Die Totenbändiger - Äquinoktium - Die gesamte erste Staffel. Nadine Erdmann

Die Totenbändiger - Äquinoktium - Die gesamte erste Staffel - Nadine Erdmann


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hört, will so gut wie jeder nachsehen, was los ist, und helfen. Deshalb war es ja so dämlich, dass wir darauf hereingefallen sind.«

      »Wegen mir, stimmt’s?«, seufzte Cam mit hörbar schlechtem Gewissen. »Ihr dachtet, die Leichen sind von dem Irren, der auch mich gefangen gehalten hat. Deshalb habt ihr gedacht, da unten im Tunnel sind Kinder, und wolltet sie retten.«

      Gabriel musterte ihn mit durchdringendem Blick. »Stopp. Denk nicht mal ansatzweise das, was du gerade denken willst. Es ist nicht deine Schuld, dass Sky und ich heute bloß in eine Richtung gedacht haben. Wir sind Profis. Wir sollten immer alle Möglichkeiten in Betracht ziehen, und es war fahrlässig, dass wir vorschnelle Schlüsse gezogen haben.«

      »Aber wenn ich nicht –«

      »Nein, Cam. Es liegt nicht an dir, sondern an mir, klar? Selbst wenn damals nur unbekannte Kinder betroffen gewesen wären und du nichts damit zu tun gehabt hättest, wäre ich heute genauso blind und unüberlegt in den Tunnel gelaufen, weil ich die Vorstellung nicht ertragen hätte, dass irgendein kranker Mistkerl da unten Kinder quält. Und ich würde es jederzeit wieder tun und nachsehen und mich dabei mit jedem verfluchten Hocus dieser Welt anlegen, bevor ich einmal nichts tue und dann vielleicht wirklich Kinder irgendwo leiden müssen. Verstanden? Das hat nichts mit dir zu tun. Ich müsste mich jedes verdammte Mal vergewissern, weil ich nicht damit leben könnte, nichts getan zu haben. Aber ich werde beim nächsten Mal definitiv vorsichtiger sein und auch andere Möglichkeiten im Blick haben. Noch mal passiert mir so was wie heute garantiert nicht. Und für Sky gilt dasselbe. Also mach dir keine Sorgen um uns. Wir sind nicht blöd und lernen aus unseren Fehlern. Und die sind nicht deine Schuld. Die verbocken wir ganz alleine. Kapiert?«

      »Okay«, murmelte Cam, wich dem bohrenden Blick seines Bruders aber aus.

      Wieder herrschte eine Weile Schweigen.

      Holmes hatte seinen Ball zu Sherlock in den Rhododendron gebracht und seitdem raschelte und rumorte es in dem Strauch noch heftiger als zuvor.

      »Glaubst du denn, die Leichen sind vom selben Täter wie damals?«, fragte Cam schließlich leise und mied noch immer Gabriels Blick. Stattdessen beobachtete er die immer länger werdenden Schatten, die der Wald warf, jetzt da die Sonne endgültig versank.

      Seufzend hob Gabriel die Schultern. »Ich weiß es nicht. Die Toten heute waren schrecklich zugerichtet. Das passt nicht zu den Opfern von damals. Außerdem gab es zum Glück keine Kinderleichen. Außer der Anzahl der Toten und dass ihnen die Kehlen durchgeschnitten wurden, gibt es eigentlich keine Gemeinsamkeiten.«

      »Ihr habt gesagt, dass es auch Obdachlose waren«, warf Cam ein. »Genau wie damals.«

      Gabriel nickte. »Aber so übel wie das jetzt klingt, Obdachlose sind leider keine ungewöhnlichen Opfer für irgendwelche Irren, die jemanden suchen, an dem sie möglichst unauffällig ihre abartigen Fantasien ausleben können.«

      Cam presste die Kiefer aufeinander und streichelt wieder Watson, weil das seinen Händen etwas zu tun gab und half, Unruhe und Wut im Griff zu behalten – und das widerliche Gefühl, für irgendwelche kranken Experimente missbraucht worden zu sein.

      Unbeeindruckt von dem ernsten Gespräch, das die beiden Menschen führten, dankte der kleine Kater ihm die Streicheleinheiten mit hingebungsvollem Schnurren.

      »Werdet ihr weiter ermitteln?«

      »Wir treffen uns morgen mit Thad beim Commander. Dann sollten alle Ergebnisse des Fingerabdruckabgleichs da sein, genauso wie der Bericht von Doktor Monroe. Danach besprechen wir, wie es weitergeht. Aber egal, was dann entschieden wird, Sky, Connor und ich werden auf jeden Fall die Augen offen halten.«

      Ein Schauer lief Cam über den Rücken und er hatte keine Ahnung, warum.

