Haselnussbraune Versuchung. Ysold Abay

Haselnussbraune Versuchung - Ysold Abay


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Bedienung die nächste Runde Bier und die beiden klobigen Whiskeygläser mit ihrem goldenen Inhalt vor uns abstellte. Ich wünschte mir, doch nichts bestellt zu haben, um dieser unangenehmen Stille aus dem Weg zu gehen.

      „Hör mal“, begann ich. „Du musst mir nichts erzählen, was dir unangenehm ist.“

      „Ich weiß.“

      Er schwenkte den Inhalt seines Glases hin und her, wobei die Eiswürfel darin ein sanftes, rasselndes Geräusch erzeugten.

      „Aber?“ Fragend neigte ich den Kopf und blickte ihn erwartungsvoll an.

      „Ich weiß nicht, wo ich anfangen soll“, meinte er und wirkte irgendwie niedergeschlagen auf mich.

      „Von vorne würde für mich Sinn machen.“ Ich nahm mein Bier zur Hand und ließ den kühlen Inhalt meine Kehle hinunter rinnen, bis Eric nach einem tiefen Atemzug endlich zu sprechen begann.

      „Du hast mich letzte Woche kalt erwischt. Normalerweise habe ich mich im Griff, das kam irgendwie unerwartet.“ Es fühlte sich wie das erste Mal an diesem Abend an, dass er mir direkt in die Augen blickte. Seine blauen Augen nahmen mich ein und ich hatte das dumpfe Gefühl, dass ich, solange er sprach, nicht wegschauen konnte. Ich fand mich damit ab, umklammerte Schutz suchend meine Bierflasche.

      „Das tut mir leid“, war das Einzige, das mir dazu einfiel.

      „Nein, schon okay.“ Eric schüttelte den Kopf. „Das Thema ist nur schwierig für mich. Der Grund, warum ich von Zuhause weggegangen bin und warum das Verhältnis zu meinen Eltern nicht mehr so ist, wie es mal war.“

      Er machte eine Pause, in der er an seinem Whiskey nippte und ich gab ihm die Zeit, die er benötigte, begann geistesabwesend am Etikett der Flasche herumzuzupfen, fragte mich, wie es dazu kam, dass Eric mit einer eigentlich fremden Person am Tisch saß und ihr seine Lebensgeschichte erzählte. Ich war mir nicht sicher, ob ich mir selbst so etwas Intimes erzählen würde.

      „Mein Bruder Samuel hatte einen Unfall vor einigen Jahren. Gerade als ich mit der Schule fertig war.“

      Ich nickte nur, ohne ihn bei seiner Erzählung zu unterbrechen.

      „Der Grund, warum ich Wirtschaftsinformatik studiere, ist Sam. Er wollte das immer machen.“

      Mich beschlich das ungute Gefühl, dass Eric mir zum einen nur einen Bruchteil der eigentlichen Geschichte erzählt hatte, und zum anderen, sein Bruder nicht mehr hier war, um zu sehen, was er für ihn tat. Ich traute mich aber noch nicht, diesen Gedanken laut auszusprechen, solange Eric nicht fertig war.

      „Vor ein paar Tagen habe ich was zu meinen Eltern gesagt, das sie nicht hören wollten. Und wahrscheinlich alles nur noch schlimmer gemacht.“

      „Was hast du ihnen gesagt?“, fragte ich, ohne darüber nachzudenken. Eric zögerte, nahm noch einen Schluck von seinem Whiskey.

      „Ich …“

      „Schon gut, du musst es mir nicht erzählen.“ Abwehrend hob ich eine Hand vom Tisch, doch er hielt meinem Blick entschlossen stand.

      „Ich hab mich geoutet“, gestand er.

      „Oh.“ Idiot. Das ist bestimmt das, was er jetzt hören wollte. „Tut mir leid, dass deine Eltern das nicht gut aufgenommen haben“, setzte ich hinterher und hoffte, er hatte mein kurzes Zögern nicht bemerkt. Warum war ich eigentlich von Anfang an davon ausgegangen, dass er schwul war? Ach ja, …

      „Schon gut“, murmelte Eric und leerte den Rest seines Whiskeys. Ich war mir sicher, dass der Alkohol dazu beigetragen hatte, dass er einfacher darüber sprechen konnte. Meine Gedanken flogen allerdings zurück zu seinem Bruder und ich fragte mich, ob es eine gute Idee war, ihn noch einmal danach zu fragen.

      „Dein Bruder Samuel, ist er …“

      Ein stummes Nicken bestätigte den Verdacht, der sich in meinem Kopf festgesetzt hatte, und ich brach zum ersten Mal, seit er begonnen hatte zu sprechen, unseren Blickkontakt ab.

