Die Totenbändiger - Äquinoktium - Die gesamte erste Staffel. Nadine Erdmann

Die Totenbändiger - Äquinoktium - Die gesamte erste Staffel - Nadine Erdmann


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      Ein weiterer Ruck und sie hatte seine Energie bis in ihre Hände gezogen. Der Tod war eiskalt und fast wäre er ihr wieder entglitten, doch sie krallte sich mit ihrem silbernen Leben fest. Jedes bisschen Todesenergie, das sie dem Hocus raubte, würde Gabriel helfen, sich zu befreien.

      Und sie brauchte ihn.

      Alleine konnte sie den Hocus nicht besiegen.

      Sie spürte bereits, wie die Geisterkälte sie lähmte, während sie durch ihren Körper kroch. Für die Eliminierung der Todesenergie musste sie mit ihrer Lebensenergie zahlen. Bei schwachen Geistern bedeutete das nur Übelkeit, Kopfschmerzen und Schwindel, die allesamt schnell wieder verflogen. Doch der Hocus war alles andere als schwach. Seine Kälte bohrte sich mit stechendem Schmerz in ihren Kopf, trieb ihr Tränen in die Augen und legte sich wie Klauen um ihr Herz, die es quetschten, bei es kaum noch schlagen konnte.

      Sky presste ihre Kiefer noch fester aufeinander.

      Durchhalten!

      Alles war verschwommen und sie merkte, wie sie schwankte.

      Ein wenig Energie konnte sie aber trotzdem noch opfern.

      Ihr dürft alles geben, nur niemals eure Seele.

      Und wenn ihr euch retten müsst, dürft ihr von anderen alles nehmen, aber niemals deren Seele.

      Das waren die Regeln, die ihre Mum ihnen eingebläut hatte. Am Ende jeder Trainingsstunde hatte sie sie aufsagen und schwören müssen, dass sie sie niemals brechen würden. Unter gar keinen Umständen.

      Sky spürte, wie sie zitterte.

      Ihre Hände brannten vor Kälte. Trotzdem ließ sie nicht locker.

      Ein bisschen mehr hielt sie noch aus.

      Sie musste, sonst war Gabriel verloren.

      Verbissen kämpfte sie weiter.

      Wieder riss sie Todesenergie in sich und sank auf die Knie, weil ihre Beine sie nicht mehr tragen wollten.

      Ihr Herz stolperte und ihr Schädel wollte explodieren.

      Keuchend schloss sie ihre Seele ein, als die Kälte sie endgültig zu übermannen drohte.

      Die Schwärze hatte ihn verschlungen. So plötzlich, so übermächtig, dass nur noch sein Überlebensinstinkt funktionierte.

      Ihr dürft niemals eure Seele geben. Beschützt sie. Schließt sie ein. Denkt euch das beste Versteck für sie aus und verratet es niemandem. Nicht einmal mir. Und wenn die Kälte in euch ist, wenn sie euch eure Seele wegnehmen will, dann verteidigt euer Versteck mit allen Mitteln, die ihr euch vorstellen könnt. Übt das. Immer wieder, bis eure Verteidigung so stark ist, dass die Kälte keine Chance hat.

      Gabriels Seelenversteck war ein unknackbarer Stahltresor, der in einer Batman-Höhle mit jeder Menge tödlicher Geheimfallen stand. Die Höhle war in einem Berg, der von einer Allianz aus Superhelden und Oberschurken bewacht wurde, die sich zum Schutz seiner Seele vereint hatten und Spezialwaffen besaßen, mit denen sie ultraheiße Laserstrahlen abschießen konnten, gegen die die Kälte keine Chance hatte.

      Ja, das Ganze hatte einen ziemlich kindlichen Touch, aber seine Mum hatte das Seelentraining mit ihm und Sky angefangen, als er gerade schwer in seiner Superhelden-Phase steckte.

      Doch trotz der naiven Kindlichkeit funktionierte sein Versteck bis heute tadellos und hatte ihm schon mehr als einmal seine Seele gerettet. Und da er eh niemandem sein Seelenversteck verraten würde, war ein bisschen nostalgischer Kindheitskitsch völlig okay.

      Oder vielleicht funktionierte das Versteck genau deshalb so gut? Weil er so niemals das Kind in sich vergessen konnte und Kinder pure Lebensenergie waren?

      Himmel, Connor färbte wirklich auf ihn ab.

      Der grübelte ständig über solche Sachen und wollte immer wissen, wie etwas funktionierte und warum – oder warum nicht.

      Gabriel schüttelte den Gedanken von sich.

