Der ewige Berg. Karl Friedrich Kurz

Der ewige Berg - Karl Friedrich Kurz


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Trygve ist nur Freude und frohe Überraschung.

      „Aber das weiss ich ja schon alles, Liebe“, erklärt er eifrig. „Du kannst mir doch gar nichts von dir sagen, was ich nicht schon vorher wüsste. Und sieh, ich kann es doch so gut verstehen, dass du nicht ganz und in allen Teilen befriedigt sein wirst von mir. Ich bin nun leider nicht mehr als das, was hier vor dir steht. Ich bin nicht klug wie Olav Arnevik. Ich habe auch nicht sein Wesen oder seine Gestalt. Nein, Gott sei es geklagt, meine Nase ist doch viel zu lang und zu dünn, und in meinem Kopfe finden sich leider keine schönen Gedanken. Aber was das Herz anbetrifft, Jofrid, so darf ich schon so viel sagen, dass kein Mann auf der ganzen Welt dich mehr und besser lieben kann als ich.“

      Sie gehen nebeneinander her den Weg gegen Lisät hin. Trygve Eivindson ist um so vieles grösser und länger als Jofrid, dass er sich weit vornüber und zu ihr hinneigen muss, um ihr unter den breitkrempigen Hut zu blicken.

      Ist jetzt vielleicht noch Eis in seinem Rücken oder ein nasses Tuch auf seinem Gesicht? Nein — Herrgott im Himmel! — keine Spur von Kälte mehr. Jetzt sprudelt heisses Blut in diesem langen, etwas schwerfälligen Menschen. Das Glück jubelt in ihm.

      Jofrid folgt Trygve nach Lisät und wird gut und mit Freuden bewirtet. Der alte Oswald selber spannt das Pferd vor den Wagen und lächelt dabei, tätschelt dem Pferde den glatten, samtweichen Hals und flüstert ihm kuriose Worte ins Ohr. Ach, Oswald ist doch mit der Zeit so uralt und schon ziemlich einfältig geworden.

      Trygve fuhr Joftid nach Hause, als der Mond aufgegangen war. Trygve hatte auf dieser nächtlichen Fahrt viel zu sagen. Und Jofrid schwieg. Auch ihr Schweigen erfreute ihn. Es machte sie sanft und fein ...

      Und dann war auf dem alten Herrenhof auf Lisät auf einmal Hochzeit und Lärm und Tanz und Zuversicht und viel Unbegreifliches und viel Gerede und alles miteinander.

      Der alte Pfarrer Bjarnöy zog, kaum dass er seiner Tochter die Ehe geweiht hatte, in sein neues Kirchspiel an die Küste hinaus, wo es nur Felsen und Fische und unendliches Meer gibt ...

      Jofrids Wangen wurden mit der Zeit wieder rot und ihre Hände warm. Und Trygve ging frohen Mutes auf seinem grossen, prächtigen Gut umher, redete mit dem alten Oswald viele wichtige und viele törichte Worte und war in seinem Sinn so glücklich, dass er in jeder Nacht vor dem Einschlafen gläubigen Herzens aufs neue Gott dankte, wie ein gutes und freudiges Kind.

      Heute aber ist nun alles anders.

      Heute stapft Trygve Eivindson den schmalen Pfad an der steilen Berghalde empor, das Gewehr und den Rucksack über der Schulter, die hohe Otterfellmütze auf dem Kopfe. Seine Nase ist noch länger und dünner als gewöhnlich und ragt wie ein unglückliches Felsstück aus einem verwüsteten Acker empor.

      Unten liegt Lisät mit allen seinen grossen und kleinen Gebäuden, seinen Scheunen und Ställen und den alten Vorratshäusern. Drei Fenster zur ebenen Erde leuchten rot. Das sind die Fenster der grossen Wohnstube. Aber der Pfad hier ist mit Eis gepflastert und glatt, und es dürfte vielleicht nicht ganz ratsam sein, sich im Gehen allzuoft umzudrehen, meint Trygve. Es sei ein verdammter Weg, meint Trygve.

      Sein Herz ist ganz und gar verbittert.

      Er kommt auf einer kleinen Ebene an. Die heisst Bratelund.

      Weiss Gott, Trygve hat die ganze lange und dachsteile Halde in einem Zuge genommen. O, soweit das Bergsteigen in Betracht kommt, macht es ihm keiner nach in dieser Gegend. Man mag nun über seine langen Beine spotten soviel man will, aber er kann damit die wilden Ziegen im Berge einholen.

      Aber auf Bratelund muss Trygve doch stehenbleiben und hinunterblicken.

      Und da liegt also tief unten und schon in der Dämmerung eingehüllt der grosse Hof mit den drei roten Fenstern. Nun denkt Trygve, ob er nicht einen Schatten in einem der Fenster sehen könnte, den Schatten einer jungen Frau vielleicht, einer jungen, feinen Frau, die ihr Haar wie eine Krone ums Haupt trägt. Aber nein, dort am Fenster ist kein Schatten und keine Frau und nichts.

