Türkischer Mokka mit Schuss. Susann Teoman
begann Hobbit nun, seine Umarmung zu intensivieren und ... äh ... man könnte sagen, Hobbit begann, sich merkwürdig hopsend auf und ab zu bewegen.
Nervös stürmte der Hase in diesem Moment ins Büro. Beim Anblick unseres obersten Chefs, wie er da von seinem Hund vergewaltigt wurde, wurde er beinahe so rot wie ein guter Bordeaux.
»Hobbit! Aus!«, schrie er, packte den Hund bei seinem Halsband und riss ihn herunter.
Herr Müller war noch immer leichenblass, obwohl er sichtlich erleichtert schien. Er wischte sich den Angstschweiß von der Stirn, atmete tief durch und sagte: »Herr Hase, wir müssen uns unterhalten.«
Mit diesen ernsten Worten verschwand Herr Müller in Hases Büro, ohne Pelin und mich zu beachten, während unser Chef uns einen mitleidheischenden Blick zuwarf, sich umdrehte und den Rückzug in sein Büro antrat. Kurze Zeit später gab Hase bekannt, dass er in den Ruhestand ging.
»Was werden Sie denn mit all Ihrer Freizeit anstellen? Werden Sie uns vermissen?«, erkundigte ich mich besorgt.
»Ich werde sicher oft an Sie zwei denken, weil Sie immer so lustig sind und mich hier sehr verwöhnt haben, aber die Arbeit vermissen?« Er schüttelte seinen weißbehaarten Kopf.
»Meine Frau und ich werden von Februar bis Oktober in der Türkei bleiben, uns die Sonne auf den Bauch scheinen lassen und leckeren Kebab essen, während Sie hier über den Papieren brüten«, erklärte er vergnügt, während er seine Habseligkeiten in einen Karton packte und Pelin und ich ihm dabei halfen.
»Wer wird denn Ihr Nachfolger?« Ich war maßlos neugierig. Immerhin hatten wir doch wohl ein Recht zu erfahren, wen uns die Geschäftsleitung nun vor die Nase setzen würde, nicht wahr?
»Ein Dr. Pfennig. Leider weiß ich nur, dass er in Münster studiert und seinen Doktor in Bankwirtschaft an der Uni in Harvard erworben hat«, teilte Herr Hase uns bereitwillig mit.
Ich pfiff anerkennend durch die Zähne. »Wow! Harvard! Nicht schlecht!«
»Ach was, bestimmt ist er ein spießiger, alter Sesselfurzer, der sich bei jedem winzigen Privatgespräch sofort an die Geschäftsleitung wendet, um sich zu beschweren«, wisperte Pelin mir zu, und ich verzog mein Gesicht. Das lag absolut im Rahmen des Möglichen. Wir hatten so manche Kollegen, die mit Chefs zusammenarbeiten mussten, die sich aufführten, als seien sie der Papst persönlich.
Wenn man beispielsweise Herrn Saft, dem Kreditdirektor, in einer Spielwarenabteilung im Kaufhaus begegnen würde, würde man ihn freundlich an seine Schulter tippen und fragen: »Na, mein Junge, welches Spielzeug soll ich dir denn vom Regal holen?«
Herr Saft sieht nämlich nur so lange seriös aus, wie er hinter seinem überdimensionalen Schreibtisch hockt. Wenn man es aber wagt, seinen Blick zu senken, während man eingeschüchtert vor ihm steht, sieht man, dass seine kurzen Beine in der Luft baumeln, und man munkelt, dass er eine Leiter braucht, um auf seinen Bürostuhl zu klettern. Wie so oft bei kleinen Männern verspürt auch er ständig das Bedürfnis, herumzuschreien und sich aufzuplustern. Deshalb sieht er auch aus wie ein faltiger Gnom, hat dafür aber die Stimme von Joe Cocker.
Und weil er sich ständig wichtig machen muss, pfeift er seine Sekretärin bei jeder sich bietenden Gelegenheit an. Nicht auszudenken, wenn man so einen Typen als Chef bekäme!
»Was ist eigentlich patlican kebab?«
Solche Fragen würden Pelin und mir sicher besonders fehlen. Der Hase war ein netter Mann in den besten Jahren und hat uns mit Fragen über türkisches Essen, türkische Sitten und die türkische Sprache immer gerne gelöchert, und da Pelin und ich uns in dieser Hinsicht als kompetent betrachteten, haben wir ihm stets alles ausführlich erklärt.
»Patlican kebab sind runde Frikadellen, die abwechselnd mit Auberginen, Peperoni, Zwiebeln und Tomaten aufgespießt und dann auf offenem Feuer gegrillt werden. Diesen langen Spieß richtet man dann auf lavasch an, das ist ein hauchdünnes, frisch gebackenes Fladenbrot. Man isst immer ein Stück von dem Gemüse und dem Fleisch, eingewickelt in ein Stück vom Fladenbrot. Es schmeckt unheimlich gut!«, antwortete Pelin geduldig, tippte vielsagend auf ihre Armbanduhr und zwinkerte mir verschwörerisch zu.
