Türkischer Mokka mit Schuss. Susann Teoman
das ist doch klar!«, versicherte ich ihm hastig.
Blondie seufzte ergeben. »Nun, da ich kein Auto und auch kein Geld für ein Taxi mehr habe, genauso wenig wie du, werde ich dich offensichtlich bis zum nächsten Krankenhaus tragen müssen. Ich denke, da sollte ich zumindest erfahren, wie du heißt, nicht wahr?«
»Ich heiße ... nenn mich doch einfach Roxy, das tun hier alle, äh ...«
»Jan, ich heiße Jan «
»Freut mich, Jan.«
Und so hob Jan mich wieder hoch, und ich hatte in den nächsten Minuten ausreichend Gelegenheit zu bemerken, dass er ein ausgesprochenes Prachtexemplar von einem Mann war. Er sah nicht so aus wie die Typen, die sonst immer kamen, um sich »Dungeon« anzuhören.
»Jan, dein Name gefällt mir. Was hat jemanden wie dich ins ›Garage‹ verschlagen?« Neugierig musterte ich seine pulsierende Halsschlagader.
»Ein Freund hat mir den Tipp gegeben, dass es dort gute Rockmusik gibt. Deshalb dachte ich, ich schaue mal vorbei«, erwiderte er leichthin. Er verlagerte mein Gewicht geschickt auf seinen anderen Arm und betrachtete mich interessiert. »Tust du das schon lange?«
»Was? Die Füße unserer Fans platt treten oder von der Bühne fallen?«
»Schlagzeug spielen.«
»Oh, das meinst du. Ja, seit etwa zehn Jahren.«
»Ist das alles, was du beruflich machst?«
»Ja, Roxy ist eben Drummerin«, erklärte ich, und es war nicht einmal gelogen. Roxy war Drummerin, Melda war die türkische Tochter, und Frau Moran war die Sekretärin.
»Komisch.«
»Wieso?«
Er blieb stehen und ließ mich sachte hinabgleiten.
Meine Arme waren noch immer um seinen Hals geschlungen.
»Irgendwie habe ich das Gefühl, dass ... dass du nicht so bist, wie du bist.«
»Tatsächlich?«, murmelte ich schwach.
Himmel! Seine Augen waren tatsächlich hellblau, und zwar ohne den geringsten Makel, und sie befanden sich nun gefährlich nahe an meinen.
»Ja ... ich würde zu gerne wissen ...« Jan beugte sieh zu mir herunter. War es möglich, dass er meine Gedanken lesen konnte? Ich fühlte mich plötzlich wie Glas, zerbrechlich und durchscheinend.
Als seine hellblauen Augen sich wieder von meinen lösten, fühle ich mich noch schwächer als zuvor.
Er beobachtete mich noch immer eingehend.
»Irgendetwas an dir ist seltsam, kleine Roxy.«
Ich merkte erst jetzt, dass meine Arme noch immer um seinen Hals geschlungen waren, und ließ sie langsam sinken.
»Ach was, ich bin eine ganz normale Drummerin, was soll da schon seltsam sein«, entgegnete ich nervös.
Ich hatte gar nicht bemerkt, dass wir schon vor dem Krankenhaus standen.
»Wir sind ja schon da. Danke, Jan«, lächelte ich erleichtert.
»Keine Ursache.«
Da stürmten schon zwei Krankenpfleger zu mir heraus und halfen mir in die Notaufnahme.
Jan rief: »Soll ich mitkommen?«, und ich brüllte zurück: »Nein, vielen Dank, ich komme schon klar!«
Eben hatte ich Pelin eine SMS geschickt, und Pelin war schon unterwegs zu mir. Wenn ich sie nicht hätte, wäre ich wahrhaftig aufgeschmissen!
Da stürmte sie schon in die Notaufnahme und tippte verblüfft an meinen neuen Gips.
»Melda, ich weiß nicht, wie du das nun wieder hinbekommen hast, aber ich kann nur sagen: Bravo!«
»Lass den Quatsch und hilf mir gefälligst!«, knurrte ich missmutig.