      Dass er wieder grübeln konnte, bedeutete, der Hocus wurde schwächer und hatte ihn nicht mehr so im Griff wie vorher. Was wiederum bedeutete, dass Sky ihm seine Energie raubte – und dafür mit ihrer zahlte.

      Noch immer umgab ihn Schwärze und die Kälte lähmte seine Glieder. Doch die Kälte schien nicht mehr ganz so eisig wie zuvor. Auch die Schwärze war nicht mehr undurchdringlich. Wie durch einen finsteren Schleier konnte Gabriel den Schein der Taschenlampen sehen, die auf dem Boden des Tunnels lagen. Und Skys Silhouette. Er sah, wie sie kämpfte, wie ihr Silbernebel sich in die Schwärze des Hocus’ krallte und ihn schwächte. Sie schwankte, hielt sich aber eisern auf den Beinen, um ihm das Leben zu retten.

      Höchste Zeit, sein Leben wieder in seine eigene Hand zu nehmen.

      Er ließ seine Seele aus ihrem Versteck und mit ihr seine geballte Lebensenergie.

      Ein warmes Kribbeln rauschte durch seinen Körper und er fühlte, wie die eisige Starre sich zu lösen begann. Er konnte seine Hände wieder spüren und bündelte in ihnen seine Energie – mit jeder Menge Wut auf den Hocus, weil er sie so widerlich in die Falle gelockt hatte. Und mit jeder Menge Wut auf sich selbst, weil er darauf hereingefallen war.

      Dann grub er seine Finger in die Schwärze.

      Silbernebel umspielte seine Hände, als sie den finsteren Schleier auseinanderrissen. Gabriel zwängte sich hindurch und stürzte in den Tunnel. Keuchend schlug er auf dem Boden auf, schnappte hastig ein paar Mal nach Luft und brachte kriechend Abstand zwischen sich und den Geist. Seine Muskeln schmerzten von der tödlichen Kälte, die sie im Inneren des Hocus’ hatten aushalten müssen. Trotzdem wälzte Gabriel sich auf den Rücken, zog mit steifen Fingern seine Auraglue und schoss.

      Feine Silbertropfen hefteten sich an die Aura des Hocus’ und der Geist kreischte auf. Wie zuvor das verzweifelte Kinderweinen imitierte das Biest nun den Schmerzensschrei eines Gepeinigten, um seine Angreifer abzuschrecken, zu verwirren oder vielleicht sogar, um Mitleid zu erregen.

      »Tja, Pech«, knurrte Gabriel und stemmte sich mühsam auf die Beine. »Kreisch so viel, wie du willst. Damit erreichst du bei mir gar nichts. Außer vielleicht, dass ich dich noch schneller erledigen will, um dem Geplärre ein Ende zu bereiten.«

      Noch unsicher auf den Füßen stützte er sich gegen die Tunnelwand und stolperte zu seiner Schwester.

      Sky hatte ihre Verbindung zum Hocus getrennt, sobald das Auraglue den Geist getroffen hatte. Doch das Biest war stark. Eine Dosis hielt ihn zwar in Schach, reichte aber nicht, um ihn zu vernichten. Er wehrte sich gegen die bewegungshemmende Wirkung und versuchte, zu entkommen, um sich auf Sky zu stürzen.

      Rache dafür, dass sie ihm seine Energie geraubt hatte.

      Mit zitternden Fingern tastete Sky nach ihrer Auraglue, doch als sie sie aus ihrem Halfter zog, schien die Waffe tonnenschwer.

      Gabriel tappte zu ihr.

      »Bist du okay?« Sie musterte ihn besorgt.

      »Jedenfalls mehr okay als du, wie es aussieht.« Er sank neben ihr auf den Boden, nahm ihr die Pistole ab und schoss eine zweite Ladung Auraglue auf den Hocus.

      Wieder kreischte der Geist auf, als ein weiterer Schauer Silbertropfen auf ihn niederging und ihn endgültig bewegungsunfähig machte.

      »Memo an die Obrigkeit: Findet endlich einen Weg, wie man mehr als einen Schuss mit der Auraglue abgeben kann.« Gabriel zog den Rucksack mit den Silberboxen zu sich. »Oder macht zumindest aus dem Wechseln der Kartusche keine Raketenwissenschaft.« Er öffnete eine der Seitentaschen und fischte einen Energieriegel heraus. »Du kannst dir gleich Energie von mir nehmen, ich will nur zuerst den Hocus in eine Silberbox bannen. Der geht mir mit seinem Gekreische nämlich echt auf den Sack.«

      Doch Sky schüttelte den Kopf, als er ihr den Riegel reichen wollte. Erschöpft rutschte sie an die Tunnelwand, lehnte sich dagegen und schloss die Augen. »Ich kriege jetzt nichts runter. Mir ist


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