      „Oh Mann, ich weiß gar nicht, warum ich dir das alles erzähle“, sagte er plötzlich. Ich antwortete nicht darauf, fragte mich aber unweigerlich dasselbe oder ob er es bereute, mich angerufen zu haben. Er hätte es auch jedem anderen hier im „DD“ erzählen können, so fremd waren wir uns – wobei ich mir da nach dieser Geschichte nicht mehr ganz so sicher war. Wir verfielen wieder in Schweigen. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Es tut mir leid für dich? Das tat es natürlich, aber irgendwie spiegelte das nicht einmal einen Bruchteil meiner momentanen Gedanken wider.

      „Du bist ein guter Zuhörer, Colton.“

      „Danke“, murmelte ich, plötzlich unsicher, und suchte den Blickkontakt zu ihm. Das schüchterne Lächeln auf Erics Lippen war schön und angenehm und ich konnte mich nicht dagegen wehren, zurückzulächeln.

      „Möchtest du noch?“, fragte ich und deutete auf sein leeres Whiskeyglas. Meines sah ebenso traurig leer aus.

      „Ja, ich glaube, das wäre jetzt gut.“

      Als ich bestellte, schien das Leben wieder in Eric zurückzukehren und ich konnte sehen, dass er erleichtert war, diese Geschichte losgeworden zu sein. Selbst wenn er sie einem Wildfremden in einer Kneipe am Rand der Stadt erzählt hatte.

      Wir stießen auf seinen Bruder an, als unsere Getränke gekommen waren, und ich nahm einen großen Schluck aus meinem Glas, bevor ich es seufzend auf dem Holztisch vor mir abstellte.

      „Vielleicht sollte ich dir im Gegenzug auch etwas anvertrauen“, sagte ich und blickte ihn über den Tisch hinweg an, versuchte dabei aber, vorsichtig zu lächeln.

      „Was denn?“ Eric sah verwirrt zurück.

      „Der Kontakt zu meinen Eltern ist auch nicht wirklich der beste“, murmelte ich zögerlich. Ich konnte ihm nicht in die Augen sehen, während ich an die Zeit zurückdachte, in der ich noch bei ihnen gewohnt hatte. Auf der weitläufigen Farm, meilenweit vom nächsten Nachbarn entfernt, die einzigen Ansprechpartner waren meine Eltern und die Saisonarbeiter, die jedes Jahr dort waren.

      „Ich wollte mich eigentlich nie vor ihnen outen – sie haben’s trotzdem herausgefunden und ich bin daraufhin von zu Hause weg.“ Mit einem bitteren Lächeln hob ich mein Glas an die Lippen und begrüßte den brennenden Geschmack auf meiner Zunge, der mich von dem schmerzenden Kribbeln in mir ablenkte.

      „Danke, dass du das erzählt hast“, antwortete Eric nach einigen Sekunden der Stille. Ich konnte die aufrichtige Erleichterung in seiner Stimme hören, weil wir beide einen so intimen Teil unserer Geschichte miteinander geteilt hatten. Der Blick in seine schönen blauen Augen ließ die Gedanken an meine Eltern verfliegen, die schwere Last fiel von mir ab.

      „Okay, jetzt mal Klartext.“ Ich richtete mich auf und versuchte, die trübe Stimmung mit einem Lächeln zu überspielen. „Wie kommt ein Kerl wie du in eine Bar wie diese?“

      Überrascht lachte Eric auf und ich war froh, dieses Geräusch zu hören, losgelöst vom Schatten unseres vorherigen Gesprächsthemas.

      „Ähm, mein Mitbewohner war hier schon oft. Eigentlich ist das nicht so mein Ding.“

      Jetzt war es an mir, laut loszulachen. Nicht sein Ding? Rockmusik und Lederkutten, in die Schublade wurde ich schon oft genug gesteckt.

      „Ich mag eigentlich auch keine Rockmusik“, sagte ich daraufhin, funkelte ihn amüsiert über den Tisch hinweg an. Zögerliches Stirnrunzeln, dann schloss Eric die Augen und schüttelte lachend den Kopf.

      „Fast hättest du mich gehabt.“

      ***

      Nach einem stressigen, langen Tag auf der Couch zu liegen und durch das Serien-Programm zu zappen, war eigentlich immer eine entspannte Abendbeschäftigung gewesen, wenn ich mich so zurückerinnerte. War. Ich konnte mich nicht darauf konzentrieren. Seit diesem augenöffnenden Gespräch mit Eric im „DD“ war irgendwie nichts mehr so wie vorher. Ständig hatte ich sein Gesicht vor Augen, sein ehrliches Lachen, seine blauen Augen.

      Ich


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