      »Seid vorsichtig, okay?«, murmelte er. »Ich hab kein gutes Gefühl bei der Sache.«

      Gabriel lachte freudlos auf. »Bei einem Haufen übel zugerichteter Leichen hat niemand ein gutes Gefühl, Kleiner.«

      »Lass die Witze, Gabe. Ich meine es ernst. Wirklich. Ich weiß nicht warum, aber ich hab kein gutes Gefühl. Also seid bitte vorsichtig, verstanden?«

      »Hey.« Da Gabriel merkte, wie wichtig es Cam war, wurde auch er wieder ernst. »Keine Sorge.« Er legte seinem Bruder einen Arm um die Schultern und strubbelte ihm durch die Haare. »Das sind wir immer.«

      »Ja, klar«, schnaubte Cam sarkastisch. »So wie heute, als ihr blindlings in die Falle des Hocus’ getappt seid.«

      »Autsch.« Gabriel griff sich an sein Herz. »Danke fürs Noch-mal-unter-die-Nase-reiben!«

      »Nichts zu danken. Gern geschehen!«

      Gabriel verpasste ihm eine Kopfnuss.

      Ein unheilvolles Heulen erklang aus dem Wald jenseits ihres Gartens und ein erster Geisterschimmer erschien hinter der Hecke.

      Ruckartig setzte Watson sich auf Cams Schoß auf, blickte kurz in Richtung Wald, maunzte dann kläglich und schmiegte sich ängstlich an Cam.

      Der streichelte den kleinen Kater beruhigend. »Schon gut. Ich pass schon auf, dass keiner dir was tut.«

      Gabriel stand auf. »Los, lass uns reingehen. Wer weiß, vielleicht kommt dein ungutes Gefühl ja bloß von den Geistern, die aus dem Wald gekrochen kommen.«

      »Haha«, gab Cam ironisch zurück und stemmte sich mit Watson auf dem Arm ebenfalls von den Stufen hoch. »Danke fürs Unter-die-Nase-reiben!«

      »Nichts zu danken. Gern geschehen.« Gabriel bedachte ihn mit einem genauso ironischen Grinsen. »Sherlock! Holmes!«, rief er dann in Richtung Rhododendron. »Ab ins Haus. Die Geister kommen!«

      Der Busch schien zu explodieren, als Katzenjunge und Dackelwelpe gleichzeitig zwischen den Zweigen herausschossen. Wie zwei Raketen fegten sie an Gabriel und Cam vorbei die Stufen hinauf, quer über die Terrasse und hinein ins Haus, jeder mit seinem Ball in der Schnauze, um ihn vor den bösen Geistern in Sicherheit zu bringen – und drinnen damit weiterzuspielen. Zwischen den Sofakissen auf der Couch konnte man die nämlich genauso toll verstecken wie in den Gartensträuchern.

      »Wow«, meinte Gabriel sichtlich beeindruckt. »Bei den meisten Kommandos hat man das Gefühl, die zwei sind stocktaub, aber wenn es um Geister geht, hören sie sofort.«

      Cam strich Watson über den Kopf. Bei dem Wort Geister hatte sich der kleine Kater wieder dicht an ihn geschmiegt.

      »Sie sind eben clever«, meinte Cam schulterzuckend. »Und sie haben Charakter.«

      Schlaftrunken tappte Jules vom Bad zu seinem Zimmer zurück und gab sich Mühe, dabei nicht wacher zu werden als unbedingt nötig.

      Er hasste es, wenn er nachts zum Klo musste.

      Gähnend rieb er sich die Augen und wäre um ein Haar gegen die alte Kommode gelaufen, die Ella, Cam und er als Schuhschrank benutzten.

      Der kleine Flur des Dachgeschosses war voller Schatten. Durch das Giebelfenster an der Straßenseite fiel kaum Licht, weil es in ihrer Straße trotz der direkten Lage am Hampstead Heath keine Laternen gab. Der Crescent Drive war bloß eine unbedeutende kleine Sackgasse. Für zehn Häuser ließ die Stadt keine teure Straßenbeleuchtung installieren.

      Jules schlurfte an Ellas Tür vorbei und wollte einfach nur zurück ins Bett, als er plötzlich das Keuchen hörte.

      Schlagartig war er hellwach.

      Die Tür zu Cams Zimmer stand einen Spalt weit offen.

      Jules seufzte.

      Cam hasste geschlossene Räume.

      Als Kinder hatten sie sich ein Zimmer geteilt und jahrelang musste ihre Tür sowohl tagsüber als auch nachts offen


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