Türkischer Mokka mit Schuss. Susann Teoman
nach unseren Ausweisen fragte.
Wahrscheinlich wären Adi und ich noch lange ein Paar geblieben, doch unglücklicherweise erfuhren seine griechischorthodoxen Eltern von seiner Liaison mit einer Türkin, ergriffen drastische Maßnahmen und zogen einfach fort. Von Adonis habe ich danach nie wieder etwas gehört. So ist das eben. Aber hätte ich damals nicht angefangen, meine Mutter und meinen Vater zu belügen, hätte ich mich selbst um meinen Adonis gebracht, und das war eine Erfahrung, die es eindeutig wert war, alles zu riskieren.
Es ist übrigens überaus anstrengend, zwei Kulturen angehören zu wollen, davon kann ich ein Liedchen singen. Adi ist nicht der Einzige, der Eltern hat, die, sagen wir: »heimatorientiert« denken und handeln. Ich weiß das, denn immerhin bin ich auf diese Weise erzogen worden.
Meine Eltern sind Einwanderer aus der Türkei. In den Sechzigern zogen sie mitsamt ihren Familien nach Deutschland. Weiß der Teufel, was sie geritten hat, das zu tun. Mein Leben wäre weitaus weniger kompliziert verlaufen, wenn sie geblieben wären, wo sie waren!
Aber ich will nicht unfair sein. Sie konnten das ja nicht wirklich frei entscheiden. Mama war vierzehn und Papa war siebzehn, als ihre Familien sie mit nach Deutschland mitgenommen haben. Die beiden mussten Deutsch lernen in einer Zeit, in der es kein Geld für Kurse gab. Doch immerhin besaß schon jede Familie einen Fernseher, und so lernten sie Deutsch aus Filmen. Deshalb spricht Papa noch heute Deutsch wie John Wayne.
Sie kamen beide auf dieselbe Schule, und nachdem sie ihren Abschluss in der Tasche hatten, beschlossen sie, zu heiraten. Ich bin mir noch immer nicht so ganz sicher, ob es nun eine dieser arrangierten Ehen war und sie sich hinterher verliebten oder ob sie sich zuerst verliebt hatten und die Ehe im Nachhinein arrangiert wurde. Ist ja auch einerlei. Jedenfalls sind sie ein glückliches Paar, und ich bin ihr einziges Kind.
Wenn ich mich so umsehe, kann ich von Glück sagen, dass Mama und Papa moderne Menschen sind, die sich um Integration bemühen. Ich trage kein Kopftuch, genauso wenig wie Mama, und mein Papa ist glatt rasiert und trägt Mama auf Händen. Er kann spülen und Wäsche waschen, nur das Kochen ist Mamas Sache, weil alles, was er kocht, einfach nicht schmeckt. Wir sind eine normale, moderne, türkische Familie.
Trotzdem ist es nicht so leicht, seine kulturellen Fesseln abzuwerfen.
Meine Eltern wollten immer, dass ich es einmal besser habe als sie, also haben sie während meiner ersten drei Lebensjahre nur türkisch mit mir gesprochen, damit ich meine Wurzeln nie vergesse. Im Kindergarten konnte ich deshalb natürlich kein Wort Deutsch. Ich habe mich lange Zeit gewundert, was die vielen ausländischen Kinder hier machten, bis ich merkte, dass meine beste Freundin Pelin und ich hier die Fremden waren und nicht die anderen Kinder. Wie erklärte man, ohne ein Wort Deutsch zu sprechen, als Dreijährige einer ebenfalls dreijährigen blonden Zicke, dass nicht ich ihr die Kaugummis in die Haare geklebt hatte, sondern der freche Junge mit den Sommersprossen?
Zum Ramadanfest habe ich den Älteren aus meiner Familie die Hände geküsst und dafür Süßes oder Geld bekommen, und weil Mama und Papa sich auch den deutschen Sitten anpassen wollten, haben wir jedes Jahr zu Weihnachten lauthals »Stille Nacht, Heilige Nacht« gesungen und unter einem Tannenbaum aus pfefferminzgrünem Plastik Geschenke ausgepackt. Das war für mich vollkommen normal.
Mama und Papa dachten, dass ich so alles lernte, was für mein späteres Leben wichtig ist. Leider scheiden sich da schon unsere Geister.
Ich versuche ja mein Menschenmögliches, ihnen eine gute Tochter zu sein. Ich habe einen Beruf und wohne noch immer bei meinen Eltern, wie es sich für ein wohlerzogenes unverheiratetes türkisches Mädchen gehört, obwohl ich schon sechsundzwanzig bin.
Mehr müssen Mama und Papa nicht über mich wissen. Alles andere würde wahrscheinlich einen Herzinfarkt oder einen Kreislaufkollaps verursachen.
Ich lerne türkische Gerichte zu kochen und halte mit unseren ebenfalls türkischen Nachbarn höflichen Smalltalk. Wenn türkische Männer mich anstarren, senke ich den Blick, wie es sich für eine anständige unverheiratete junge Frau gehört.
