Türkischer Mokka mit Schuss. Susann Teoman
auf den Fuß stieg.
»Oh, tut mir leid, habe ich dein Porzellanfüßchen beschmutzt?«, erkundigte ich mich und schenkte ihm ein Lächeln.
»Ganz schön große Klappe!«, murmelte er verärgert.
»Mach mal nicht soʼn Wind, Blondie!«
Der blonde Kerl musterte mich kühl, während ich mich weiter vordrängte. Unser Bassist, Dean, hielt dort vorn schon Ausschau nach mir. Ich hüpfte wild auf und ab und rief: »Deaaaan! Hieeer bin ich! Deeeaahhhan!!«
Da hatte er mich schon gesehen, fischte mich mit seinen langen Armen kurzerhand aus der Menschenmenge heraus und half mir auf die Bühne, wo die anderen Bandmitglieder mich erleichtert begrüßten.
»Roxy, Babe, wo hast du denn nur gesteckt? Wir haben uns schon Sorgen gemacht!« Bono klopfte mir erleichtert auf die Schulter, und Pit, der E-Gitarrist, lächelte.
Für die Jungs war ich Roxy, die Schlagzeugerin mit Power, und das reichte ihnen. Mehr wollten sie nicht wissen und mehr würden sie nicht erfahren.
»Wollen wir loslegen?«, fragte Dean, der sich als Letzter auf die Bühne schwang und lässig einen Soundcheck durchführte, als wäre die Bar nicht brechend voll, sondern menschenleer.
Ich sah mich um und bemerkte, dass mein Schlagzeug gefährlich nahe am vorderen Rand der Bühne stand.
»Warum steht mein Schlagzeug so weit vorn?«
»Roxy, wir haben jetzt keine Zeit mehr, etwas daran zu ändern. Mach einfach das Beste daraus, okay?«
Ich nickte verärgert. »Ich werde schon nicht herunterfallen, keine Sorge!«
»One, two, one two three four ...!«, brüllte Bono laut, und die Menschenmenge unter uns wurde merklich leiser. Ich haute auf meine Trommeln, was das Zeug hielt, und schon röhrte Bonos rauchige Stimme durch den Raum, dicht gefolgt von einem erstklassigen Gitarrensolo von Pit. Die Menge jubelte und pfiff begeistert, viele schüttelten den Kopf wild zum Takt unserer Musik. Wie immer, wenn ich die Bühne betrat, war ich voll in meinem Element. Eine Stunde lang unterhielten wir unser Publikum und hatten dabei eine Menge Spaß.
Dann geschah das Unvermeidliche.
Jemand stieß heftig an den unteren Teil der ohnehin schon wackeligen Bühne. Mein Schlagzeug schwankte bedenklich, fast so, als würde es sich überlegen, ob es nun hinunterfallen sollte oder nicht. Ich machte einen kleinen Hechtsprung zum gefährlichen Rand der Bühne hin, um meine Instrumente zu retten, und es klappte auch, sie blieben, wo sie waren.
Dafür fiel ich eineinhalb Meter tief von der Bühne auf ein Meer voll namenloser Gesichter, und mein Kreischen verlor sich im Jaulen von Pits E-Gitarre.
Überraschenderweise landete ich ungewohnt weich.
»Pass doch auf!«, brüllte mir jemand von unten zu. Ich rappelte mich auf, um demjenigen, den ich gerade unter mir begraben hatte, aufzuhelfen.
Ein langer, kräftiger Oberkörper richtete sich unmittelbar vor meiner Nase auf, und jemand schüttelte seinen weizenblonden Schopf.
»Kennen wir uns?«, fragte ich ein wenig irritiert.
Er seufzte verärgert. »Porzellanzeh?«, half er mir gutmütig weiter.
Oh nein, der Blonde vom Eingang! Das konnte ja wohl nicht wahr sein! Konnte ich in ein und derselben Nacht demselben Mann auf den Fuß getreten und ihn dann auch noch platt gewalzt haben?
Bono hielt suchend nach mir Ausschau, und als ich ihm den Daumen hochhielt, signalisierte er mir ein Time-out. Pause.
Ich drehte mich zu meinem Opfer um.
»Hör mal, das tut mir leid, äh, auch das mit deinem Zeh, meine ich«, entschuldigte ich mich lahm.