»Oh, Herr Hase, ich muss gehen, es tut mir leid, aber ich habe heute noch einen Arzttermin. Wir sehen uns ja morgen bei Ihrem Ausstand.« Hektisch begann ich, meinen Computer herunterzufahren und meine Schubladen abzuschließen.
»Jaja, keine Sorge, Frau Moran, Frau Balabak und ich kommen schon allein zurecht, nicht wahr?« Pelin erwiderte sein Lächeln, während ich einen gehetzten Blick auf meine Armbanduhr warf.
»Pelin, wenn meine Eltern anrufen ...«
»Keine Sorge, Melda, ich kümmere mich schon um sie. Und jetzt raus mit dir, du musst dich noch fertig machen!«
Ich warf ihr einen dankbaren Blick zu. Was gibt es Schöneres, als die beste Freundin und verlässlichste Komplizin als Kollegin zu haben?
So schnell es mein puderrosafarbenes Etuikleid zuließ, rannte ich die schwarzen Marmortreppen der Bank hinunter, in der ich seit meiner Ausbildung arbeite.
Ich lief hastig aus dem imposanten Gebäude hinaus und suchte den nächsten McDonaldʼs auf, wo ich mich in einer schmuddeligen Klokabine auszog und die Klamotten meines geheimen Lebens überstreifte.
Wenn ich morgens unser Heim verließ, war ich Melda Moran, die vernünftige Sekretärin in einer großen Bank in Köln. Ich arbeitete sorgfältig und gewissenhaft, und ich liebte meinen Job, weil ich gerne Kontakt zu Menschen habe und mein Chef ein Schatz war. Aber dreimal wöchentlich sehnte ich meinen Feierabend herbei.
Denn erst, wenn ich meine Bürokluft auszog und in meine durchlöcherten Jeans schlüpfen konnte, wenn ich meine Augen mit einem dicken Kajalstift schwarz bemalte, so dass sie blau aufleuchteten, und wenn meine langen, braunen Haare offen und glatt über meinen Rücken flossen, erst, wenn ich mich an mein Schlagzeug setzte und auf das Zeichen unseres Leadsängers Bono wartete, um endlich voll draufloszuhämmern, erst dann hatte ich das Gefühl, wirklich lebendig und ich selbst zu sein, denn dann war ich Roxy, die Schlagzeugerin.
Für alle normalen Menschen hört sich das bestimmt komisch an. Meine Eltern wussten, dass ich in einer Bank arbeitete, aber nicht, dass ich Drummerin in einer Rockband war. Meine Kollegen wussten, dass ich Türkin war und deshalb manche Dinge anders betrachtete als sie, aber auch sie wussten nichts von meinem Nachtleben.
Meine Band wusste, dass ich Türkin war und mich samstagnachts oft heimlich aus dem Haus schleichen musste, damit meine Eltern nichts mitbekamen. Sie wussten nichts davon, dass ich Bankerin war. Banker und Steuerberater sind Spießer, das war klar für sie. Und wo ich doch ohnehin schon so viele Geheimnisse habe, macht das eine mehr doch auch nichts aus, nicht wahr? Leider verdiente man als Schlagzeugerin nicht halb so gut wie in der Bank, wo nur Pelin alles über mich wusste und mir stets den Rücken frei hielt.
Pelin ist so etwas wie meine Schwester und heißt mit vollem Namen Pelin Balabak.
Unsere Mütter waren schon beste Freundinnen, als sie aus der Türkei fort- und hierhergezogen sind, also wuchsen wir zwei Einzelkinder beinahe wie Geschwister auf. Unsere Väter arbeiteten beide im Eisenwerk und waren von morgens bis abends nicht zu Hause, das Regiment führten deshalb eher die Frauen. Das hieß, dass Pelins Mutter, Tante Aylin, auf mich aufpasste, wenn Mama im Zeitungskiosk um die Ecke arbeitete, und Mama passte auf Pelin auf, wenn Tante Aylin arbeiten ging.
Ich zog mir ein schwarzes Tanktop über, legte zwei silberne Nietengürtel an und befestigte meine Nasenringe. Dann bemalte ich meine Lippen und betrachtete mich kritisch im Spiegel. Sehr gut! Von einer Tippse hatte ich nun rein gar nichts mehr an mir. Unwahrscheinlich, dass Kollegen aus der Bank erschienen oder jemand aus unserer Nachbarschaft kam und mir zuhörte, aber wenn doch, würde ich bestimmt nicht erkannt werden.
Endlich packte ich mein Kleid in einen alten Armeerucksack, zog meine schwarzen Springerstiefel an und lief ins »Garage«, so hieß der Club, in dem meine Band, »Dungeon«, auftrat. Ich war heute Abend leider viel zu spät dran und musste mich durch eine lange Schlange an der Kasse nach