Wie Satan starb. Artur Hermann Landsberger
überwinden kann?“ fragte der blonde Husar.
Peter sah ihn gross an und sagte laut und bestimmt:
„Ja! — Komm mit mir zurück, Lux! Lerne es!“
„Wo?“ fragte der.
„Unten! In Dahomey! In dem Gefangenenlager! Komm mit mir, Lux!“ sagte er bittend.
„Du hast doch nicht etwa im Ernste den Gedanken, in diese Hölle zurückzukehren?“
„Ich muss!“
„Wer treibt dich?“
„Gott!“
„Er hat dich daraus erlöst. Versündige dich nicht! Sei ihm dankbar!“
Peter stand auf und zitternd am ganzen Körper hob er die Hand zum Schwur und gelobte:
„Ich kehre zurück! — Hörst du’s, Venère? Ich komme! Bestie! Quälgeist! Deine Stunde schlägt! Der Mensch kommt, der von Gott ist. Ich schwör’ es euch, ihr Lieben, dass ich komme und euch erlöse oder mit euch leide!“
„Sie haben recht,“ sagte der Arzt. „Es ist Ihre Pflicht und die von uns allen, Mittel und Wege zu finden, um diese Unglücklichen zu befreien und ihre Peiniger zur Rechenschaft zu ziehen.“
„Kommen auch Sie mit mir!“ rief Peter und sein Auge strahlte. „Helfen auch Sie mit!“
„Gewiss! Aber nicht heut und nicht morgen. Denn, nicht wahr, wir wollen die Armen doch erlösen. Und das muss, soll es gelingen, bedacht und gut bedacht sein. Damit, dass wir mit ihnen leiden, ist ihnen nicht geholfen. Aber Sie haben ganz recht. Es muss etwas geschehen, und zwar schnell.“
Peter sah ihn gross an und sagte:
„Nicht jeder darf richten!“
„Gewiss nicht!“ gestand ihm der Arzt zu. „Die zuständige Stelle muss nach Vernehmung glaubwürdiger Zeugen, wie Sie einer sind, die Erlösung der Opfer und die Bestrafung der Schuldigen fordern, und wenn es nötig wird, erzwingen.“
„Nein!“ widersprach Peter. „Wer Uebel vergelten und gerecht richten will, muss an sich selbst das Uebel erfahren haben. Wie sollte er es sonst verstehen und gerecht sein.“
„Gut! gut!“ stimmte der Arzt ihm bei. „Ueber alles das werden wir in Ruhe miteinander reden. Von jetzt an sind wir ja nur noch der Form nach Gefangene und niemand hindert uns mehr, unsere Gedanken auszusprechen. Sie werben sehen, Reinhart, wenn wir erst ein paar Tage weiter sind, dann werden wir ruhiger über alles denken.“
„Nur nicht denken!“ drängte Peter. „Der Gedanke hat das Unglück über die Welt gebracht. Der Gedanke hat das Gefühl verdrängt, der erste Gedanke war die Lüge.“ Er wandte sich vom Fenster ab, durch das die Sonne schien, führte die Hände vors Gesicht und sagte: „Wenn doch der Tag nicht wäre!“
„Ja, aber Reinhart, wie stellst du dir das denn vor?“
Der Arzt gab dem blonden Husaren ein Zeichen, nicht weiter in Peter zu dringen, der ganz deutlich wieder Zeichen starker Erregung zeigte.
„Nichts stelle ich mir vor! Ich will nicht! Die Vorstellung ist die Ursache alles Uebels! Oder seht ihr denn noch immer nicht, was ihr damit angerichtet habt? Dank eurer falschen Vorstellungen und eurer Verstandesarbeit, auf die ihr euch soviel zugute haltet, ist ganz Europa heute ein Blutfetzen. Setzt endlich das Gefühl an die Stelle des Verstandes und ihr werdet morgen den ewigen Frieden haben!“
„Hören Sie, Doktor,“ sagte der blonde Husar strahlend, „hören Sie, was Reinhart sagt: Er hat doch ganz recht!“ Und in seiner Freude polterte er, ehe der Arzt es hindern konnte, daranflos. „Nicht wahr, Reinhart, du bist gar nicht krank, nur mit den Nerven ein wenig herunter. Gott sei Dank! Dich reissen wir wieder hoch!“
Er sah nicht, wie Peters Gesicht sich wieder veränderte.
