Türkischer Mokka mit Schuss. Susann Teoman

Türkischer Mokka mit Schuss - Susann Teoman


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Papa kochte uns dann türkischen Schwarztee, den wir gemütlich vor dem Fernseher tranken, bevor wir zu Bett gingen.

      Viel mehr gibt es über uns eigentlich nicht zu berichten.

      Im Hause der Balabaks hingegen gibt es eine Sensation, um die ich Pelin schon immer beneidet habe.

      Es ist Pelins anneanne, ihre Großmutter.

      Da ich mich an meine eigene Oma nicht erinnern kann und Pelins Oma von Kindesbeinen an kenne, nenne auch ich ihre Oma anneanne, genau wie Pelin.

      Anneanne ist vor langer, laaaanger Zeit geboren worden. Damals gab es noch eine andere Zeitrechnung in der Türkei, das ist kein Witz! Da sie aus einem Dorf stammt und nie lesen und schreiben gelernt hat, weiß sie nur, dass sie geboren wurde, als es Kirschen auf dem Markt zu kaufen gab. Wir vermuten, das war im Sommer 1925, sind uns da aber nicht so ganz sicher.

      Insgeheim glaube ich, dass anneanne uns alle noch überleben wird, denn obwohl sie klein und dürr ist, strahlen ihre lebhaften rehbraunen Augen einen unverkennbaren Witz und einen messerscharfen Verstand aus. Das allein aber macht sie noch zu keiner Sensation.

      Das Besondere an anneanne ist, dass sie eine Hexe ist!

      Sie kann aus dem Kaffeesatz die Zukunft lesen, Menschen verhexen oder Geister herbeirufen, jedenfalls sind Pelin und sie selbst überzeugt davon.

      Und meine Freundin Pelin ist ihre einzige Schülerin.

      Schon seit wir kleine Mädchen waren, eiferte sie ihrer Oma mit großer Energie nach.

      Im Kindergarten verfluchte sie den rothaarigen Rotzlöffel, der sich darüber lustig machte, dass ihr Deutsch so schlecht war.

      Am nächsten Tag aß der Junge eine Lakritzschnecke, die Pelin ihm großzügig aus ihrer Tüte angeboten hatte. In seiner Gier griff er gleich mehrmals zu, während Pelin nur sanft lächelte.

      Eine Stunde später verschwand der Kleine mit hochrotem Kopf auf dem Klo und kam den ganzen Tag nicht wieder heraus.

      Ich habe erst Jahre später erfahren, dass sie die Abführtabletten ihrer Großmutter in die Lakritzschnecken eingearbeitet hatte, nur um sicherzugehen, dass der Fluch sich auch erfüllte.

      Als ihre erste Liebe Harun sie mit einer anderen Frau betrog, war Pelin, damals zwanzig Jahre alt, am Boden zerstört. Sie erwischte ihn mit einer Blondine im Bett, die von Pelins Existenz nichts wusste und ebenso schockiert war wie meine Freundin.

      »Warum schläfst du mit einer anderen Frau, wenn du doch mit mir zusammen bist?«, stellte sie ihn zur Rede.

      »Ich bin eben ein Mann.«

      »Aber von mir erwartest du, dass ich noch Jungfrau bin, wenn wir heiraten, ja?«

      »Natürlich! Du bist ja auch eine Frau«, sagte er, als würde das alles rechtfertigen.

      Pelin drehte sich auf dem Absatz um und verließ die Wohnung.

      Da ich sie zu Harun gefahren hatte, habe ich wohl oder übel alles mitbekommen. Während der Fahrt sprach sie nicht, und als wir bei ihr zu Hause ankamen, murmelte sie arabische Worte vor sich hin, während sie irgendetwas auf ihrer Herdplatte in der Küche röstete, was einen beißenden, tränentreibenden Rauch erzeugte.

      »So!«, murmelte sie zufrieden, als sie sich bald darauf zu mir an den Küchentisch setzte.

      Warum genau Harun sich so plötzlich veränderte, kann niemand so recht sagen. Man munkelt, er hätte sich irgendeine Krankheit oder so etwas zugezogen. Die Wahrheit war, dass er lange, seeeehr lange keinen mehr hochbekam, und das geschah ihm auch recht, finde ich!

      Pelins Ex-Lover Harun, der ein hoffnungsloser Macho war, als sie noch zusammen waren, ist nun ein zitternder Waschlappen, der sich vor seinem Drachen von Weib beinahe zu Tode fürchtet. Gelegentlich finde ich Pelin ein wenig furchterregend.

      Anneanne hat ihrer Enkelin viel beigebracht, ihr aber auch vieles verboten, was Pelin natürlich nie daran gehindert hat, trotzdem zu tun, was sie wollte. Pelins größter Traum war es, sich eines Tages als Wahrsagerin selbstständig zu machen, und den Grundstein dafür hatte sie bereits gelegt.

