Der ewige Berg. Karl Friedrich Kurz

Der ewige Berg - Karl Friedrich Kurz


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Ende machen ohne Zaudern.

      Er fragt kurz und bündig: „Was hat es zwischen euch gegeben?“

      Jofrid hebt den Kopf. Sie legt den Kopf zurück auf ihre ganz besondere Art. Dann lässt sie ihn wieder zur Seite sinken, starrt ins Feuer und schweigt.

      „Ich frage, was vorgefallen ist?“

      „Nichts ist vorgefallen. Was sollte vorgefallen sein?“

      Jofrids Stimme ist ohne Klang, so müde und gleichgültig ist sie.

      Und als er sich zu ihr niederbeugt, sagt sie noch einmal: „Es hat nichts gegeben. Was willst du?“

      „So? Hat es vielleicht nichts gegeben? ... Ich stand aber draussen. Ich habe es gesehen ...“

      Dem schien Jofrid nun wirklich keinen Wert beizumessen. Nein, es machte keinen Eindruck auf sie. Bei Gott, sie war weder zerknirscht noch geknickt. Sie war durchaus nicht demütig, noch zeigte sie sich willig, eine Schuld auf sich zu nehmen. Sie war nur Kälte und Schweigen.

      „Willst du vielleicht bestreiten, dass du ihn umarmtest?“

      „Umarmtest? Vielleicht habe ich ihm die Hände auf die Schultern gelegt —“, sagt Jofrid. „Ich weiss nicht ... Das ist möglich ...“

      Wie ruhig und nebensächlich sie das doch nahm.

      „Willst du leugnen, dass du ihm nachliefst bis zur Tür?“

      „Nein.“

      „Was wollte er von dir?“

      „Nichts.“

      „Nichts? — Soll damit gesagt sein, dass am Ende alles nur Täuschung oder ein kleiner Scherz war?“

      „Nein — Gottvater! ... So meinte ich es nicht. Ein Scherz? ... Nein!“ ruft Jofrid.

      „Ich habe ein Recht, die Wahrheit zu fordern!“ ruft Trygve.

      „Was willst du denn?“ fragt Jofrid müde.

      „Was ich will? — Die Wahrheit ... Alles!“

      Ach, Gott helfe ihnen beiden! Es ist ihnen so bluternst mit ihren Fragen und Antworten. Es hängt doch für Trygve so ungeheuer viel davon ab, was Jofrid auf seine Frage antworten will. Alles hängt für ihn davon ab. Gott weiss auch, wenn man jetzt Trygve einen guten Grund angeben könnte, wäre er schon nicht mehr völlig abgeneigt, zu verzeihen. Jofrids Kälte und Gleichgültigkeit verwirrte und ernüchterte ihn ein bisschen. Das starke Blut König Eivinds ist in Trygve doch sehr gemischt worden mit dünnerem Blute.

      Aber nein! Nichts von Gründen und Erklärungen oder Bekenntnissen.

      Jofrid denkt doch nur allein an sich selber und bemerkt gar nicht Trygve, der da vor ihr steht und bebt vor Empörung und Angst und Erwartung. Herrgott — Jofrid ist nun selber so mürbe und hoffnungslos und verzweifelt an allem. Sie begreift ja gar nicht, was dieser Trygve eigentlich von ihr begehrt.

      So eigensüchtig ist sie. Sie wird sogar böse auf ihn, dem sie Unrecht zufügte.

      „Ach, Trygve!“ ruft sie plötzlich. „Das ist ja lächerlich! ... Ein eifersüchtiger Mann!“

      Und dann fragt sie: „Hast du denn gar kein Vertrauen?“

      Auf einmal lacht er. „Hahaha!“ lacht er in Hohn und Feindseligkeit.

      „Du lachst?“ fragt Jofrid. „Also nicht ... Nun, wie du willst ... Lache du ...“ Ja, das wird doch ein ganz schlimmes Gespräch.

      „Und du hast ihm nur die Hände so auf die Schulter gelegt, wie? — Nein, Liebe, jetzt bist du aber hinreissend komisch.“

      Dieser unglückselige Trygve — nicht einmal im heiligsten Zorn gelingt es ihm, grosse und ergreifende Worte zu finden. Er vermag es nicht, Jofrids Herz zu rühren. Nein.

      Sie dreht sich ihm jetzt zu: „Wenn du es so meinst ... ja, dann hat alles andere keinen Sinn mehr ...“

      Darauf schweigt sie. Sie schweigt abwesend und ohne sich Zwang anzutun, verbissen, gehässig. Grosser Himmel, wie sie schweigen kann!