Bisher bin ich damit eigentlich ganz gut gefahren.
Das alles erklärt nun aber noch lange nicht, warum ich mich hier auf einer unfreiwilligen Hochzeit befinde. Es begann alles an dem Tag, den Pelin und ich so lange gefürchtet hatten.
»Frau Moran, Frau Balabak, morgen ist es so weit: Ich trete den Rückzug an!«, verkündete unser Chef eines Tages strahlend.
Ich nickte ihm freundlich zu, und Pelin sagte bedauernd: »Wir werden Sie wirklich sehr vermissen, Herr Hase, Sie und ›Hobbit‹ natürlich auch.«
Was den Hasen so besonders sympathisch machte, war die Tatsache, dass er ein Pechvogel war.
Hase hatte einen Hund, nun ja, eigentlich war der Hund ja mehr ein mittelgroßes Pony oder ein kleines Rind, das kommt wohl ganz auf den Betrachter an. Sein Fell war kurz und grau gescheckt und sein Bellen tief und durchdringend. Hobbits Kopf war beinahe doppelt so groß wie meiner, und seine Augen hatten die Größe von Zwei-Euro-Stücken. Seine Tatzen hätten genauso gut einem Grizzly gehören können, und seine ständig feuchte Zunge leckte freundlich über jedes Gesicht in Reichweite. Hobbit war ein Rüde, und leider war er auch nicht kastriert.
Pelin und mich störte diese unwesentliche Tatsache eigentlich nicht, denn Hobbit war lammfromm und meistens mehr kuscheliger Bettvorleger als aggressiver Kampfhund.
Der Hase ließ ihn frei zwischen seinem und unserem Büro hin und her pendeln, und wir vier waren bis dato ein gutes Team, solange Hobbit friedlich war. Das war leider nicht immer der Fall.
Eines Tages knurrte und kläffte Hobbit unruhig. Langsam waren Pelin und ich wirklich genervt. Aber was konnten wir beide schon gegen ein Kalb ausrichten?
Gerade als wir überlegten, Hobbit in Hases Büro zu sperren, klopfte es kurz, und noch bevor einer von uns Einspruch erheben konnte, öffnete sich die Tür, und der Vorstandsvorsitzende unserer Bank, Herr Müller, trat lächelnd ein.
Leider kam es vor, dass Hobbit geil wurde, und dann sollte man ihm, wenn man ein Mann war, besser aus dem Weg gehen. Tja, Pelin und ich haben das auch nie so recht verstanden, aber Hobbit schien eben mehr auf Kerle zu stehen.
Als er den vor Schrecken paralysierten Vorstandsvorsitzenden in seinem vornehmen, schwarzen Anzug mit dem blütenweißen Hemd und der flotten roten Krawatte sah, hielt er in seinem Kläffen inne. Ich denke heute, es war Liebe auf den ersten Blick. Als Herr Müller Hobbit sah, schmolz sein Lächeln wie Eiscreme im Hochsommer in rekordverdächtigem Tempo dahin.
»N...nehmen Sie den Hund bb...bbitte weg ... Ich hhhhabbbe panische Angst vvvor Hunddden«, stotterte er.
Doch Hobbit, so nett er ansonsten war, konnte leider erstaunlich stur sein, wenn er sein Herz vergab. Mit einem Satz sprang er Herrn Müller an und legte seine enormen Pfoten auf dessen Schultern. Wie Hobbit da so auf zwei Beinen stand, wirkte er unheimlich imposant, sicher war er so über einen Meter neunzig groß, auf jeden Fall einen Kopf größer als der Vorstandsvorsitzende.
»Nnn...nehmt den ... H...Hund ... dda wwwweg.« Herr Müller war paralysiert vor Angst.
Pelin und ich eilten ihm zu Hilfe, doch sobald wir Hobbit anfassten, fletschte er seine Wolfszähne und knurrte uns furchterregend an. Nicht, dass Pelin und ich feige wären, aber wir fürchteten um die Gesundheit unseres Vorstandsvorsitzenden.
»Äh ... vielleicht ist es besser, Sie warten, bis er von allein runterkommt«, schlug ich vor.
»N...nnehmt ihn ddda wwweg.« Herr Müller war furchtbar blass. Hobbit hielt seinen neuen Freund fest umklammert. Ich konnte deutlich sehen, wie Hobbits Atem die Nackenhaare unseres Vorstandes hochpustete.
»Ich hole Herrn Hase, er wird Ihnen sicher helfen können«, versuchte Pelin ihn zu beruhigen und lief den Korridor zu dem Kollegen herunter, mit dem der Hase im Termin war.
Herr Müller wimmerte mitleiderregend, wagte aber nicht, sich zu rühren, da jede seiner Bewegungen von Hobbit mit einem unzufriedenen »Grrrrr...!« quittiert wurde.
»Sie