Haselnussbraune Versuchung. Ysold Abay
ERIC
„Wisst ihr, was ich meine?“ Alex lief, die Hände in die Hosentaschen gesteckt, zwischen mir und Mia auf dem Gehsteig. „Als würde ich in meiner Abschlussarbeit über irgendeinen Blödsinn schreiben wollen.“
Wir waren auf dem Weg ins „DD“, es war Freitagabend und wir nach einer anstrengenden Woche völlig am Ende unsere Kräfte angelangt. Noch vor einem halben Jahr hatten wir uns abends in unserer kleinen Wohnung Filme oder Serien bis zum Abwinken angesehen, wenn wir an diesem Punkt angelangt waren, aber zu Hause fiel uns allen die Decke auf den Kopf. Ich war diesmal mehr als freiwillig mitgegangen, obwohl ich mir natürlich Gedanken gemacht hatte, ob Colton vielleicht ebenfalls dort war.
Alex’ ausschweifender Erzählung über die Diskussion, die er heute Morgen mit einem Professor geführt hatte, hörte ich nur mit einem Ohr zu. Meine Gedanken kreisten, wenn ich nicht am Lernen war, sowieso andauernd um Colton, den ich erst vor wenigen Tagen in der Kneipe getroffen hatte.
Die einzigen anderen Personen, die von der Geschichte mit meinem Bruder wussten, waren Mia und Alex. Es hatte viel Überwindung gekostet, es Colton zu erzählen, und wahrscheinlich hatte der Alkohol sein Übriges getan. Aber mir war danach viel leichter ums Herz gewesen und ich hatte das Gefühl, dadurch auf seltsame Weise mit ihm verbunden zu sein.
Im „DD“ war erstaunlich viel los an diesem Abend und wir hatten Glück, noch einen freien Tisch zu bekommen. Mein Blick huschte unauffällig über die übrigen besetzten Plätze und ich musste feststellen, dass ich enttäuscht war, als ich Colton nirgends sehen konnte. Dabei war ich mir nicht mal sicher, was ich getan hätte, wenn er irgendwo unter den Menschen gesessen hätte.
„Also“, fuhr Alex fort, als wir bestellt hatten. „Montag Morgen werde ich dem nochmal meine Meinung sagen, ich lass das nicht so im Raum stehen.“
„Beruhig dich mal wieder …“ Mia sah Alex finster an, der daraufhin nur mit den Schultern zuckte und etwas entgegnen wollte. Aus dem Augenwinkel bekam ich mit, dass sie ihm unter dem Tisch gegen das Schienbein trat und mit dem Kopf in meine Richtung nickte.
„Schon gut“, murmelte ich. „Ihr müsst keine Rücksicht auf meine Stimmung nehmen.“
„Doch, das müssen wir“, betonte Mia und blickte dabei direkt zu Alex, der daraufhin seine Lippen mit einem unsichtbaren Schlüssel verschloss. Ich musste über seine Albernheit lächeln, als ich zufällig zur Tür sah und die Gruppe Männer beobachtete, die das „DD“ betrat. Colton war einer davon.
„Hey, ist das nicht der Kerl, mit dem du dich letztes Mal unterhalten hast?“ Mia war meinem Blick gefolgt und beobachtete ihn ebenfalls dabei, wie er an die Bar trat.
„Ja“, bestätigte ich. Dass ich mich mittlerweile zwei Mal mit ihm hier getroffen hatte, wussten die beiden nicht.
Als Colton sich mit seinem Bier in der Hand zum Raum hindrehte, trafen sich unsere Blicke und es fühlte sich an, als würden winzige Stromschläge über meine Haut rasen. Seine Miene zeigte keine Regung, aber ich konnte das Glitzern in seinen Augen sehen, das Zucken seiner Mundwinkel. So schnell dieses Gefühl gekommen war, so schnell war es auch wieder verschwunden. Und Colton ebenfalls. Er hatte das volle Bier auf dem Tresen abgestellt und war nach draußen geflüchtet.
„Was war das denn?“, fragte Mia, die das Schauspiel beobachtet hatte und nun, wie ich, die Tür anstarrte, durch die Colton gerade hinausgegangen war.
Ich zuckte nur mit den Schultern. Mia sah mich wieder an und zog nachdenklich eine Augenbraue in die Stirn. Manchmal hatte ich wirklich das Gefühl, sie konnte meine Gedanken lesen, wenn sie mich so anstarrte. In meinem Kopf dröhnte laut Coltons Name.
„War da irgendwas zwischen euch?“ Sie deutete mit der Hand in meine Richtung und dann in Richtung der Tür.
