegengesetzte Richtung, in der der Zug fuhr.

      „Sie werden frei sein wie wir! — Sie werden alle heimbefördert.“

      Peter schüttelte den Kopf.

      „So reiss dich doch endlich aus den trüben Erinnerungen! Denk nicht immer zurück! Denke vorwärts!“

      „Ich kann nicht.“

      „Ja, was soll denn aus dir werden?“ fragte der Blonde entsetzt.

      „Nichts! — Ich möchte zurück.“

      „Wohin willst du?“

      „Nach Dahomey — zu den Meinen!“

      „Reinhart! Mensch! weisst du, was du sprichst?“

      „In das Lager von Abomey.“

      „Die Deinen sind in der Heimat! Oder hast du deine Mutter und Geschwister vergessen?“

      Peter schüttelte den Kopf und sagte:

      „Nein! — Aber ich gehöre zu denen da unten.“

      „Willst du in die Hölle zurück?“

      „Ich muss!“

      „Wer zwingt dich?“

      „Mein Gewissen. — Ich kann den Gedanken nicht ertragen, dass sie leiden — und ich sitze hier.“

      „Denke an dich! und danke Gott, dass du den Bluthunden nicht erlegen bist.“

      „Ein andrer wird an meiner Stelle leiden.“

      „Rede dich nicht in solchen Wahnsinn hinein! Dass du hier sitzt, bedeutet ein Opfer weniger!“

      „Zu spät,“ erwiderte Peter.

      „Wieso zu spät?“ fragte der Blonde.

      Peter hob mühsam seine Hände und streckte sie, die Flächen


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