Der ewige Berg. Karl Friedrich Kurz

Der ewige Berg - Karl Friedrich Kurz


Скачать книгу
steht er da und nährt sich von Sonnenbrand und Wind und Frost und Nordlicht. Seit jeher nannten ihn die Leute „Priester“ und „Bergwächter“. Und Olav schichtet dürres Moos und dürres Gras an seinem Stamme auf ...

      „Nein“, ruft Jofrid, „nein, das darfst du niemals tun, Olav. Ich glaube, dass es eine Sünde wäre ...“

      Aber in Jofrids Auge springt ein lüsterner Funke auf. Das Ungewöhnliche lockt auch sie. Und nun sagt sie, nein, es solle nicht getan werden; und ruft abwehrende Worte, indes sie Olavs Vorbereitung mit freudig flackerndem Herzen und einem leisen Angstschauer im Rücken folgt. Und wenn sie „nein“ sagt, klingt ihre Stimme voll und weich und einschmeichelnd wie die Stimme eines reifen Weibes.

      In dieser Nacht brannte der uralte Wacholderbaum, des Berges Wächter, nieder. Er brannte bis zum Morgen. Man sah sein Feuer vom innersten Fjord bis zum äussersten Schärenhof. Man sah es, bis die Sonne aufging. Dann war nur noch ein Häuflein Asche und ein kläglich verkohlter Stumpf zurück.

      Der Morgenwind wirbelte die Asche auf und streute sie über die Rimmane hin. Der Stumpf aber ragt noch heute schwarz aus dem Felsen hervor. Und die Menschen wundern sich, dass dieser verkohlte Baumstumpf nicht völlig sterben und verwittern will.

      Jofrid

      Nun ist ein Wintertag.

      Wie braune Säcke hängen die Wolken aus dem Himmel nieder. Darunter dehnt sich der Helleberg, lang, schwarz, lauernd.

      Der Helleberg gleicht in seinen Umrissen einem liegenden Weib, mit gewaltigen Schenkeln, aufgereckten Brüsten, weit zurückgebogenem Kopf und hängendem Haar. Das Haar bilden die tiefen waldigen Klüfte, die man Svartejel nennt.

      Der Helleberg liegt unter dem braunen Wolkenhimmel wie ein ungeheurer Opferstein ...

      Trygve Eivindson steigt auf schmalem Pfade empor. Die Täler strömen schon frühe, graue Dämmerung aus. Ein feiner, körniger Schnee fällt. Es ist eigentlich kein Schnee, nur Nebel, der in leichten, kaum sichtbaren Eisnadeln niederrieselt.

      Die Krähen sammeln sich zu Scharen und fliegen der Küste zu.

      Eben noch verhallte ihr Krächzen an den steilen Wänden. Jetzt ist es verstummt. Der Fjord liegt glatt, schwarz und träge wie Öl. Kein Windhauch kräuselt das Wasser. Kein Boot zieht seine Kielrinne darein. Unaussprechliche Trauer und Verlassenheit liegt im Himmel und auf Erden.

      Vier Tage lang brauste der Weststurm vom Meere herein. An diesem Morgen aber brach seine Kraft. Nun ist grosse Stille ringsum.

      Die kahlen Bäume sind müde vom Schaukeln, die Zweige sind müde vom Pfeifen und Wimmern, das Meer ist müde vom wilden Wellengeprassel. Eine schlafschwere Ruhe hat sich über alle Dinge gelegt ...

      Doch in Trygves Herzen braust ein gewaltiger Sturm.

      Trygves Sinn ist mächtig aufgerührt und voll Groll. Und sein Blick ist wie das Wasser unten im Fjord, schwarz und erfüllt mit lauernder Bosheit ...

      Noch kein Jahr verging, seit Trygve Eivindson mit Jofrid über den Fjord dort unten nach Akerud fuhr im geschmückten Boot. Und der Spielmann fiedelte, und zweihundert Gäste lärmten und sangen. Drei Tage lang wurde getanzt auf dem Herrenhof von Lisät. Jofrid, des Pfarrers Tochter, war Braut.

      Jofrid war an diesen drei Tagen so weiss, als hätte sie ihr Gesicht mit Mehl bestreut. Mit ihren erloschenen Augen und kalten Händen gemahnte sie an einen unheimlichen Leichnam, der sich in den Kreis der frohen Menschen drängte und sich sündig in ihre Gespräche mischte. Und zuweilen redete Jofrid sowohl viel als hastig und lachte schrill. Und zuweilen verfiel sie unversehens in dumpfes Schweigen. Sie musste mit grossem Lärm umgeben werden. Aber sie raffte sich immer wieder auf und tanzte mit allen Ehrengästen.

      Tanzte sie vielleicht nicht ihre ganze Brautnacht lang, bis zum hellen Morgen hin? Aber sie wurde doch nicht warm davon. Und wenn der Spielmann über seiner Fiedel einnicken wollte, brachte Jofrid ihm starken Kaffee aus der Küche und legte jedesmal ein hartes Kronenstück in das Schalloch der Geige. Hat man denn je eine Braut gesehen, die gabmilder mit dem Spielmann gewesen wäre? Nein, wahrhaftig!

