Türkischer Mokka mit Schuss. Susann Teoman
ist ein Heiligtum.
Dieses Prachtexemplar von Mann hatte seine graumelierten Haare mit irgendeinem scheußlichen Kleber befestigt, denn sie sahen aus wie aufgemalt und bewegten sich keinen Deut, als er mir anerkennend zunickte. Sein grauschwarzer Schnurrbart wackelte begeistert, als er den jungen Mann neben sich anstieß.
Der Mann rechts außen auf der Couch schien sein Sohn zu sein. Erstaunlicherweise trug er einen gut geschnittenen Anzug, vermutlich Boss, stellte ich leise erstaunt fest, ein tadellos sitzendes hellblaues Hemd und eine passende Krawatte. Er wirkte nervös, als er seinen Kopf hob. Er hatte schönes, schwarzes Haar, das ihm vorn ein wenig in die Augen fiel, und pechschwarze Augen, die hoffnungsvoll aufleuchteten, als er mich sah. Eigentlich sah er gar nicht so übel aus. Trotzdem. Ich hatte meine Prinzipien.
»Guten Abend! «, grüßte ich höflich.
Mama verpasste mir einen Stups und sah mich strafend an.
Ich schüttelte energisch den Kopf, doch Mama nickte störrisch.
Ich hasste es.
Ich konnte es nicht leiden, fremden Menschen die Hand zu küssen! Ich fand, das war eine Sitte aus dem vorigen Jahrhundert, die man sinnvollerweise im zivilisierten Europa abgeschafft hatte.
Weil es sich aber so gehörte, trat ich wie ein geprügelter Hund vorwärts, verneigte mich steif und küsste der fetten Ayshe und den Eltern des Mannes die Hand, weil man das bei älteren Leuten eben tat.
Ayshe plusterte sich sichtlich auf, als wolle sie sagen: »Seht ihr, ich habe es euch ja gesagt! Das Kind ist gar nicht so verdorben, wie man meinen könnte!« Pah! Wenn die wüsste! Ich war sogar noch viel verdorbener!
Auch Mama setzte sich nun auf den freien Stuhl neben meinem Vater, und ich war die Einzige, die herumstand und Löcher in die Luft starrte. Wenn ich mir Mühe gab, dann löste ich mich vielleicht in Luft auf.
Papa zog einen dritten Stuhl heran und hieß mich endlich Platz zu nehmen.
»Herr und Frau Tütün, Ali, das ist also unsere Melda«, stellte Papa mich überflüssigerweise vor.
Als wenn die das nicht längst schon wüssten!
»Melda, wie wäre es, wenn du uns einen Kaffee kochst?«, schlug die Kupplerin vor. Ich warf Mama einen hilfesuchenden Blick zu, doch sie tat so, als hätte sie ihn nicht bemerkt.
»Das ist eine glänzende Idee«, stimmte sie stattdessen zu.
»Mama ...«, wand ich hilflos ein.
»Melda, die Tassen sind im Vitrinenschrank.« Dieser Satz duldete absolut keinen Widerspruch.
Ich unterdrückte nur mühselig ein Stöhnen und rollte entnervt mit den Augen, was von der Kopftuchfrau mit einem äußerst mißbilligenden Zusammenkneifen ihrer fadendünnen Lippen quittiert wurde.
»Natürlich«, antwortete ich ohne jede Begeisterung.
Diesen Prozess hatte ich schon etliche, nein, Hunderttausende Male durchlebt, und er widerte mich derart an, dass ich am liebsten laut schreiend aus dem Haus gelaufen wäre. Die Tatsache, dass ich meine Eltern sehr liebte und sie und ihre Tradition respektierte, wenn auch nicht guthieß, war der einzige Grund, dass ich es hier noch aushielt.
Ich trottete mutlos in die Küche.
Ich brauchte unbedingt einen Plan.
Also schlich ich mich noch einmal in den Hausflur, so gut das mit einer Schiene am Bein eben ging, angelte nach dem Handy in meiner Handtasche und wählte eine Nummer.
»Pelin?«
»Ja?«
»Es ist wieder so weit.«
»Du meine Güte, schon wieder?«
»Leider!«
»Sie war doch erst vor drei Wochen bei euch.«
Ich seufzte. »Ayshe scheint nun einmal fest dazu entschlossen zu sein, mich zu verheiraten.«
Pelin lachte leise. »Bin schon unterwegs.«
»Du bist ein Schatz!«, sagte ich dankbar und beendete das Gespräch.