      Trygves Augen sind scharf. Raubvogelaugen. Ei, zum Pokker, kommt denn dort nicht der alte Oswald mit einer Laterne über den Hof? Ja, das dort ist Oswald. Warum bleibt der Alte denn so lange in der Haustür stehen? Und warum macht er mit seinem Lichte diese Zeichen? Lehnt dort am Türpfosten dennoch die junge Frau mit der goldblonden Krone?

      Es könnte schon so sein, dass Jofrid dort unten am Türpfosten lehnt. Vielleicht winkt sie jetzt mit einem weissen Tüchlein.

      Aber seht nun diesen Trygve, der einmal alles verstanden hat und sich mit wenigem zufrieden geben wollte. Er will heut nicht mehr das Gute suchen. Er will nur noch das Böse finden. Er ist nicht länger ein gottesfürchtiges Kind.

      Nein, er hebt nicht die Hand. Keinen Gruss sendet er hinunter. Er wendet sich um und stapft weiter. Vier lange Schritte nur, dann ist Lisät verschwunden.

      Dann ist Trygve allein.

      Trygve geht eine halbe Stunde lang durch lichten Birkenwald.

      Da liegt vor ihm Eivindsruh. Ein langes, schmales Tal unter dem schroffen Gehänge des Helleberges. Eine dicke Staumauer schliesst es ab. Mit dieser gewaltigen grauen Mauer hat Herr Eivind vor langer Zeit das Wasser des Bergbaches gefangen und zu einem schönen stillen See gemacht und ihm den Namen Dagmarsee gegeben. Um den Berg herum hat Herr Eivind eine breite Fahrstrasse anlegen lassen; die nannte er Dagmarstrasse.

      Herr Eivind war einer von den Grossen und Mächtigen. Er war ein Häuptling aus uraltem Blut. Er schuf in frevelhaftem Übermuts einen See auf dem Berg und baute eine lange unnütze Strasse von seinem Hof bis da hinauf.

      Er wollte mit seinen vielen Gästen und seiner schönen Frau Dagmar mit Ross und Wagen zum See fahren.

      Ja, das war eine herrliche und stolze Zeit. Es lebte damals auch ein starkes Geschlecht.

      Herr Eivind war in allen Dingen ein gewaltiger Mann. Er hatte mehr als dreissig Pächter, die Fron leisten mussten. Herr Eivind war ein König. Er war Offizier und trug stets eine Reitpeitsche mit sich herum. Und an der Reitpeitsche war ein schwerer Silberknopf. Die Bauern sagten zum Scherz untereinander: „Herr Eivind nimmt die Peitsche mit sich ins Bett. Denn er kann ohne sie nicht schlafen.“

      So gewaltig war dieser Mann. Da liegt er jetzt.

      Er liegt unter einem grossen Stein. Neben ihm, unter einem anderen grossen Stein, liegt seine schöne Frau Dagmar.

      Dahinter breitet sich der See aus und heisst noch heute Dagmarsee. Aber diese ganze Gegend ist nur noch verfallene Herrlichkeit und nichts weiter als stolze Erinnerung und eine Verhöhnung menschlichen Grössenwahns. Man nennt sie Eivindsruhe. —

      Über Nacht hat der Frost den See gepackt. Es fiel auch ein wenig Neuschnee in den ersten Morgenstunden. Eine Hasenfährte läuft zum Birkenwalde heraus. Das ist eine kurze, unsichere und kranke Fährte. Ganz richtig, dort draussen stellt sich auch schon mit seiner hübschen Perlenschnur der Fuchs ein.

      Naturgesetz, denkt Trygve Eivindson. Nur Naturgesetz. Der Schwächere und Kranke muss vom Starken verfolgt und aufgefressen werden, denkt er bitter.

      Das alles ist unabwendbar, denkt Trygve mit grosser Trauer und steht vor den Gräbern seiner Eltern.

      Er nimmt eine Handvoll Schnee vom Stein, der die schöne Frau Dagmar bedeckt. Er stopft den Schnee in den Mund, seinen Durst zu stillen, den heissen Durst, der in ihm brennt.

      Herr Eivind? denkt er und grübelt.

      Ein finsterer und sehr strenger Herr, dem viel Land zu eigen gehörte. Wenn die Bauern mit ihm redeten, nahmen sie die Mütze vom Kopfe. Nur wenige durften ihm in die Augen schauen. Er steht wahrlich nicht im besten Andenken unter den Leuten. Noch heute senken sie die Stimme, wenn sie von ihm reden.

      Herr Eivind? Er holte sich ein schönes Weib aus der Stadt. Dagmar. Sie war so fein und zart, dass die Pächter glaubten, sie müsse einer von Gottvaters vornehmsten Engeln aus dem hohen Himmelreich sein.

      Frau Dagmar. Sie spielte auf dem Flügel und sang dazu. Und wenn Frau Dagmar spielte und sang, wagten Knechte und Mägde kein lautes Wort zu reden. So wunderbar klang das.

      Frau


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