Er grinste. »Schon gut.«
»Kann ich dich denn auf ein Bier einladen, um deine Schmerzen ein wenig zu lindern?«
Er legte seinen Kopf ein wenig schief und betrachtete mich kurz. »Okay, warum nicht? Ich habe wohl nicht mehr allzu viel zu verlieren, oder?«
Ich zuckte die Schultern und wandte mich zum Gehen, als ein stechender Schmerz in meinem Fuß mir fast die Sinne raubte und ich aufschrie und gegen ihn fiel.
»Du bist ja ganz schön anhänglich, was?«, erkundigte er sich belustigt.
Ich verzog schmerzhaft mein Gesicht und zeigte auf mein Bein.
»Hast du dich etwa verletzt?«
Es tat so weh, dass ich die Zähne zusammenbeißen musste, um nicht loszuschreien. Schweiß trat mir auf die Stirn.
»Augenblick.« Der Blonde drehte sich um und ging zu Bono an die Bühne, er zeigte wild gestikulierend auf mich und Bono nickte verständig. Sie tauschten ein paar Worte aus, und Bono erklärte Dean und Pit etwas.
»Was hast du mit ihm besprochen?«, erkundigte ich mich.
»Ich habe ihm gesagt, dass ich dich ins Krankenhaus fahre. So, wir gehen«, erklärte er ruhig.
»Was fällt dir ein? Es geht mir gu... auu verdammt ...«
»Ja, klar, es geht dir toll. Dann mach mal die paar Schritte bis zum Ausgang allein. Bin ja mal gespannt, wie weit du kommst«, spottete er boshaft.
Ich hielt wütend inne und humpelte auf einem Bein in Richtung Ausgang. Doch es war brechend voll, die Luft war stickig und verraucht, und die Menschen schoben, drängelten und stießen an mein verletztes Bein. Vor lauter Schmerz wurde mir speiübel.
»Na, geht es noch?« Blondie hatte mich mit seinen Blicken verfolgt und stand nun mit vor der Brust verschränkten Armen vor mir.
»Ich ... es geht ... mir ...«, murmelte ich. Mein Kopf dröhnte und meine Ohren rauschten.
Ich hatte das Gefühl, gleich zu ersticken. Ich fühlte, wie ich in ein schwarzes Loch fiel.
Da merkte ich plötzlich, wie mich zwei Arme mit einer Leichtigkeit hochhoben, die mich verblüffte. Sie legten meine Arme um einen sehnigen Hals, und ich spürte einen warmen Atem in meinem Gesicht.
»Los Leute, hier ist jemand verletzt, macht mal Platz!«, rief er, und irgendwie wichen uns die Leute aus.
Als wir auf der regennassen Straße standen, fühlte ich mich schon ein wenig besser.
»Du ... äh ... kannst mich jetzt wieder runterlassen, es geht mir gut«, flüsterte ich.
»Bist du sicher?«, erkundigte er sich besorgt, und ich bemerkte zum ersten Mal, dass er himmelblaue Augen und ein schön geschnittenes Gesicht hatte.
Auch er starrte mich verblüfft an und neigte seinen Kopf näher meinem Gesicht zu. Für einen Moment schien es, als hätten sich unsere Blicke ineinander verhakt.
»Petrolblau«, sagte er schließlich.
»Wie bitte?«
»Deine Augen, sie sind petrolblau. Du hast ... wirklich die bemerkenswertesten blauen Augen, die ich je gesehen habe«, sagte er, und es klang so entwaffnend ehrlich, dass ich lachen musste.
»Danke. Warum bist du darüber so erstaunt?«
»Ich hatte den Eindruck, sie wären dunkel, wie deine Haare. Lag vermutlich am Licht«, erläuterte er, während er mich sachte hinabgleiten ließ und ich versuchte, stehen zu bleiben.
»Au!! Ahhh ...!«, jammerte ich bei dem Versuch aufzutreten.
Er seufzte ergeben.
»Wo steht dein Wagen?«
»Welcher Wagen?«
»Na der, mit dem ich dich ins Krankenhaus fahren werde. «
»Der steht zu Hause. Ich habe ein Jobticket und fahre für gewöhnlich mit der Bahn. Können wir nicht mit deinem fahren?«
»Klar, wenn ich einen Wagen dabeihätte, warum nicht?« Ich dachte kurz nach. »Warum rufst du nicht