»Ist ja schon gut! Du solltest dir lieber eine plausible Ausrede für deine Eltern ausdenken, anstatt mich anzublaffen«, rügte sie vorwurfsvoll. »Hier, wisch dir das Zeug aus dem Gesicht und zieh dir deine Büroklamotten wieder an.«
Ich schminkte mich ab und schlüpfte wieder in mein Kleid, was mit meinem neuen Klumpfuß ziemlich schwierig war.
Pelin beäugte mich prüfend. »So sollte es gehen.«
Sie baute sich vor mir auf und fragte mich mit der tiefen Stimme meines Vaters: »Melda, Kind, was ist mit dir passiert?«
»Das ist nicht nötig«, wehrte ich ab.
Pelin legte den Kopf schräg und wiederholte ihre Parodie.
Ich seufzte. »Gegen dich ist man wirklich machtlos!«
Sie klopfte abwartend mit dem Fuß auf den Linoleumboden.
»Papa, ich hatte gerade Feierabend und wollte über die Straße zur Bahnhaltestelle gehen, als dieser Verrückte vor mir bei Rot über die Ampel gesaust ist. Da er mich fast umgefahren hätte, habe ich mich in letzter Minute nach hinten zurück auf den Bordstein geworfen, und dabei ist mein Fuß umgeknickt«, leierte ich herunter.
Pelin nickte zufrieden. »So wird es gehen. Und was ist nun wirklich passiert?«
»Ich ... ich bin von der verflixten Bühne gefallen«, brummte ich.
»Hochinteressant! Und wie bist du hergekommen?«
Ich lächelte versonnen. »Ein blonder Prinz hat mich hergetragen.«
»Oh, Oh. Melda-Schatz, mir scheint, dein Fuß ist nicht deine einzige angeknackste Region.«
Als Pelin mich zu Hause absetzte, öffnete Papa die Tür und sah gar nicht erfreut aus.
»Melda!«, donnerte er wütend. »Was soll das hier bedeuten?«
Er fuchtelte mit einer Schachtel Kondome unter meiner Nase herum.
2. Türkischer Mokka mit Zucker
»Ach, die Kondome!« Ich rang mir mühsam ein Lachen ab, während ich krampfhaft überlegte, wie ich meinem Vater eine plausible Erklärung dafür geben konnte, was eine Großpackung gefühlsechter Kondome im Besitz seiner vermeintlich noch jungfräulichen Tochter zu suchen hatte.
»Ja, die Kondome, es sei denn, du hast noch mehr Präservative, von denen ich nichts weiß.«
»Die gehören mir nicht.« Das war ja eigentlich keine echte Lüge, nicht wahr? Immerhin war ich eine Frau, und Frauen benötigten ja keine Kondome, sondern Männer.
»Meine Kollegin, Tamara Krause, hatte mich gebeten, sie für einen Junggesellinnen-Abschied zu besorgen. Danke, dass du sie gefunden hast, Papa!« Ich umarmte ihn.
»Komische Sitten haben diese Deutschen. Kondome für einen kina gecesi. Das gehört sich einfach nicht!«
»Nein, Papa, das ist kein Henna-Abend. Einen Junggesellinnen-Abschied feiert man meistens in einer Bar und macht Späße, lustige Spiele, weißt du.«
Aber Papa schüttelte nur missbilligend den Kopf.
Dafür, dass ich ein Doppelleben führte, fand ich, dass das Leben bei uns Morans relativ alltäglich verlief.
Wenn ich keinen Auftritt als »Roxy« hatte und pünktlich zu Hause war, dann deckte ich den Tisch und machte einen Salat, so dass wir uns gemeinsam zum Abendessen an den Tisch setzen konnten. Das Abendessen ist bei uns wie in den meisten türkischen Familien sehr wichtig. Es ist Familienrat und Essen zugleich, wir erzählen einander, wie wir den Tag verbracht haben, diskutieren über Probleme und erzählen uns Neuigkeiten aus der Nachbarschaft. Wir setzen uns grundsätzlich immer erst dann an den Tisch, wenn alle da sind, und keine Minute vorher, es sei denn, einer von uns ist verhindert und ruft an, damit die anderen nicht warten.
Meine Eltern hatten sich zwar an meine »Überstunden« gewöhnt, sie freuten sich aber immer sichtlich, wenn