Der ewige Berg. Karl Friedrich Kurz

Der ewige Berg - Karl Friedrich Kurz


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du noch von mir?“

      Olavs Kinn zuckt ein wenig. Es flimmert ein wenig in seinen Augen. Er schaut Jofrid an.

      Er schaut nur Jofrid an und sagt: „Es handelt sich um ein kleines Geschäft, Trygve. Hast du Zeit?“

      „Nein“, sagt Trygve, „jetzt habe ich keine Zeit, denn ich will in die Hütte im schwarzen Ur.“

      Olav blickt noch immer Jofrid an. Er nickt jetzt und lächelt.

      „Wohl! Ich kann auch oben im schwarzen Ur mit dir reden. Ja, das geht wohl an.“

      Es flimmern auch Trygves Augen ein wenig.

      „Das ist gut“, sagt er. „Ich erwarte dich. Wann wirst du kommen?“

      „Ich werde noch in dieser Nacht zu dir hinaufkommen. Denn morgen muss ich mit dem Postschiff wieder südwärts fahren. Und nun will ich nach Hause gehen. Leb wohl, Jofrid.“

      Und Olav geht.

      Und Trygve geht.

      Jofrid steht aber immer noch auf derselben Stelle, mit gefalteten Händen. Wie an ihrem Hochzeitstage sind ihre Wangen bleich und ihre Augen erloschen ...

      Trygve schreitet über die Hauswiese und denkt: Hat sie denn unser Gespräch vom Mittag ganz vergessen? Scheut sie sich denn jetzt gar nicht mehr, zu lügen und zu heucheln? Ist sie denn mit einem Male völlig anders und schamlos geworden?

      Trygve schreitet durch den Wald und denkt: Das war ja alles nur ein gemeines Spiel, eine billige Komödie! Aber nur das eine ist unklar: Warum ist sie jetzt feige und ängstlich? Früher war sie doch tapfer, und ihre Worte waren stets stark und gerade. Früher hatte sie einen offenen Blick. Früher redete sie nicht mit zwei Zungen.

      Trygve kommt an den Fuss des Berges und beginnt zu steigen und denkt: Wie kann sie denn nur dieses gottverfluchte Gespräch vergessen haben? Dieses Gespräch zerbricht doch alles zwischen uns. Wie kann sie nur so tun, als ob nichts zwischen uns läge? ...

      Es liegt aber dieses zwischen Trygve und Jofrid:

      Olav ist gestern zurückgekehrt. Acht Jahre lang war er verschwunden in Ferne und Schweigen und Geheimnis ... Olav Arnevik vom grossen Hof im Motal, der den „Priester“ verbrannte in einer Johannisnacht.

      Olav kehrte zurück, weil sein Vater starb. Er will sein Erbe antreten.

      Olav ging in seinen jungen Jahren hier an diesem Strande umher. Dann zog er fort, wurde Seemann und Abenteurer. Es laufen böse Geschichten über ihn um.

      Alle Leute wissen, dass Jofrid vom Pfarrhof einmal den wilden Olav liebte. Auch Trygve weiss das, denn Jofrid selber sagte es ihm. Sie sagte es ihm in jener Nacht, als sie miteinander im Mondschein zum Pfarrhof fuhren und einig wurden.

      „Ich liebte ihn“, sagte sie, drehte den Kopf zur Seite und wiederholte hart und trocken und hastig, als müsse sie das alles auf einmal loswerden: „Ja! und ich liebe ihn noch immer. Nie werde ich seine Märchenaugen vergessen können ... Das alles musst du wissen, Trygve ...“

      „Ja!“ antwortet Trygve, ganz berauscht von Liebe und Glück. Überwältigt von diesem Glück, das so unerwartet über ihn hereingebrochen.

      „Ja“, sagte Trygve damals. Und wenn er sich dabei überhaupt etwas dachte, dann war es ungefähr dies: Olav ist fort ... Gott allein weiss, wo er ist. Er hat nie geschrieben. Er hat uns sicher alle beide vergessen. Und vielleicht ist er schon gestorben und vermodert ... Aber an meiner Seite sitzt Jofrid. Ich spüre doch ihre Wärme! Ihre Nähe umgibt mich ... Ich höre doch ihren Atem — ich höre ihre dunkle weiche Stimme!

      „Ja, Liebe!“ sagt Trygve. „Ja, ganz gewiss, in seinen Augen war etwas Märchenhaftes.“

      Grosser Himmel — er grollte Olav Arnevik deswegen nicht!

      Aber gestern kam Olav zurück ... Es liegt noch immer etwas Märchenhaftes in seinen Augen, und seine Stimme hat noch immer einen merkwürdig vollen und tiefen Klang. Sie gemahnt an eine Orgel. Früher, wenn Olav in eine Gesellschaft trat, schwiegen die Leute eine Weile, ehe sie weiter redeten. Das ist heute noch ebenso wie es ehedem gewesen.

