Take Me Home. Carrie Elks

Take Me Home - Carrie Elks


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es ist?«

      »Jepp.« Gray warf das Päckchen in den Abfalleimer und lehnte den Kopf gegen die Wand. Es hatte mal eine Zeit gegeben, in der er nach einem Gig wie ein Irrer gefeiert hatte. Als sein Berühmtheitsgrad angestiegen war, hatte er sich eine Weile wie ein Kind im Süßigkeitenladen benommen und die Früchte seines Ruhms verschlungen, als stünde die nächste Hungersnot kurz bevor.

      Nach seinem Aufstieg folgte jedoch bald der Fall. Irgendwann war er in einem fremden Bett zu viel aufgewacht, mit einem pochenden Schmerz hinter der Stirn und so vollgepumpt mit Chemikalien, dass er damit ein eigenes Labor hätte ausstatten können. Der darauffolgende Kater hielt drei Tage lang an, was das Label tausende Dollar an ungenutzter Zeit im Studio und einen verpassten Auftritt bei Jimmy Kimmel kostete. Das Ganze brachte Gray dazu, sich wie ein Stück Scheiße zu fühlen. Und es hatte gereicht, um sich zusammenzureißen. Er war ein Idiot gewesen, kein Süchtiger. Marco hatte für ihn ein Studio in einer abgeschotteten Gegend in Colorado gemietet. Bis er sein zweites Album fertiggestellt hatte, machte sich Gray rar. Das war die Platte, die ihn zum Star gemacht hatte.

      Gott, er war müde. Das lag nicht bloß an der Tournee – obwohl die schon auslaugend genug war. Es war alles zusammen. Die Songs für das nächste Album zu schreiben, mit Marco die dafür passende Tournee zu planen und dazu auch noch mit den Anrufen seiner Schwester klarzukommen, die ihm erst kürzlich mitgeteilt hatte, dass ihr Dad mit einer Lungenentzündung im Krankenhaus lag.

      Es fühlte sich an, als hätte man die ganze Energie aus ihm rausgesaugt. Gray wollte ein paar Monate lang einfach nur schlafen.

      »Dein Wagen ist hier«, verkündete Marco, als er die Garderobentür aufdrückte. »Du musst dich nur vorher von ein paar Leuten verabschieden.« Bei Grays Anblick – zusammengesackt auf der Couch – runzelte er die Stirn. »Hey, bist du okay? Du warst nicht duschen.«

      »Mache ich dann im Hotel.« Gray stand auf und rollte die Schultern zurück.

      Paul kam zu ihm rüber, um ihm die Hand zu schütteln. »Es war mir eine Freude, mit dir zusammenzuarbeiten.«

      »Ebenso. Mach’s gut. Verbring Zeit mit deiner Familie.« Gray hatte einige Fotos von Pauls Frau, seinen drei Kindern und sechs Enkeln gesehen.

      »Das ist der Plan. Ich wünsche deinem Vater gute Besserung.«

      »Ach ja ...«, warf Marco ein, während er Gray aus dem Raum lotste. »Ich habe vorhin mit deiner Schwester gesprochen. Dein Vater wurde entlassen und erholt sich jetzt zu Hause. Sie wollte deine Flugdaten haben, damit sie weiß, wann sie mit dir rechnen kann.«

      »Sie hätte auch mich anrufen können.«

      Marco lachte. »Weißt du denn, wann dein Flug in Dulles landet?«

      Gray zog die Brauen zusammen. »Nein.«

      »Deswegen hat sie mich kontaktiert. Ich habe ihr gesagt, dass du eine Weile bleiben wirst, wie wir es bereits besprochen haben. Dann hast du die Gelegenheit, in Ruhe ein paar Songs zu schreiben. Zu Hause ist es doch am schönsten, nicht wahr?«

      Zu Hause. Gray schluckte hart bei dem Gedanken an das imposante, viktorianische Haus mit dem makellosen Rasen, der nach unten zu jenem Bach führte, der dem Ort seinen Namen gegeben hatte. Das Haus seines Vaters. Das Haus, das er hinter sich gelassen hatte, sobald es möglich gewesen war. Er hatte sich geschworen, niemals wieder dorthin zurückzukehren. Und nun machte er genau das. Er kehrte zurück an den Ort, an dem sein Vater immer noch gemeinsam mit Tante Gina und seiner Schwester Becca lebte.

      Nach einem kurzen Gespräch mit den Leuten vom Plattenlabel erreichten sie endlich den Ausgang. Kühle Luft wehte durch die offenen Türen und erinnerte ihn daran, dass sich – obwohl es in den USA Frühling war – Australiens Herbst langsam auf den Weg in den Winter machte. Ein Mann von der Security erwartete sie am Ausgang und murmelte etwas in sein Headset, sobald er Gray kommen sah. »Mr Hartson«, grüßte er. »Wenn Sie mir folgen, bringe ich Sie sicher zu Ihrem Wagen.«

      Die Tour war vorbei. Es war an der Zeit, die lange Reise nach Hause anzutreten. Von der Arena ins Hotel, zum Flughafen und weiter in die USA. Sein letzter Halt war Hartson’s Creek.

