Heideblues - Kriminalroman. Erich Virch

Heideblues - Kriminalroman - Erich Virch


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der Pelle”, sagte Karl; „was machst denn du hier? Warum bist denn net ins Wirtshaus kommen?! Was macht Köln? Und wo ist überhaupt der Doktor?”

      „Ins Wirtshaus bin ich nicht gekommen, weil mir heute nicht nach Angestarrtwerden ist”, sagte Pelle, „Köln macht mal wieder Karneval, und der Doktor ist mit der großen Nina Simon oben im Büro.”

      „Darf ich mich vorstellen, Herr Schmitz”, räusperte sich Walter, die Hände an der Hosennaht, „mein Name ist Lübbers.” Und als ob das seine Anwesenheit erkläre, fügte er stolz hinzu, wobei er den Blick mit flatternden Wimpern zur Decke richtete: „Dies hier ist nämlich mein Elternhaus.”

      Pelle Schmitz nickte verbindlich, tat Walter aber nicht den Gefallen, auf dessen Eröffnung einzugehen. Pelle gehörte seit vielen Jahren zum Ensemble von Acht nach Acht, einer wöchentlichen Comedy-Show, die mit regelmäßigen fünf Millionen Zuschauern zu den erfolgreichsten Fernsehsendungen Europas zählte. Er war es gewohnt, der „Kundschaft” bereitwillig Autogramme zu geben und allzu dumme Fragen und Bekenntnisse verständnisvoll zu ignorieren.

      Lübbers setzte mit Grabesstimme nach: „Mein Bruder ist letzte Woche verstorben.”

      Nun war Pelle doch irritiert. „Das tut mir leid.” Er fixierte Lübbers prüfend, dann sah er mich schief an wie ein verwirrter Foxterrier. Ich mußte lachen. Ich war schon immer Pelles dankbarster Fan gewesen. Neben seinem komischen Talent hatte er beachtliche musikalische Fähigkeiten, spielte ein rasantes Akkordeon und konnte damit jeden Saal zum Kochen bringen. Ich hatte einige Platten für ihn produziert, die sich aber allesamt nicht verkauft hatten. Vermutlich deshalb, weil wir uns gegenseitig zu allzu schrägen Ideen anstachelten.

      Lübbers sah verunsichert von einem zum anderen. Ich wechselte das Thema. „Hat jemand eine Ahnung, was eigentlich anliegt? Und wer noch alles kommt?”

      Karl war überrascht. „Ich hab gedacht, das wüßtest du! Es geht um dem Böckelfeld seinen neuen Radiosender: Radio4Fun.” Karl sprach es englisch aus: „Radio for fun, verstehst, und ›for‹ wie ›four‹ geschrieben, vier, als Ziffer. Irrsinnig originell. Der Doktor hat a Lizenz, und jetzt will er jedem seiner Schäfchen die Chance geben zu investieren.”

      „Tja, bei mir gibts nichts zu scheren”, sagte ich, „aber du könntest Haare lassen, Pelle.”

      Pelle nickte. „Wer weiß – vielleicht lohnt es sich. Von Geld versteht unser Doktor schließlich was. Aber große Lust hab ich nicht. Irgendwie hab ich sowieso schon viel zu viele Verträge mit ihm.” Er rieb sich fröstelnd die Hände. „Sagt mal, gibt es hier irgendwann noch was zu essen? Ich hab vier Stunden im Auto gesessen, mir hängt der Magen auf die Knie!”

      Karl und ich nickten lebhaft. „Es wartet ein Festmahl auf dich”, sagte Karl, „von der Hausherrin mit eigener Hand bereitet: Kürbisbrot, Tofu-Würsterl und auf jedem Avocadoschnitz a Weimberl – eine Weintraube.” Ich grinste. „Karl und ich haben leider bereits gegessen.”

      „Mistbock!” kam es von der Treppe. Ein langes, schlankes Beinpaar in schlabberigen Nike-Pants wurde sichtbar. Es gehörte Nina Simon. Karl pfiff leise durch die Zähne. Direkt hinter ihr zeigte sich, gleichfalls sportlich behost, der Mistbock – Dr. Günther Didier.

      „Zicke!” antwortete er und bekam ein „Chauvi!” zurück. Zwei weitere Beine erschienen; diese in konventionellem, dunkelblauem Zwirn. Der Besitzer erwies sich als sehr großer, kräftiger, blasser Mann mit Geheimratsecken. Didier zog Nina Simon an den Haaren: „Blöde Tussi!” Sie warf neckisch den Kopf zurück: „Penner!”

      Pelle verzog unangenehm berührt das Gesicht und sah mich an: „Was soll das? Proben die für‘s Ohnsorg-Theater?”

      „Sieht so aus”, sagte ich, „ist aber nur Günthers Art, der Welt mitzuteilen, daß er eine neue Eroberung gemacht hat.”

      Es gibt unzählige Agenten und Verleger und Marketingleute und andere Figuren im Showgeschäft, denen man von weitem anmerkt, daß sie im Grunde verhinderte Künstler sind, aber der Doktor war ein besonders krasser Fall. Er spielte ständig irgendwelche Rollen, war ständig auf seine Außenwirkung bedacht. Nach seiner Heirat mit Iris Didier hatte er sich sofort edles Bütten mit dem Briefkopf Dr. Günther Böckelfeld-Didier bedrucken lassen. Als sich alles darüber schlapplachte, beschränkte er sich widerstrebend auf Dr. Günther Didier.