      Gestern, am Vormittag, trat Trygve zu Jofrid in die Wohnstube und sagte: „Olav ist wieder da! Die Knechte erzählen es.“

      Jofrid schaut auf. Und da verändert sich ihr Gesicht. Sie gibt keine Antwort. Sie faltet still und feierlich die Hände im Schoss nach ihrer Gewohnheit. Es scheint, dass sie angestrengt nachdenkt über eine wichtige Sache.

      Und als sie lange nachgedacht hat, sagt sie leise: „Er soll aber nicht zu uns ins Haus kommen. Trygve, das musst du verhindern! Darum bitte ich dich sehr, Trygve.“

      Nun besinnt sich auch Trygve und denkt lange nach.

      Dann sagt Trygve: „Olav ist doch mein einziger Freund, Liebe. Das darfst du nicht vergessen. Wie sollte ich ihm da die Tür meines Hauses verschliessen können? Bedenke auch, Jofrid, dass er mir in seiner Weise Vater und Mutter und Bruder gewesen, und dass nie ein böses Wort oder ein Schatten zwischen uns war. Ich habe von ihm stets nur Gutes empfangen.“

      „Das alles ist wahr“, entgegnet Jofrid. Aber sie beharrt auf ihrem Willen: „Du sollst ihn nicht in unser Haus eintreten lassen!“ fordert sie noch einmal.

      „Du nimmst es jetzt gar zu schwer, Jofrid“, tröstet Trygve, so gut er es versteht. „Was vorher war, das ist doch vorbei.“

      „Nein!“ behauptet Jofrid. Auf ihrer Stirn erscheinen zwei steile Falten. „Nein!“ ruft sie heftig.

      Aber in diesem Augenblicke hört man im Hof schon Olavs Stimme, diese tiefe volle Orgelstimme, die man nach acht Jahren noch nicht vergessen hat ...

      Trygve stand auf und führte Olav ins Zimmer zu Jofrid.

      Und da konnte man bemerken, dass Olav schon grau war an den Schläfen und auf dem Scheitel, und dass er viele kleine böse Falten um die Augenwinkel hatte. Aber er ging noch immer so leicht und rank wie früher. Und noch immer war Glanz und Zauber über seinem Wesen.

      Olav Arnevik redete und lachte, und bald überwand Jofrid ihre Angst und fürchtete sich nicht länger vor sich selber. Bald sassen um den grossen runden Tisch drei Menschen beisammen, drei fröhliche Menschen, die schon als Kinder miteinander spielten und glücklich und einig waren.

      Und natürlich musste es Olav sein, der erzählte. Er erzählte von einer fremden Welt und fernen Dingen, wie er es einstmals getan. Jetzt hatte er vieles erlebt und gesehen und gehört von dem, was er früher erträumte und ahnte ... Und alles schien gut.

      Und alles schien gut, bis auf diesen heutigen Mittag.

      Da ging Trygve über den Hof. Da sah er hinten in Jofrids Blumengarten ein Lamm, das durch den Zaun eingebrochen war. Da sah er durchs Fenster in die grosse Wohnstube.

      Im Kamin brannte ein helles Feuer. Und vor dem Feuer stand ein Mann. Und ein Weib hing an seinem Halse. Der Mann war Olav. Das Weib war Jofrid.

      Das sah Trygve mit seinen Augen. Und darum wurde für ihn die Welt mit einem Male sonderbar und unbegreiflich. Sie wurde böse.

      Trygve lachte. Und das war König Eivinds schlimmes Lachen.

      Dann machte er drei Sätze und brach eine Latte vom Zaun. Dann schlug er zu. Und es lag ein Lamm in Jofrids herbstleerem Blumengarten und zuckte mit den Beinen.

      Es lag da ein Lamm mit bebenden Flanken, als ob es im fahlen Sonnenschein schlafe. Und es war so, als ob es vor Wohlbehagen kichere. Aber es floss ein wenig Blut aus seiner Nase, und die Zunge hing ihm zwischen den Zähnen hervor.

      Trygve aber lief in den Wald und wunderte sich, dass der Himmel nicht mit Blitz und Donner grollte und dass der Himmel das alles geschehen liess und nicht einstürzte mit lautem Krachen. Und dass die Sonne sich nicht verfinsterte.

      Doch weder Getöse noch Dunkelheit trat ein. Und Trygve ging zurück und traf Jofrid allein in der Wohnstube. Sie sass in ihrem Stuhl vor dem Kamin. Sie starrte ins Feuer, und ihre Augen waren mit roten Rändern eingefasst ...


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