      Wie aber sollte Trygve dieses Benehmen begreifen? Hätte er nicht zum mindesten ein wenig Reue und Demut erwarten können? Soll er denn beides auf einmal verlieren, die Liebe und die Achtung? Und warum in des Herrn Namen soll ihm dieses denn angetan werden?

      Er vermag seinen grossen Zorn nicht länger einzudämmen. Er ruft: „Ist denn das deine Meinung? ... Du betrügst mich und verspottest mich dazu! Hast du denn kein Herz im Leibe?“

      „Nein — aber Trygve! — Was sagst du da? ... Hör endlich auf! Warum plagst du mich?“

      „Ich frage, und du antwortest: ‚Nein — nicht — nein’. — Gut! Ich werde Olav selber fragen ...“

      „Gut. Frag ihn selber ...“

      Und damit war dieses Gespräch zu Ende.

      Und damit war dieses Glück zu Ende. Es währte ein Jahr. Und es war ein grosses Glück. Es reichte bis zu den Sternen. Dann zerbrach es.

      Die Wendung kam Trygve so überraschend, dass sie ihn im ersten Augenblick betäubte. Der eigentliche Schmerz kroch erst allmählich hinterher. Eine Schlange mit vielen Widerhaken. Eine Schlange, die sich um Trygves Seele windet und sich mit grausamer Gemeinheit mehr und mehr eingräbt.

      Trygve erreicht die enge, sehr tiefe Schlucht, die man Porten nennt. Es führt nur dieser einzige Pfad nach dem schwarzen Ur. Ein Baumstamm liegt über der Schlucht, der dient als Steg. Er liegt seit einem Menschenalter da und ist morsch geworden.

      Man könnte hier, wenn man eine Absicht hätte, ein wenig nachhelfen. Man könnte den Baumstamm an einem Ende um ein paar Fingerbreit verschieben. Dann würde er sich sozusagen fast von selber drehen. Und wenn ein Mensch darüberschritte, würde der Baumstamm sich ganz gewiss drehen. Und der Mensch müsste in die Tiefe sausen, durch einen schwarz vereisten Schlund, über glasglatte Felsen.

      Ja, er würde in sehr verändertem Zustande unten im Fjord anlangen. Und dieser Mensch könnte hinfort kein Gegner mehr sein, kein gefährlicher Rivale mit Märchenaugen und einem überwältigenden Zauberglanze über sich. Ein solcher Mann könnte ganz gewiss keine junge Frau mehr verhexen und kein Glück mehr zerstören.

      Trygve hat heute seltsame Einfälle. Sein Sinn ist ganz und gar verblendet.

      Aber wenn nun zum Beispiel Olav Arnevik in dieser Nacht hier ausglitte und den grossen Sturz tun würde, dann wäre das nichts weiter als ein gewöhnlicher Unglücksfall. Niemand würde sich darüber wundern und aufhalten.

      Doch das könnte immerhin keine Klarheit schaffen. Olav könnte dann keine Frage mehr beantworten. Trygve will jedoch Antwort haben. Er will in dieser Nacht noch die Wahrheit ergründen. Jetzt weiss er sie nicht und ist im Zweifel. Und der Zweifel, meint er, sei das Schlimmste und Gefährlichste von allem.

      Trygve weiss wohl, dass etwas geschehen. Aber er weiss nicht, was geschah. Ja, er meint, die nackte Gewissheit müsse leichter zu ertragen sein als die falsche Zuversicht. Darum soll dieser alte Baumstamm gut und zuverlässig über dem schwarzen Schlunde liegenbleiben.

      Weshalb Trygve nun alle diese seltsamen Einfälle hat? Es ist so, als würden sie ihm ins Ohr geflüstert. Sie kommen ungerufen zu ihm. Da wäre zum Beispiel eine andere Stelle: Der Weg biegt schmal und scharf um eine Felswand, Wurzeln und Gestrüpp hängen bis tief herab. Man könnte hier also sehr leicht ein Stücklein Wurzel ausbrechen und oben darauf einen schweren Stein legen, oben auf der abschüssigen Fläche. Man müsste das untere Ende der Wurzel so weit niederhängen lassen, dass es den Weg ein klein wenig versperren würde. Wenn ein Mensch vorbei wollte, müsste er die Wurzel verschieben. Und dann würde der Stein ihm ganz von selber auf den Kopf fallen.

      Haha! Trygve kennt sie gut, diese Art Künste. Hat er denn nicht manche Falle gestellt hier an diesem Berge und Fuchs und Wolf überlistet? ... Ein schweres Dach aus Torf und Steinen, das nur auf der Rundung eines kleinen Holzes ruht; das Holz lässt sich leicht verschieben. Ein Sperling


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