„Zwischen mir und …“, fragte ich nach und anstatt Coltons Namen zu sagen, deutete ich ebenfalls nur auf die Tür.
„Natürlich. Wen sollte ich sonst meinen.“
Mein erster Gedanke war, ihr nicht die Wahrheit zu sagen und eine Ausrede zu erfinden, weshalb ich Colton so angestarrt hatte. Aber es fühlte sich nicht richtig an. Es hatte sich schon merkwürdig angefühlt, ihr und Alex zu verschweigen, dass ich alleine ins „DD“ gegangen war oder mich mit ihm hier getroffen hatte.
„Wir haben uns zufällig hier getroffen“, meinte ich und wollte es klingen lassen, als wäre es nur eine Nebensächlichkeit.
„Aha“, machte Mia neugierig und stützte das Kinn auf ihre Hand.
„Und vielleicht haben wir uns vor ein paar Tagen nochmal gesehen.“
Während sie mich beobachtete und wartete, dass ich ihr die ganze Geschichte erzählte, war ich dankbar, dass mein Smartphone einen kurzen Laut von sich gab und ich das unausweichliche Gespräch noch etwas hinauszögern konnte. Ich zog es aus der Hosentasche und las die Nachricht, die auf dem Display zu sehen war.
Colton, 20:02 Uhr – Können wir draußen kurz reden? Colton
„Jetzt leg das weg und erzähl schon!“, stieß Mia aus, doch ich starrte nur auf die kurze Textnachricht.
„Komme gleich wieder“, murmelte ich im Aufstehen, was mir fragende Blicke der beiden einbrachte. Ich ignorierte sie geflissentlich, durchquerte die Bar mit schnellen Schritten und ging durch die Vordertür nach draußen. Colton stand links von mir, an der blanken Fassade angelehnt.
„Hey“, begrüßte ich ihn und ging einige Schritte auf ihn zu. „Was ist los?“
Er schien irgendwie nervös zu sein, anders als bei unserem letzten Gespräch. Colton sah noch einmal zur Tür des „DD“, bevor er einen Schritt weg davon machte und mich erwartungsvoll anblickte.
„Willst du ein Stück gehen?“
Ich zögerte noch, weil ich mir nicht sicher war, was er von mir wollte, und ob es eine gute Idee war, ihm zu folgen. Aber die Neugierde war eindeutig größer als meine Verwirrung.
„Keine Angst“, fügte er beschwichtigend hinzu. „Ich werde dich nicht in die nächste Seitengasse zerren.“
Sicher war es als Scherz gedacht, aber mir verging das Lachen, wenn ich an diesen speziellen Abend zurückdachte. Ohne etwas zu erwidern, folgte ich ihm die Straße entlang und beobachtete ihn von der Seite, bemerkte, wie er meinem Blick auswich und mit sich selbst rang. Es kam mir vor wie eine halbe Ewigkeit, die wir schweigend nebeneinander herliefen und ich den Blick irgendwann zum Boden gesenkt hatte.
„Ähm … wie geht’s dir so?“, kam es dann schließlich von ihm, aber seine Stimme war ausdruckslos, als würde er die Frage gar nicht so meinen. Hatte er mich nur deshalb nach draußen gebeten? Um mich zu fragen, wie es mir ging?
„Ganz gut“, antwortete ich. Noch dazu sagte meine Antwort nicht mal im Geringsten etwas darüber aus, wie es mir gerade ging. Ganz gut war die Übertreibung des Jahrhunderts. Prüfungsstress, der Job im Laden, meine Eltern, die ich mich nicht traute anzurufen, und zu allem Überfluss konnte ich den ganzen Tag an nichts anderes denken als an Colton und wann ich ihn wiedersehen würde.
„Aber deswegen hast du mich nicht hier rausgerufen, oder?“, fragte ich, weil ich mir seiner Antwort bereits mehr als sicher war.
„Nein“, murmelte er. Ich hob den Blick und sah ihn an, bemerkte seine nachdenkliche Miene, als er stehen blieb.
„Eric, ich kann dich nicht anlügen“, sprach er weiter. „Und ich kann die Gefühle nicht loswerden, die du in mir auslöst. Du bist …“
Ich war verwirrt einen Schritt vor ihm zurückgewichen, zu durcheinander von den Worten, die in meinem Kopf widerhallten. Zuerst hatte ich gedacht, er wollte mit mir über unser letztes Gespräch reden, aber Gefühle? Was für Gefühle löste ich in ihm aus?
„V-vergiss es“, knurrte er plötzlich und drehte sich weg von mir, war im Begriff, wieder vor mir davonzulaufen. Ich schluckte die Verwirrung runter und machte einen großen