Haselnussbraune Versuchung. Ysold Abay

Haselnussbraune Versuchung - Ysold Abay


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Toilette musste, war er mittlerweile eine ganz schön lange Zeit weggeblieben. Unter normalen Umständen hätte ich mir weniger bis gar keine Gedanken darüber gemacht, aber meine Frage hatte ihn auf irgendeine Art und Weise gekränkt. In meinem Kopf ploppte die Szene einer billigen Soap auf, in der die Frau beim Date durch das Toilettenfenster verschwand.

      Ganze zehn Sekunden hielt ich es mit diesem Gedanken in meinem Kopf aus, bevor ich aufstand und ebenfalls in den schmalen Flur ging, der zu den Toiletten führte. Vor der Tür hielt ich inne, besann mich meiner Manieren und klopfte an.

      „Eric?“

      Es kam keine Antwort, also öffnete ich vorsichtig die Tür nach innen. Das Erste, das meinen Blick auf sich zog, war Eric, der sich mit beiden Händen am Rand des Waschbeckens festhielt und darüber gebeugt war.

      „Alles in Ordnung bei dir?“, fragte ich in den Raum. Da keine Reaktion folgte, ging ich vorsichtig auf ihn zu und legte sanft die Hand auf seinen Rücken.

      „Eric?“

      Endlich bewegte er sich, wischte sich mit dem Handrücken über das Gesicht und schniefte laut, bevor er sich zu mir umdrehte. Ich bereute meine Frage von vorhin mehr als alles andere – aber woher hätte ich wissen sollen, dass ich damit einen wunden Punkt getroffen hatte?

      Während meine Hand noch immer auf seinem Rücken ruhte, er mit schmerzerfülltem Blick zu mir aufsah und ich überlegte, wie ich ihm helfen konnte, lehnte er sich plötzlich zu mir. Er legte seine Hände flach auf meine Brust, die Schläfe darüber und ließ sein gesamtes Gewicht gegen mich sinken. Mehr überrascht, als dass ich etwas dagegen hätte tun können, schlang ich den Arm um Eric und drückte ihn an mich. Es fühlte sich gut an, sein zierlicher, warmer Körper an meinem. Viel zu gut.

      Ich fühlte mich schlecht, dass ich es genoss, ihn im Arm zu halten, obwohl es ihm nicht gut ging. Jetzt, wo er so verletzlich, so durcheinander war, hatte ich nichts Besseres zu tun, als die Situation auszunutzen. Ich harrte aus, bis Eric sich von selbst wieder zurückzog, und widerte mich dabei selbst an, weil das Kribbeln in meinem Körper mit jeder Sekunde stärker geworden war. Wahrscheinlich hätte ich es nicht fertiggebracht, ihn von mir zu schieben. Nicht, wenn er so nah bei mir war und ich seine schmale Brust so deutlich an meiner spüren konnte.

      „Geht es wieder?“, murmelte ich, als Eric sich rührte und einen langsamen Schritt nach hinten machte. Er nickte nur, den Blick müde und gleichzeitig entschuldigend auf mich gerichtet.

      „Es tut mir leid, es hat mich einfach so überkommen“, flüsterte er mit brüchiger Stimme.

      „Schon gut“ beschwichtigte ich ihn und drückte zart seinen Oberarm.

      Ich ging Eric hinterher, zurück in den dunklen Raum der Kneipe, in dem die unterschiedlich großen Tische verteilt standen, und fragte mich, was da gerade eigentlich passiert war. Er hatte sich wieder gefangen, setzte sich aber nicht zurück an den Tisch. Sein angetrunkenes Bier und den Whiskey, in dem die Eiswürfel mittlerweile verschwunden waren, ignorierend, stand er unschlüssig vor mir.

      „Ich denke, ich sollte besser gehen.“

      Aufmerksam beobachtete ich dabei seine Gesichtszüge und kramte dann in meiner Hosentasche nach einem Zettel. Zu meinem Glück war in der Brusttasche meines Hemdes immer ein Kugelschreiber. Schnell schrieb ich meine Telefonnummer darauf, bevor ich darüber nachdenken konnte, ob es eine gute Idee war. Denn das war es ganz und gar nicht.

      „Hier“, sagte ich und hielt ihm das zerknitterte Papier entgegen. „Falls du mal mit jemandem darüber reden möchtest.“

      Er schien zuerst verwirrt, lächelte dann aber schüchtern und schob sich den Zettel in seine Hosentasche. Dann zog er einen ledernen Geldbeutel aus der Gesäßtasche seiner Jeans, doch ich legte abwehrend eine Hand darauf.

      „Schon gut. Das mache ich.“

      „Danke“, murmelte Eric.

