Heideblues - Kriminalroman. Erich Virch

Heideblues - Kriminalroman - Erich Virch


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seufzte. „Gewiß. Hab mich damals immer gefragt: wie putzt sich der jetzt den Oarsch?!”

      Den hatte Willi nun für immer zugekniffen. Ich hob mein Glas. „Auf den Willi!”

      „Auf den Willi!”

      „Wann war denn die Beerdigung?”

      „Morgen.”

      War da ein plötzliches Funkeln in Karls Augen? Ich lehnte mich zurück, schob den Teller von mir und trank mein Glas leer. Ich war pumpsatt, mir war warm. Anneliese erschien am Tisch und verschränkte die Arme. „Na? Wieder im Lande?” Sie musterte mich mit hochgezogenen Brauen: „Hast’n beten zugelegt, was?“

      „Kann schon sein”, sagte ich. „Nächstesmal nehm ich einen Kinderteller.”

      Sie räumte das Geschirr ab und lachte: „Wohl eher’n Seniorenteller.”

      „Hörst, Anneliese zahlen tu mer heut net, des macht später der Doktor!” versuchte Karl sie zu ärgern. Sie wußte, wie ungern Didier Rechnungen beglich, denn tagsüber arbeitete sie drüben in dessen Haushalt. Sie nickte aber nur grinsend in Richtung ihres Gatten, bevor sie davonrauschte: „Das müßt ihr ihn da sagen.”

      Mit „ihn da” meinte sie „ihm da”. Das Plattdeutsche hat anders als das Hochdeutsche nicht vier, sondern nur drei Fälle. Wer mit Plattdeutsch aufgewachsen ist, hat deshalb ein eher großzügiges Verhältnis zum Unterschied zwischen Dativ und Akkusativ. Auf Außenstehende kann das naiv wirken; Anneliese Göke für naiv zu halten, war aber stets ein Fehler.

      Karl stieß mich in die Seite: „Mal ganz ernsthaft – laß mern Doktor bluten! Der hat Geld genug.” Karl sprach nie von Didier, sondern stets vom „Doktor” oder benutzte dessen eigentlichen Namen: Böckelfeld. Bei Karl klang das wie „Böckiföht”.

      „Den Mann wer’ ich nie begreifen.” Karl hob die Hände. „Jemand, der im Grunde nix kann wie dumm daherreden, und schwimmt trotzdem im Geld! Weißt’, was er jetzt wieder hingebracht hat? Weißt’, wo er einen Titel plaziert hat? Das ist der Hammer: er hat die nächste Bridget-Summers-Single! Letzte Woche ist er mit der Nachricht aus Los Angeles heimkommen. Die nächste Bridget-Summers-Single ist von unserem Doktor! Text, Musik, Verlag – alles Böckiföht. Angeblich.”

      Mir stieg es heiß den Rücken hoch. Ich versuchte gleichgültig zu wirken. „Bridget Summers, aha. Na ja, gut – ein Titel, lieber Gott.” Rasch hob ich mein Glas vors Gesicht und trank.

      „Geh, du bist doch unheilbar ahnungslos, Paul! Weißt du, wieviel das letzte Summers-Album weltweit verkauft hat? Auf sowas brauchst bloß a halbe Nummer draufhaben, und du mußt im Leben nimmer arbeiten. Einen solchen Titel tät ich dir amal gönnen!”

      Ich tat, als würde ich in meiner plattgefahrenen Reisetasche kramen. Blätter und Erde zwischen Socken und Unterwäsche, verschrammte CDs, die Zahnpasta im ganzen Kulturbeutel umhergequetscht. Ich schämte mich. Erstens, weil ich meinem Freund die Wahrheit verschweigen mußte, und zweitens, weil ich das abwegige Gefühl hatte, es sei Unrecht, soviel Glück zu haben, wenn Karl es nicht hatte. Vermutlich war es genau dieses Gefühl, das seinerzeit Elvis Presley dazu trieb, dauernd Cadillacs an seine Freunde zu verschenken. Vielleicht würde ich auch bald ein paar Geschenke verteilen können. Im Geiste sah ich, wie ich Karl beiläufig einen Autoschlüssel zuwarf: „Hier Alter, du stehst doch auf Porsche – der da drüben gehört dir.” Und Karl würde nach Luft ringen, sprachlos vor Rührung und Dankbarkeit. „Du, Paul, ich weiß gar nicht, wie … wie …”

      „Ihren Leichenwagen hab ich im Wald gefunden, bloß Sie nicht, Herr Nickel!” Walter Lübbers war gewichtig an den Tisch getreten und zeigte ein halb vorwurfsvolles, halb schelmisches Lächeln. Walter war fast ebenso groß und rund wie sein verstorbener Bruder, doch im Gegensatz zum rotblonden, schwammigen Willi hatte Walter dunkles Haar, das zu einer Ponyfrisur geschnitten war, und wirkte äußerst gesund und kompakt. Unter seinem zeltartigen, offenen Dufflecoat spannte sich ein handgestrickter Norwegerpullover, die Brille blitzte, dahinter braune Rehaugen. Er war sichtlich stolz auf seine langen Wimpern, denn beim Sprechen klimperte er fortwährend damit. Er legte die Hände an die Hosennaht wie ein Schuljunge: „Darf ich mich setzen?”