      Sobald er der Security durch die Türen und in die Nacht Sidneys gefolgt war, spürte er, wie sich sein Magen bei dem Gedanken an sein Reiseziel zusammenzog.

      Die Menge an Fans, die sich hinter der Arena versammelt hatte, brüllte seinen Namen, als er ins Freie trat. Ihre Stimmen waren laut. Gray hob die Hand, um sich mit einem Winken von ihnen zu verabschieden.

      Es war an der Zeit, nach Hause zu gehen.

      K

      »Dem Navi zufolge sollten wir in fünf Minuten ankommen«, meinte sein Chauffeur, als sie die Stadtgrenze zu Hartson’s Creek überquerten. Dem verwitterten Schild zufolge betrug die Einwohnerzahl immer noch 9872 Menschen. Exakt dieselbe Nummer wie an dem Tag, als er abgehauen war.

      Gray wandte den Kopf zur Seite, um aus dem Fenster zu schauen. Bei der altbekannten Aussicht legte sich ein Stein in seinen Magen. Bunte viktorianische Häuser, ausladende Vorgärten und breite, wettergeplagte Straßen. Hatte hier die Zeit in den letzten zehn Jahren stillgestanden? Sogar die Läden sahen gleich aus. Als sie an einer roten Ampel hielten, starrte er durch das Fenster hinein in Bella’s Bakery und ließ die zuckerübergossenen Zimtschnecken und Donuts auf sich wirken, die er als Kind so angebetet hatte. Er konnte beinahe den zuckrig-buttrigen Geschmack auf seiner Zunge wahrnehmen. Und nebenan, heute wie damals, befand sich Murphy’s Diner, wo er seinen ersten Gig gespielt hatte. Jener Gig, der zur berüchtigten Homecoming-Schlägerei von 2005 geführt hatte. Bei der Erinnerung an das Gemetzel zuckten seine Lippen. Wie Ashleigh Clark Salbe auf den Riss über seinem Auge und an seiner Lippe geschmiert und ihm gesagt hatte, dass er nach der Schlägerei nun heißer als die Hölle aussah.

      Am nächsten Morgen hatte er sich weniger heiß gefühlt, als sein Dad die Rechnung für die Schäden am Diner serviert bekam. Ebenso wenig, als er den folgenden Sommer damit verbracht hatte, jeden Zentimeter von Murphys schmieriger Küche zu putzen.

      Er schauderte bei der Erinnerung.

      »Wir sind hier.« Der Chauffeur hielt den Wagen an.

      Gray blickte erneut aus der Scheibe. Nicht ganz hundert Meter entfernt lag die Auffahrt des Hauses seiner Familie und das war ihm nur recht. »Können wir eine Minute hier warten?«, wollte er wissen.

      Der Chauffeur zuckte die Schultern. »Sie sind der Boss.« Er stellte den Motor ab und lehnte sich in seinem Sitz zurück, während Gray die grünen Hecken anstarrte, die den Grund seines Vaters begrenzten. Obwohl er die Zufahrt von seiner Position aus nicht direkt sehen konnte, wusste er, dass sie dort war. Bedeckt von rotgrauem Kies, der einen Höllenlärm machte, wenn man versuchte, nach der Sperrstunde nach Hause zu schleichen. Der Kiesweg führte zu einem Haus, das in seiner Erinnerung stets stattlich ausgesehen hatte. Ein herrschaftliches rotes Dach, weiße Holzbretter an den Wänden und eine Kuppel in der Mitte, die man nur über eine klapprige Treppe erreichen konnte. Der Aufstieg war es allerdings jedes Mal wert. Wenn man oben angekommen war, bescherten einem die nach außen gebogenen Dachflächenfenster eine tolle Aussicht auf Hartson’s Creek. Im Westen konnte man die Felder bewundern, die sich wie ein grüner Teppich bis zu den Shenandoah Mountains in weiter Ferne erstreckten. Im Osten glitzerte der blaue Bach in der Sonne und führte einen zu den Weizenfarmen, die im kommenden Herbst die Farbe von poliertem Gold annehmen würden.

      Das Haus, das er über den Hecken erblickte, wirkte jetzt nicht mehr ganz so weiß. Von den Brettern blätterte die Farbe ab und sie waren an manchen Stellen bis ganz auf den Kern verrottet. Sogar von hier aus konnte er sehen, dass einige der Ziegel vom Dach gerutscht waren. Aber vor allem erschien es ihm klein. So viel kleiner, als er es in Erinnerung hatte. Wie eine Miniaturversion seines tatsächlichen Selbst.

      Gray schüttelte schmunzelnd den Kopf. Häuser schrumpften nicht. Vielleicht war er ja gewachsen.

      Zwei Minuten später stand er am Anfang der Zufahrt und hob zum Abschied die Hand, als der schwarze Sedan in der Lawson Lane wendete. Sogar die Luft roch hier anders. Kühl mit einem Hauch von Mais, der von den Feldern hochwehte.


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