„Nein!“ rief der laut. „Ihr reisst mich nicht wieder hoch Wohin wollt ihr mich reissen? Etwa mit eurem Verstand gegen mein Gefühl angehen? Ich will nicht. Bin ich euch etwa gefolgt? Freiwillig? Man hat mich herausgerissen! Mit Keulen und Ochsenziemern — genau, wie man mich hineingetrieben hat. Ich wollte bleiben. Ich war durch. Hatte alles vergessen, was ich wusste. Dachte an nichts mehr. Litt nur, litt. Und aus meinem Leid wuchs das Gefühl, die Liebe zu den Menschen. Und ihr wollt mich in die Welt zurücktreiben? Ihr meint es gut, aber ich will nicht! Ich habe eine Mission! eine grosse! heilige! von der ihr nichts wisst. Die ich fühle! Ich bin weder ein Heiliger, noch ein Narr, noch gar ein Kranker. Ich bin so gesund wie ihr,“ sagte er und lächelte wehleidig.
Er zog mit einem festen Ruck die Gardine vor das Fenster. Der Arzt hielt einen Kameraden, der ihn daran hindern wollte, zurück. Er schloss die Augen wieder und lehnte sich zurück, und an seinem schmerzverzerrten Mund erkannte der Arzt, dass er sich wieder in Dahomey, bei den Seinen, fühlte.
Der Zug fuhr durch einen Tunnel. Der Aufsicht führende Schweizer Offizier verkündete:
„Meine Herren! noch fünf Minuten!“
„Was ist in fünf Minuten?“ fragte der Arzt
„Luzern!“ erwiderte der Schweizer und schlug hinter sich die Türe zu.
Alles sprang auf. Mit dem Gefühl, dass ein Wunsch, den man jahrelang Tag für Tag, Stunde um Stunde heiss ersehnt hatte, sich nun erfüllen sollte, umfasste man in Gedanken schnell noch einmal alles, was hinter einem lag und nun plötzlich in endlose Ferne gerückt schien. Als lägen zwischen gestern und heute Jahre, so stark überschattete die Freude alles Vergangene, das nur noch wie ein Bild aus lang vergangener Zeit in der Erinnerung stand.
Empfanden so alle das Wort Luzern als den endgültigen Abschluss eines traurigen Kapitels und den Ausgangspunkt eines neuen Lebens, so war es für Peter nur eine Etappe auf dem Wege zu dem Ziel, das die Vorsehung ihm bestimmt hatte.
Völlig teilnahmlos nahm er seinen kleinen Koffer und schob sich durch den Gang zur Tür. Die vielen Menschen auf dem Bahnsteig sah er kaum. Als ein kräftiges Hurra zu den Wagen emporscholl und die Hunderte von Ausgetauschten körperlich schmerzhaft wie ein elektrischer Schlag traf, der das Blut wieder in Fluss brachte und Körper und Seele wie von einer Lähmung befreite und sie wieder zu vollwertigen Menschen machte — auch da empfand Peter noch immer nichts. Es glitt an ihm ab wie der beliebige Ruf eines Bahnbeamten. Automatisch folgte er den andern, liess sich von fremden Menschen und früheren Kameraden teilnahmlos die Hände schütteln und bewegte sich mit der Menge in das nahegelegene Hotel du Lac, wo sie nach einem feierlichen Empfange für die Nacht einquartiert wurden.
Als sie dann die geschmückte Hotelhalle betraten und das Lied: „Deutschland, Deutschland über alles!“ den Heimkehrenden entgegentönte, da traten selbst den Starknervigen die Tränen in die Augen. In dieser Stunde war Peter unter vielen Hunderten von Menschen der einzige, dessen Gesichtsausdruck unverändert und dessen Lippen geschlossen blieben.
Der rangälteste Offizier sprach patriotische Worte. Peter hörte sie kaum. Und als er zum Schluss nicht mit in das Hoch einstimmte, fiel er einigen neben ihm stehenden Offizieren zum ersten Male unangenehm auf.
Ein aus Deutschland zum Empfang gesandter würdiger Geistlicher trat vor.
„Kameraden!“ rief er den Heimkehrenden zu. „Ich war zu einer Zeit, da noch Frieden war, eines Sommers in Norderney. Das Meer spülte die Leiche eines jungen Mannes an den Strand. Es schien ein Engländer zu sein. Die Badegäste standen in einiger Entfernung neugierig und entsetzt um den Toten herum. Da trat eine vornehme Dame an den Toten heran, kniete vor ihm nieder, beugte sich über ihn und küsste ihn auf die Stirn. ‚Im Namen der fernen Mutter!‘ sagte sie. — So stehe auch ich hier als Abgesandter eurer fernen Mutter und heisse euch im Namen der heissgeliebten deutschen Mutter Erde willkommen!“
War es Zufall oder göttliche Eingebung, dass der würdige alte Herr jetzt auf Peter zuschritt, obgleich er in ziemlicher Entfernung von ihm stand, ihm die Hand auf den Kopf legte und ihn auf die Stirn küsste?
Ein wohliges Gefühl von Ruhe und Frieden empfand Peter. Unter dem weichen Druck