      „Wir wollten grad gehen”, sagte Karl rasch und erhob sich.

      Ich stand ebenfalls auf und streckte Walter die Hand hin. „Mein Beileid.”

      Sein Gesicht zog sich für einen Moment in die Länge. „Danke” sagte er tonlos. Dann leuchteten die Augen wieder hoffnungsvoll auf: „Ich fahr Sie rüber, ja?”

      2. Kapitel

      Als ich um den alten Golf herumgehen wollte, um einzusteigen, hielt Karl meinen Arm fest. Ich sah ihn fragend an, doch er schaute nur entzückt auf Walter. Der Dicke hatte sich mühsam durch die Tür auf den Fahrersitz gequetscht und warf sich nun – zwecks besserer Verteilung der Massen – wild hin und her, so daß das ganze Auto schaukelte. Ein eindrucksvolles Bild. Nun tastete er keuchend nach dem Sicherheitsgurt, zerrte an seiner verrutschten Garderobe, rückte am Innenspiegel, glühte den Diesel vor und wandte sich uns schließlich auffordernd zu. Karl kroch grinsend nach hinten, ich drückte mich auf den Beifahrersitz. Trotz seines Umfangs gehörte Walter zu den vornübergeneigten Fahrern, die mit der Nase an der Frontscheibe kleben. Ruckelnd steuerte er das Vehikel erst ein Stück die Hauptstraße entlang, dann bog er rechts ab. Im Scheinwerferlicht tauchte die Backsteinwand der Friedhofskapelle auf, danach durchquerten wir ein kleines Waldstück. Walter zeigte mit dem Finger auf einen tiefen Graben, der sich links des Weges erstreckte. „Seit Jahren völlig trocken, der Peerbeek hier”, erklärte er wichtig. „Peerbeek heißt Pferdebach. Früher mal ist da die ganze Feuchte aus dem Sumpf hinter der Fehnkoppel längsgeflossen, bis sie 1816 alles in die Niddau reingeleitet haben, damit das Dorf für den Brandfall genug Löschwasser haben sollte. Das ist historisch. Hab ich letztes Jahr wissenschaftlich erforscht, für die Festschrift von der Freiwilligen Feuerwehr.”

      „Donnerwetter”, sagte ich höflich.

      „Ja, da drüber gibt es sogar ein Gerichtsurteil aus dem Jahre 1867, das besagt: die Niddau hat Anspruch auf zwei Drittel vom Peerbeekwasser!” Was aus dem dritten Wasserdrittel geworden war, blieb im Dunkeln, denn Karl sagte unvermittelt: „Du, Paul – weißt’ überhaupt, wen wir morgen im Studio haben werden? Die Nina Simon!”

      Ich pfiff durch die Zähne. Nina Simon war nicht irgendwer. Sie war ein internationaler Musical-Star; ihr hatte ganz Paris zu Füßen gelegen, in den USA galt sie als Fräuleinwunder. Soweit ich wußte, ließ sie sich gerade von einem millionenschweren Wall-Street-Broker scheiden.

      Bevor ich Karl über die geplante Session ausfragen konnte, passierten wir zwei pseudoantike Kutschlaternen, die ein Bewegungsmelder klickend einschaltete, und da lag der Eichenhof, ein großes Backsteinhaus unter mächtigen Bäumen. Es präsentierte sich mit seinen Nebengebäuden und den hellen Fenstern äußerlich durchaus einladend. Direkt davor stand ein schwarzer Porsche. Auf einem kleinen, kiesbestreuten Parkplatz unter den Bäumen standen ein silberfarbener BMW-Geländewagen, Didiers großer Audi Quattro, der Mercedes-Kombi seiner Frau und ein dunkler 7er BMW. Walter eilte voraus, um uns die Haustür aufzuhalten, auf der ein Plastikschild prangte: Kulturkreis Niederholt e.V. – der Doktor nutzte das Anwesen für ein privates Steuersenkungsprogramm.

      Das Gebäudeinnere war weniger einnehmend. Wie in vielen norddeutschen Bauernhäusern der Jahrhundertwende waren die Zimmer hoch, aber klein. Deshalb hatte Didier in der Wand zwischen dem engen Treppenhaus und der ehemaligen Wohnstube einen Durchbruch schaffen lassen, so daß ein größerer Raum, eine Art Diele entstanden war, wo es trotz neuer Kunststoffenster scheußlich zog. Der Kohleofen war durch einen Ölofen ersetzt worden, die alten Dielen mit Laminatplatten im Kiefernholz-Look beklebt. Ein Adventskranz baumelte an einem dünnen Draht unter der Deckenlampe.

      An der Rückwand des Raumes stand verloren ein modisches Sofa, und darauf saß, noch verlorener, ein kleiner Mann mit braunen Locken und freundlichem Clownsgesicht. Wie es sich für einen Clown gehörte, sah er zutiefst melancholisch aus, aber in diesem Zimmer alleingelassen mußte jeder trübsinnig werden.

      „Dem


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