So, nun ging es mir bedeutend besser. Ich humpelte wieder in die Küche und bereitete die Zutaten für den traditionellen türkischen Mokka vor, öffnete den Schrank, holte Mamas vergoldete Mokkatassen hervor, platzierte sie auf dem vergoldeten Tablett, füllte den großen Mokkatopf mit Wasser und Kaffee und gab Zucker hinzu.
Das war alles, was ich tat, denn das Besondere am türkischen Mokka ist sein cremiger Schaum, der mir nie, niemals im Leben gelingen würde, einfach aus dem Grund, weil ich türkischen Kaffee gar nicht kochen kann.
»Was tust du denn da so lange?« Mama öffnete leise die Küchentür und blickte mir prüfend über die Schulter.
»Ich äh ... ich habe die Tassen gespült, weil sie staubig waren.«
»So? Gut! Dann beeil dich, Frau Tütün wird allmählich ungeduldig, und wir wollen sie ja schließlich nicht verärgern, nicht wahr? Dieser Ali scheint eine wirklich gute Partie zu sein, Melda, stell dir vor, er ist Ingenieur!«, flüsterte Mama mit fiebrigen Wangen und verschwand wieder.
»Er ist Ingenieur«, äffte ich sie wütend nach.
»Als ob es mir in irgendeiner Weise wichtig wäre, welchen Beruf dieser Idiot da drinnen ausübt«, murmelte ich vor mich hin, während ich im Mokkatöpfchen, dem cezve, herumrührte.
Ein energisches Klopfen am Küchenfenster riss mich aus meinen Gedanken.
»Pelin!«, rief ich erleichtert und öffnete das Küchenfenster, damit sie hereinkommen konnte.
»Hi! Hast du schon alles vorbereitet? Hervorragend!«, lobte sie mich, während sie sich durch das Fenster hineinzwängte.
Ohne mich weiter zu beachten, ging sie zum Herd hinüber und warf einen prüfenden Blick in das Mokkatöpfchen.
»Wir sollten keine Zeit verlieren. Du musst den Herd schon anschmeißen, dann können wir loslegen«, erklärte sie sachlich.
Pelin war ganz in ihrem Element. Mit roten Wangen packte sie ein grünes Samttuch aus ihrer riesigen Umhängetasche und breitete es auf dem Küchentisch aus. Darin befand sich ein Päckchen mit Kräutern, die es nur im östlichen Teil der Türkei gibt.
Sie murmelte arabische Litaneien vor sich hin, doch ihre Augen glänzten, als würde sie ein Duett mit Ricky Martin singen. Es erstaunte mich immer wieder, wie sehr meine beste Freundin in ihrem Aberglauben aufging.
Während sie noch immer merkwürdige Beschwörungen vor sich hin murmelte, warf sie eine kleine Handvoll der seltenen Kräuter ins Mokkatöpfchen, und es zischte kurz auf, bevor die getrockneten, grünen Blätter in den braunen Kaffeefluten versanken.
»So, du kannst nun weitermachen«, sagte Pelin leichthin, während ich sie argwöhnisch beobachtete.
Man könnte glauben, dass auch ich einen an der Waffel habe, nicht wahr? Immerhin hatte ich sie angerufen und ließ gerade zu, dass sie irgendwelche Verwünschungen aussprach. Ich war eigentlich gar kein abergläubischer Mensch. Für mich zählte das, was ich sah und beweisen konnte. Demnach sollte ich den Humbug hier nicht zulassen. Aber genau hier prallten meine Überzeugungen aufeinander. Ich glaubte nur an das, was ich sah. Und das, was ich sah, bewies, dass Pelins Zauber es immer schaffte, mir aus kniffligen Situationen wie dieser herauszuhelfen.
Es war ja nicht das erste Mal, dass Ayshe hier vorbeischaute mit der Absicht, meine Wenigkeit an den Mann zu bringen. Ich gebe sogar zu, dass dieser Anwärter auf den Platz an meiner Seite noch einer von den harmloseren war.
Ich habe mich gelegentlich gefragt, ob Ayshe einen Nebenverdienst als Zuhälterin hat. Der Typ mit der vierreihigen Goldkette und der Ray-Ban-Sonnenbrille, der erst neulich mitsamt seinem Mercedes bei uns vorgefahren war, sah haargenau so aus, wie ich mir einen Gigolo vorgestellt habe, vielleicht sogar eine Spur schmieriger.
Er hieß Ismail und liebte