Haselnussbraune Versuchung. Ysold Abay

Haselnussbraune Versuchung - Ysold Abay


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hatten, war genauso, wie ich sie mir vorgestellt hatte. Rustikale Wandverkleidungen, Metallschilder von Whiskey- oder Biermarken an den Holzbalken, abgenutzte Tische und Stühle, ein gut gefülltes Alkoholregal und eine überraschend gute Küche. Die laute Rockmusik, die aus den Lautsprechern heraus den Raum erfüllte, rundete das Bild ab und, obwohl ich nicht der Typ für sowas war, gefiel es mir hier auf seltsame Art und Weise. Ich fühlte mich wohl unter den ganzen Bikern, die hier ihr Bier tranken, oder den Menschen, die von außerhalb der Stadt herkamen und den Abend ausklingen ließen.

      „So, bitte schön.“ Die junge Frau, die Alex mit einem auffälligen Augenaufschlag anlächelte, stellte ihr Tablett auf unserem Tisch ab und verteilte die Getränke unter uns dreien. Mia musste die Spannung zwischen den beiden ebenfalls gesehen haben, weil sie ihm verheißungsvoll zuzwinkerte, sobald die Bedienung wieder gegangen war.

      „Was?“, fragte er irritiert.

      „Ach, nichts“, antworteten Mia und ich wie aus einem Mund und hoben unsere Gläser. Die braune Flüssigkeit in den Schnapsgläsern schwappte sanft hin und her, als wir sie aneinanderstießen und dann an unsere Lippen führten. Trotz der vier, fünf Gläschen, die ich heute schon davon getrunken hatte, schüttelte es mich immer noch, wenn der Schnaps meine Kehle brennen ließ.

      Mein Smartphone, das mit dem Display nach oben auf dem Tisch lag, begann plötzlich zu vibrieren und ich blickte neugierig auf den Bildschirm. Als ich den Namen erkannte, der darauf stand, verging mir allerdings das Lachen. Ich stand auf und warf Mia einen vielsagenden Blick zu, während ich nach draußen vor die Tür ging, um den Anruf anzunehmen.

      „Ja?“, meldete ich mich.

      „Eric!“ Die Stimme meiner Mutter klang seltsam erleichtert.

      „Hi, Mom.“

      „Warum hast du heute Nachmittag nicht zurückgerufen?“

      Ja, warum hatte ich nicht zurückgerufen? Vielleicht wegen dem, was mir in diesem kurzen Ausbruch der Wut rausgerutscht war?

      „Die Verbindung war schlecht“, antwortete ich kurz angebunden.

      Für einen winzigen Moment hatte ich die Hoffnung, dass die letzten Sätze, die ich zu ihnen gesagt hatte, nicht mehr angekommen waren und wir die ganze Sache einfach vergessen konnten. Trotz des befreienden Gefühls, das ich dabei empfunden hatte, bereute ich es.

      „Ich habe versucht, mit deinem Vater darüber zu reden, was du heute gesagt hast.“

      Und da war das klitzekleine bisschen Hoffnung, das ich gehabt hatte, sofort im Keim erstickt worden. Es wäre schön gewesen, zu glauben, dass alles nur ein schlechter Traum gewesen war.

      „Was genau meinst du?“, fragte ich unschuldig, obwohl die Worte, die ich gesagt hatte, in meinem Kopf hallten. Ich bin schwul.

      „Dass du homosexuell bist, Eric.“ Eine kurze Pause, in der mir das Herz beinahe stehen blieb. „Ich liebe dich, das weißt du doch. Aber dein Vater braucht vielleicht noch einen Moment länger.“

      Der angehaltene Atem in meinen Lungen entwich mit einem erleichterten, zittrigen Seufzen. So viele Jahre hatte ich mich davor gescheut, ihnen zu sagen, was wirklich in meinem Kopf vorging. Eigentlich eher davor, es meinem Vater zu sagen. Die Reaktionen, die ich mir ausgemalt hatte, waren zwar weit schlimmer als das, was tatsächlich passiert war, aber sie taten genauso sehr weh.

      Ich ging auf dem Gehsteig vor dem „DD“ hin und her, während ich weitersprach. Die wenigen Straßenlaternen machten die schummrige Gegend der Bar nicht gerade angenehmer, aber ich begrüßte die Einsamkeit.

      „Danke, dass du das sagst. Trotzdem wissen wir beide, was Dads Problem ist.“

      Ich lief über den dunklen Asphalt, der links von einer brüchigen Straße und rechts von der ziegelroten Fassade der Kneipe gesäumt war. Durch die Fenster konnte ich nur verschwommene Umrisse und schattenhafte Gestalten erkennen.

      „Das hat nichts mit …“

      „Ich will jetzt nicht über dieses Thema reden“, unterbrach ich meine Mutter bestimmt.