      Da Pelin mir so oft aus der Tinte half, stellte ich mich ihr immer wieder gerne als Versuchskaninchen zur Verfügung, obwohl ich selbst an den ganzen Kram nicht glaubte. Na ja, meistens jedenfalls.

      Mir las sie aus dem Kaffeesatz und ich machte mich lustig über sie, obwohl sie fest davon überzeugt war, dass sie eines Tages eine bekannte Wahrsagerin werden würde. Pelins »Zelt«, also der Ort, an dem sie ihre Prophezeiungen verkündete, befand sich in einem Bürogebäude in der Innenstadt. Wenn man vier Stockwerke hochtrabte und einen ellenlangen, nur schwach beleuchteten Korridor entlangging, dann sah man am Ende des Flurs endlich ein schwaches Licht schimmern, »Pelins Zigeunerzelt«, wie sie es nannte. Hier führte sie ihre dubiosen Séancen durch.

      Es war Sonntag, und Pelin und ich saßen in ihrem »Zelt«, das aber eigentlich nichts weiter als eine Abstellkammer in einem Bürogebäude war. Wenn Pelin keine Sitzung hatte, war die Besenkammer genau das, was sie war, nämlich eine Besenkammer, in der Putzmittel, Staubsauger, Mopp, Wassereimer und Besen lagerten.

      Wenn Pelin kam, verhängte sie einfach alles mit dunkelblauen Samttüchern und stellte einen kleinen Tisch auf, den sie mit blutrotem Samt drapierte. Hinter ihr befand sich ebenfalls ein kleiner Beistelltisch, auf dem eine einzelne elektrische Herdplatte stand. Neben der Herdplatte befanden sich eine Dose voll Mokkapulver, eine gefüllte Zuckerdose und eine Flasche Quellwasser.

      » So, dann wollen wir mal sehen, was die nächsten Monate dir so bringen«, erklärte sie, während sie eines der kleinen weißen Mokkatässchen mit Wasser füllte und das auf diese Weise abgemessene Wasser in das kleine Töpfchen aus Messing goss. Nun fügte sie einen gehäuften Teelöffel türkischen Mokka hinzu und gab zwei gestrichene töffelchen Zucker mit hinein. Dann rührte sie die Mischung kräftig um und stellte das Töpfchen auf die heiße Herdplatte. Wenige Augenblicke später schäumte der Mokka schon auf. Pelin schöpfte zwei Teelöffel Mokka ab und gab ihn in meine Tasse. Als der Mokka nun richtig zu brodeln begann, kippte sie den dampfenden Inhalt in meine Tasse, bis diese randvoll war.

      »So, dann mal runter mit dem Zeug!«, forderte sie mich munter auf.

      Türkischer Mokka ist nicht nur sehr stark, er hat auch ein Sediment, das man auf keinen Fall trinken sollte. Da ich türkischen Kaffee nicht so gerne mag, neige ich dazu, ihn schnell hinunterzukippen, um es gleich hinter mich zu bringen. Dabei habe ich schon öfter den sandigen Kaffeesatz mitgetrunken, was keinesfalls angenehm ist.

      Ich nippte vorsichtig an meiner Tasse.

      »Wie war Hases Verabschiedung?«, erkundigte ich mich.

      »Och, irgendwie traurig, aber du kennst ja den Hasen, er hat sich unheimlich gefreut, dass er endlich mehr Zeit in der Türkei verbringen kann. Stell dir vor, er wird dort einen Türkischkurs besuchen!«

      »Nee, echt?«

      »Ja, er sagte, wenn er uns nicht mehr hat, dann muss er eben selbst lernen, klarzukommen. Also ich finde das wirklich bewundernswert, in dem Alter noch so zielstrebig zu sein!«

      »Stimmt. War er denn sehr enttäuscht, dass ich nicht kommen konnte?«

      Pelin lächelte. »Ja und nein, er hätte dich noch gerne gesehen, aber er sagte, er kommt demnächst noch mal vorbei und sagt dann hallo.«

      »Ich hätte ihm zu gerne auf Wiedersehen gesagt«, bedauerte ich.

      Da ich mir den Bänderriss am Donnerstag zugezogen hatte, hatte ich den Ausstand meines alten Chefs natürlich verpasst, weil ich ein paar Tage überhaupt nicht gehen durfte.

      Aber morgen sollte unser neuer Chef kommen, und ich wollte nicht schon am ersten Tag einen schlechten Eindruck machen und durch Abwesenheit glänzen. Mein Bein tat noch immer weh, und ich zweifelte daran, dass es eine so gute Idee war, die vielen Treppen zu Pelins »Zelt« hochzusteigen.

      Als ich meinen Kaffee ausgetrunken hatte, legte


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