      Er kostümierte sich zu gern, paßte seine Kleidung jedem Anlaß und jedem Publikumsgeschmack an: auf Schlagergalas glänzte er in italienischen Seidenanzügen, bei Gewerkschaftsveranstaltungen erschien er mit blaukariertem Hemd, die Rapperszene beehrte er mit Wollmütze und offenen Schnürsenkeln. Er besaß sogar unterschiedliche Brillen. Zu Autorenlesungen trug er ein Horngestell, zu linken Kundgebungen eine Nickelbrille, bei Verleihungen goldener Schallplatten kamen Dior, Prada oder Gucci zum Einsatz. Nur wenn pure Jugendlichkeit gefragt war, trug er gar keine Brille (er brauchte schließlich auch keine). Und das Verrückteste: er glaubte ernsthaft, überall gleichermaßen authentisch zu wirken.

      „Was findt’ a Frau wie die Nina Simon bloß an so am g’schertn Einedrahra?” murmelte Karl kopfschüttelnd.

      Die naheliegende Antwort war Didiers Äußeres. Er sah bemerkenswert gut aus. Etwas über mittelgroß, schlank, gepflegt, volles schwarzes Haar, glatte Haut, ein ebenmäßiges Gesicht mit ausdrucksvollen braunen, wenngleich leicht vorstehenden Augen. Ein kräftiges Kinn, weiße Zähne hinter wohlgeformten Lippen, darüber eine perfekt gerade Nase. Als ich ihn vor Jahren zum erstenmal traf, hatte er noch einen ziemlich krummen Zinken im Gesicht. Damals saß ihm gerade ein Lokalblatt wegen irgendwelcher krummer Geschäfte im Nacken, was er seinerseits als „Hetzkampagne der reaktionären Presse und Aufforderung zur Gewalt” anprangerte. Und wirklich wurde er danach überraschend Opfer einer Gewalttat: seiner Schilderung zufolge fing ihn eines Abends vor seinem Haus ein finsterer Vermummter ab, der „Böckelfeld, du linke Sau!” schrie und ihm sodann aufs Nasenbein schlug. Von dem Unhold fand sich nie eine Spur, doch das Opfer lief eine ganze Weile ostentativ leidend mit verpflastertem Gesicht umher, und das Lokalblatt mußte sich entschuldigen. Als der Doktor die Nase schließlich wieder offen trug, sah sie tatsächlich ganz anders aus als vorher. Das war wohl das erstemal in der Geschichte der Presse, daß eine Zeitung mittels chirurgischer Nasenkosmetik von der Enthüllung peinlicher Zusammenhänge abgehalten wurde.

      „Petzi, Pelle und Pingo!” Mit ausgebreiteten Armen stand Didier auf der untersten Treppenstufe und sonnte sich in seinem Witz: Petzi, Pelle und Pingo! Ich empfand es mal wieder als höhere Gerechtigkeit, daß der schöne Doktor mit dieser schrillen Stimme geschlagen war. „Petzi, Pelle und Pingo”, schepperte es, „Petzi, der Held der Saiten, Pelle, der Meister der Komik und Pingo, der Beherrscher des Lötkolbens!”

      Ich lachte pflichtschuldig und ärgerte mich im selben Augenblick darüber. Ich würde mich jetzt tagelang „Petzilein” nennen lassen müssen. Warum konnte ich mich nicht einfach kühl abwenden wie Karl?

      „Schön, daß ihr da seid, meine Lieben! Nina Simon kennt ihr natürlich, und dies”, wies Didier auf den großen Herrn mit den Geheimratsecken, „ist der Herr Schreiner vom Rechenzentrum, das meine Außenstände bearbeitet.”

      Nina Simon lächelte freundlich, während wir ihr vorgestellt wurden; Schreiner verzog keine Miene.

      „Der Herr Lübbers hier aus dem Dorf”, fuhr Didier fort, „ist ein guter Freund, dem ich künftig mein Haus anvertraue, wenn ich auswärts bin.” Er seufzte kummervoll. „Bislang war dafür immer sein Bruder da, unser lieber Willi, der gerade von uns gegangen ist. Dazu sag ich nachher noch was, aber jetzt …”, er öffnete mit großer Geste die Tür zum Eßzimmer, „jetzt kommt erst mal rein, kommt rein – die Iris hat was für uns vorbereitet!”

      Das Essen war genau so, wie Karl es beschrieben hatte, und fand entsprechend wenig Anklang. Pelle aß grämlich einen Teller Möhrensuppe und ein gebratenes Tofuwürstchen, dann machte er es wie Karl und ich und hielt sich an das Bier, das in kleinen Einwegflaschen auf der Fensterbank bereitstand. Auch Nina Simon und Schreiner aßen kaum; an dem Nudelsalat fand allein Lübbers Gefallen. Die Hausfrau ließ sich nicht sehen, doch das war nichts Besonderes. Didier und


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