      Aber der Bräutigam hatte auch nicht sonderlich rote Rosen auf den Wangen. Trygve Eivindson zappelte vielleicht mit seinen langen dünnen Beinen mehr als sich geziemte und trank Bier und Branntwein aus grossen Gläsern und mischte beides durcheinander. Aber das verschlug nicht bei ihm. Er stampfte wohl hart auf den Boden mit seinen Füssen, doch an seine Fröhlichkeit wollte kein einziger glauben. Ja, das war eine Hochzeit, an die man sich noch lange erinnern wird in dieser Gegend ...

      Sieben Jahre lang ging Jofrid still im Pfarrhof aus und ein und grämte sich im verborgenen. So lange hatte sie gehofft und gewartet.

      Dann kam sie spät im Herbst den Weg daher. Sie kam zu Fuss den einsamen Weg von Hylnäs her. Sie setzte sich auf einen Prellstein, und sie hatte tiefe, blauschimmernde Furchen unter den Augen vor Müdigkeit und Entsagung und Ergebung und vielleicht auch von vielen heimlichen Tränen.

      Jofrid sass noch immer auf dem Prellstein, als Trygve Eivindson von seinem Herrenhof herniederschritt. Er schritt einher, ohne unnötige Eile zwar, aber doch wie einer, der ein rechtes Ziel vor Augen hat. Möglich ist, dass Trygve des Pfarrers Tochter von seinem Hause her gesehen.

      Nun ist er bei ihr angekommen, einen Grashalm zwischen den Zähnen. Und er wird durch den Anblick der jungen Dame überrascht und bleibt stehen und wundert sich.

      Jofrid ruft ihm schon von weitem entgegen: „Ja — ich sitze ein wenig hier ... Ich habe Karen Ystad besucht ...“

      Aber warum lächelt sie nun gequält zu diesen unschuldigen Worten und zupft so umständlich mit spitzen Fingern ein Flöcklein Moos von ihrem Kleide?

      „... du weisst doch, Trygve, die alte Karen Ystad, die bei uns diente? Sie liegt doch mit ihren lahmen Beinen im Bett. Sie liegt doch schon seit fünf Jahren in ihrem Bett und kann nur ein kleines Stücklein Himmel durchs Fenster sehen ...“

      „Ja“, sagte Trygve. „Aber nun musst du wohl müde sein, und du kannst nicht den weiten Weg zurückgehen. Du siehst nicht gut aus, Jofrid ... Wenn du aber mit mir nach Lisät kommen und ein wenig warten willst, werde ich dich nach Hause führen ... Der Mond geht früh auf heute ... Und es ist lange her, seit ich dich gesehen habe, Jofrid.“

      Da erhebt sich Jofrid plötzlich von ihrem Stein, wirft den Kopf in den Nacken und sagt hart: „Ich habe hier auf dich gewartet ... Ja, es ist lange her, Trygve ... Ich habe aber meinen Wagen zurückgeschickt und auf dich gewartet ... Und wenn es noch immer deine Meinung ist — du weisst, das, wovon du so manches Mal gesprochen, so werde ich heute nicht mehr nein sagen ...“

      Trygve meint, es lege ihm da einer ein nasses Tuch übers Gesicht, und seine Wangen straffen sich. Das ist nichts anderes als ein gewaltiges Erschrecken. Er wird sehr bleich: „Ja — aber Jofrid! Willst du es also wirklich versuchen? ... Gott segne dich für dieses Wort, Jofrid.“

      „Ich will es versuchen“, sagt Jofrid mit weissen Lippen.

      „Ja — ja. Tu es nur, Liebe! — Alles wird gut. Du sollst nur sehen.“

      Jofrid legt ihren Kopf noch ein wenig mehr in den Nacken: „Es ist aber nicht das, dass ich meinen Sinn geändert hätte, Trygve. Nein, wahrhaftig! Ich weiss doch ganz gut, dass es nicht das Rechte und nicht die ganze Liebe ist. Es ist ein Unrecht. Und ich will dich nicht belügen. Und du sollst dir auch keine grossen Hoffnungen mit mir machen ... Aber es ist doch wiederum auch so, dass ich dich gern habe. Es ist das, dass ich dich von Kind an kenne. Und ich kenne dich besser als alle andern. Jetzt bin ich dreiundzwanzig Jahre alt, und mein Vater hat letzte Woche das Kirchspiel in Utvär angenommen. In Utvär gibt es nur Meer und Felsen. Ich aber kann nicht leben ohne die Wälder — — Warum soll ich denn heute schon welken und sterben? — Und nun weisst du alles. Trygve, ich will nicht fort von hier. Und ich will auch leben ... Was ist jetzt deine Meinung?“

      Jofrid hat schnell und mit trockener Stimme gesprochen. Wie ein Schulmädchen hat sie das hergesagt, als hätte sie es auswendig gelernt und fürchtete sich nun, es nicht gut zu machen. Und sie wollte möglichst


Скачать книгу