      Bevor ich noch ein weiteres Wort sagen konnte, war er verschwunden und ich ließ mich seufzend auf den Stuhl neben mir sinken. Kopfschüttelnd, verwirrt, leerte ich den Whiskey in einem Zug.

      ***

      Müde und mit den Nerven am Ende steuerte ich den Pick-up in die Einfahrt des Sägewerkes. Außentermine waren meine ganz persönliche Hölle. Ich hatte nicht umsonst den Job hier draußen angenommen – ich dachte, ich würde den ganzen Tag allein mit mir und dem Holz sein. Gerade als ich den Wagen vor dem Bürogebäude parkte, klingelte mein Smartphone. Unbekannt. Das konnte nach Feierabend nichts Wichtiges mehr sein. Ich überwand mich trotzdem, den Anruf anzunehmen, bereit, der Person am anderen Ende der Leitung zu sagen, dass sie morgen noch einmal anrufen sollte.

      „Hi, hier ist Eric.“ Überrascht setzte ich mich in meinem Sitz auf.

      „Hey.“

      Nach einer Woche ohne Nachricht oder einem Treffen im „DD“ hatte ich nicht erwartet, noch etwas von ihm zu hören. Ich hatte schon damit abgeschlossen, dass der Zettel mit meiner Telefonnummer im Mülleimer gelandet war.

      „Ähm …“ Eine kurze Pause folgte, in der ich gespannt wartete. „Kommst du später noch ins ‚DD’?“

      Verwirrt über diese direkte Frage warf ich einen Blick auf die Uhr am Armaturenbrett. Am liebsten würde ich nach Hause fahren und mich auf die Couch legen.

      „Eigentlich nicht“, antwortete ich also wahrheitsgemäß.

      „Es ist nur“, begann Eric, „dass ich mich gerne für letzte Woche entschuldigen möchte und es dir erklären.“

      Das allerdings warf meine Pläne für heute Abend über den Haufen. Entschuldigen musste er sich für gar nichts und eine Erklärung brauchte ich, zumindest redete ich mir das ein, auch nicht. Nachdem ich aber schon die ganze Woche auf eine Nachricht von ihm gewartet hatte, konnte ich es nicht ausschlagen, ihn zu sehen.

      „Ich kann in einer Stunde dort sein.“

      Während ich das sagte, stieg ich aus dem Wagen und lief die wenigen Meter zum Eingang des Bürogebäudes. Das große Metallschild mit der dunkelgrünen Schrift „W. M. W. – Walter Melton Woods“ wurde von schwachen Lampen beleuchtet. Der Uhrzeit geschuldet war natürlich schon abgesperrt und gähnende Leere würde mich darin erwarten.

      „Gut, dann sehen wir uns da“, bestätigte er und unweigerlich musste ich lächeln.

      „Bis dann.“

      Ich legte auf und ging nur kurz ins Gebäude, um meine Arbeitszeit abzustempeln. Dann fuhr ich die kurze Strecke in die Vorstadt, nahm zu Hause eine Dusche und zog mir frische Kleidung an, bevor ich mich wieder in meinen Pick-up setzte und zum „DD“ fuhr.

      Als ich die Bar betrat, saß Eric bereits an dem abgelegenen Tisch, an dem ich ihn letzte Woche angetroffen hatte. Er starrte abwesend auf die Tischplatte und ich fragte mich, ob ich vielleicht irgendetwas in ihm ausgelöst hatte nach der unangenehmen Situation das letzte Mal. Sobald ich aber an den Tisch herantrat, zeigte sich ein vorsichtiges Lächeln auf seinen Lippen und ich atmete erleichtert aus.

      „Hi“, begrüßte ich ihn und ließ mich auf einen der Stühle sinken. Wie auch beim letzten Mal hatte er Platz auf der Bank gemacht, aber ich wollte ihm nicht schon wieder zu nahekommen.

      „Hi.“

      Eric saß mir unsicher gegenüber und ich fragte mich, ob er es sich doch anders überlegt hatte. Schließlich war ich ein Fremder, den er nicht kannte.

      „Hast du schon bestellt?“, fragte ich. Den ganzen Tag über war das Thema Nahrungsaufnahme zu kurz gekommen und ich freute mich auf die gute Küche im „Devils Doorstep“.

      „Nein, ich hab gewartet“, antwortet Eric und sah mich fragend an.

      „Ich würde gerne etwas essen“, sagte ich und nahm mir die Karte zur Hand, die in der Mitte des Tisches lag. „Du auch?“

      Er schüttelte den Kopf und nahm sich die andere Karte zur Hand. Ich hatte das seltsame Gefühl, dass er ohne Plan und Ziel darin herumblätterte,


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