      „Ist gut.“

      „Bis bald, Mom.“

      Als ich auflegte und mein Handy zurück in meine Hosentasche stecken wollte, machte ich auf dem Absatz kehrt, stockte aber mitten in der Bewegung. Mein nachdenkliches Hin-und-her-Wandern hatte mich zum Ende des Gebäudes geführt und ich stand nun vor einer Seitenstraße, die zwischen dem „DD“ und dem nächsten Haus zu einem Hinterhof führte. Dort, neben einem Müllcontainer und einer rostigen Metalltür, lehnte jemand an der Wand. Ein großer, kräftiger Kerl, der vielleicht zu viel Alkohol gehabt hatte.

      Jetzt, wo ich nicht mehr die Stimme meiner Mutter im Ohr hatte und mir der nächtlichen Stille bewusst wurde, hörte ich die eindeutigen Geräusche, die zur mir herüberdrangen. Unterdrücktes Stöhnen, Küsse, raschelnde Kleidung. Verdammt, zwischen dem Kerl und der Wand stand noch jemand und sie waren mehr als beschäftigt.

      Ich sollte mich, so schnell es ging, aus dem Staub machen und die Privatsphäre dieses intimen Moments respektieren, doch ich konnte meinen Blick nicht losreißen. Erst recht nicht, als der Größere von beiden den Kopf in meine Richtung drehte und mich mit durchdringenden Augen anstarrte. Ein Schauer der Erregung zuckte durch mich, als ich erkannte, dass die „Frau“, für die ich die Person gehalten hatte, ein jüngerer Mann in meinem Alter war, der sich an den starken Körper seines Gegenübers schmiegte. Der gepflegte Bart und die kantigen Gesichtszüge ließen mich noch einmal erschaudern.

      So schnell ich konnte, flüchtete ich vor dem Anblick, der sich mir bot, meine Wangen glühten und mir war heiß, aber das kam bestimmt nicht von der lauen Nachtluft. Während ich zurück zur Tür lief, dachte ich absurderweise darüber nach, dass ich gerne anstelle des jungen Mannes gewesen wäre.

      ***

      Auf dem Asphalt vor der Bushaltestelle hatten sich den Tag über große Regenpfützen gebildet. Und natürlich stieg ich direkt in eine, als ich den Bus verließ, der mich vom College in die abgelegenere Gegend brachte, in der unsere WG lag. Der Tag war anstrengend und nervenaufreibend gewesen, am liebsten wäre ich ins Bett gefallen und hätte bis morgen früh durchgeschlafen.

      Aber heute Abend hatte ich eine kurze Schicht in „Grey’s Grocery“, ein kleiner Laden, in dem ich letzte Woche angefangen hatte. Eigentlich sollte ich lernen bei all den Tests, die in den nächsten Wochen anstanden. Vom Lernen ließen sich aber nun mal keine Rechnungen bezahlen.

      Meine Mitbewohner waren nirgends zu sehen, als ich nach Hause kam. In meinem Zimmer zog ich mir meine Arbeitskleidung über und in der winzigen Küche aß ich die Reste vom gestrigen Abendessen, um den Tag über etwas in den Magen zu bekommen.

      „Grey’s Grocery“ war eine Straße weiter und die Stelle nicht der Traumjob, den ich mir ausgesucht hätte. Aber der Buchladen, in dem ich vorher gearbeitet hatte, war pleitegegangen und für die wenigen Monate, die ich noch hier sein würde, war es egal, wo ich mein Geld verdiente. Es war nur meistens kein gutes Zeichen, wenn der Chef höchstpersönlich im Geschäft anwesend war – zumindest das wusste ich nach einer Woche dort schon.

      Ich versuchte, dem Manager mit der Halbglatze und der unangenehm großen Brille aus dem Weg zu gehen, soweit es eben möglich war, und räumte die Regale im hintersten Bereich des Raumes ein. Dabei stellte ich mir vor, dass es Bücher wären, die ich an ihren Platz zurückstellte, und nicht Dosenfutter oder zuckerfreie Energydrinks, wie es wirklich der Fall war.

      Nach einer gefühlten Ewigkeit, vielleicht ließ ich mir auch extra lange Zeit, ging ich zum nächsten Regal über, bemerkte aber aus dem Augenwinkel einen großen Mann mit aschblonden Haaren, der mich still beobachtete. Ich wollte nicht auffällig hinsehen, also tat ich so, als würde ich etwas aus dem Karton neben mir nehmen. Aber er stand nicht mehr an der Ecke zum Gang, er kam mit großen Schritten zu mir herübergelaufen. Tief ein- und ausatmend drehte ich mich wieder zum Regal und hoffte, er würde vorbeigehen. Denn jetzt, wo ich ihn von vorne gesehen hatte, wusste ich nur allzu gut, woher er mir bekannt vorkam.

      „Hey“,


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