Heideblues - Kriminalroman. Erich Virch
streicheln, kraulen und Rückenklopfen, wobei Bruno die ganze Zeit wie verrückt mit dem Schwanz um sich schlug und laut hechelte.
„Ja, sakra!” sagte Karl, „jetzt hör schon auf, Paul! Jetzt stink mer scho selber wie a Sumpfloch! Geh mer, geh mer, geh mer!”.
Wir setzten uns wieder in Bewegung, Bruno donnerte voraus. Nach kaum einer Viertelstunde waren wir am Ziel. Der Leichenwagen stand einsam am Waldrand.
Während Karl den Kanister in den Tank leerte, schabte ich die Scheiben frei. Ich hielt dem Hund die Heckklappe auf, doch Bruno wandte den Kopf ab und wich zurück. Karl sagte: „Der geht in kein Auto, Paul. Den hat der Willi als Welpen aus Süddeutschland geholt – im Kofferraum. Der Bruno geht sein Lebtag in kein Auto mehr. Laß uns losfahrn. Der Hund kommt scho heim.”
Der Motor sprang anstandslos an, was ich auf Karls Anwesenheit zurückführte; sie hatte eine geheimnisvolle Wirkung auf jedwede Technik.
Wenig später trafen wir beim Friedhof ein. Im Windschutz der kleinen Kapelle hatte sich eine Gruppe von Männern versammelt. Sie drehten die Köpfe, als der Leichenwagen vorfuhr. Karl grüßte sie mit päpstlicher Geste und neigte huldvoll die Wollmütze. Die Männer, angeführt von Heinrich Göke, trugen graugrüne Jacketts mit dunkelgrünen Revers, weiße Handschuhe, grüne Krawatten, passende Hütchen und Beinkleider sowie glänzende Orden und Ehrenzeichen: dies war der Niederholter Schützenverein mitsamt Trompeter und Fahnenträger.
Karls Augen glitzerten. „Los, Komm!”
Aus dem Innern des Kapellchens drang die Stimme des Pfarrers, dann wurde gesungen.
„Hoffentlich machen sie‘s kurz da drinnen”, sagte Karl.
Auf einem Pult unter dem Kapellenvordach lag ein Kondolenzbuch aus, in das wir uns einschrieben. Dann traten wir von einem Bein aufs andere, um uns warmzuhalten.
„Was solls, laß uns zu Göke gehen”, schlug ich flüsternd vor.
Karl wehrte ab: „Naa, doch jetzt net, grad geht‘s los!” Er hob den Zeigefinger.
Das Totenglöckchen bimmelte. Die Flügeltüren zum Friedhof öffneten sich, Pfarrer, Sarg und Trauergemeinde erschienen und bewegten sich gemessen auf den Gottesacker. Familie Didier ging direkt hinter den nächsten Angehörigen; die Schmerzensmiene des Doktors war erbarmungswürdig. Als der Trauerzug das offene Grab erreichte, blieben Karl und ich in einiger Entfernung stehen. Willis alte Mutter wurde von Walter Lübbers gestützt. Ihr Gesicht war kalkweiß. Ich mußte schlucken. Der Eichenhof war auch einmal ihr Zuhause gewesen; später war sie manchmal bei uns dort vorbeigekommen, hatte im Studio vernichtende Kommentare über unsere „Rummelmusik” abgegeben, und an Sommerabenden hatten wir alle gemeinsam draußen auf der Bank gesessen, geraucht und gelacht.
Der Sarg wurde hinabgesenkt.
„Gut, daß’ so kalt ist!” raunte Karl.
„Warum?”
„Wenns lang geregnet hat und kein Frost in der Erde ist, steht das Grundwasser manchmal so hoch, daß es platscht, wenn der Sarg unten ankommt. ›Seebestattung‹ heißt das hier.”
„Und was ist mit der Grundwasserverseuchung?”
„Nix.”
„Wie, nix?”
„Ist kein Thema, weil sonst müßten sie den Friedhof schließen. Und das net nur in Niederholt!”
Der Pfarrer trat vom Grab zurück. Der Schützenverein trat geschlossen zwei Schritte vor. Karl griff nach meinem Arm.
Ein zackiger Befehl schallte über den Friedhof: „Die Fahne – senkt!”
Während nun das bierdunst- und rauchgeschwängerte, mit dem Niederholter Wappenadler schwerbestickte Tuch aus dem Vereinsheim der Schützen sich über den Sarg neigte, setzte der Trompeter sein Instrument an die Lippen und trötete Ich hatt einen Kameraden. Krähend stieg die Melodie in den schneeverhangenen Himmel.
Karl sah mich erwartungsvoll an. „Na, ist das was?! Ist das ein Erlebnis?!”
„Pfui!” antwortete ich. „Das ist nicht witzig!” Ich wandte mich zum Gehen, um mein Grinsen vor der Trauergemeinde zu verbergen.
„Zum Göke – brecht auf!” befahl Karl und, dort angekommen, „Das Wirtshaus – betretet! Das Schinkenbrot – bestellt!”
„Ihr Wiener seid ein morbides Volk!” sagte ich.
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