Haselnussbraune Versuchung. Ysold Abay
Studiengänge belegt als ich und es war ein ziemlich glücklicher Zufall gewesen, dass wir uns damals getroffen und festgestellt hatten, dass wir auf der Suche nach Mitbewohnern waren.
Ich ließ den Kopf hängen und dachte genervt an meine Unterlagen zu Hause. Ich rupfte den Bagel in Stücke, den ich in der Hand hielt, und schwieg.
Je später der Nachmittag wurde, desto weniger Lust hatte ich, nach Hause zu gehen und meinen freien Abend damit zu verbringen, die Nase in Bücher und Notizen zu stecken. Der einzige Ort, an dem ich mir vorstellen konnte, etwas zu entspannen, war, und wer hätte das gedacht, das „DD“ ein paar Straßen weiter.
***
Ich stellte meinen Rucksack ab, zog mich um und hielt mich nur so lange es nötig war, zu Hause auf. Zum Glück hatten mir meine Eltern vor einer Weile ein kleines Taschengeld gegeben, sonst hätte ich mir einen weiteren Abend auswärts diesen Monat nicht mehr leisten können.
In der Bar war heute, unter der Woche, noch weniger los, als ich erwartet hatte. Ein alter Kerl mit einem schäbigen Cowboyhut hatte bisher jedes Mal, als ich hier gewesen war, am Rand des Tresens gesessen und an seinem Bier genippt. Eine Gruppe Männer traf sich auf ein Feierabendbier.
Ich hatte keinen großartigen Hunger, also ließ ich mich an einem kleinen Tisch in der hintersten Ecke nieder und bestellte ein Bier. Wenn es so weiterging, würde ich in meinem letzten Jahr hier mehr trinken als in allen vorherigen zusammen. Wohnheimpartys oder betrunkene Studenten waren nicht mein Ding.
Ich ließ meinen Blick noch einmal durch den Schankraum schweifen und fragte mich im selben Moment, was ich zu finden hoffte. Einen blonden Haarschopf, breite Schultern und haselnussbraune Augen? Sicher ging ich nicht nur ins „DD“, weil Colton vielleicht auch hier war. Mit beiden Händen hielt ich das Bier vor mir umklammert und verwarf den Gedanken wieder.
Mein Kopf schlug vom Thema „gutaussehender Mann“, denn genau das war Colton, sofort eine Brücke zu dem Tag, als ich mich vor meinen Eltern geoutet hatte, und ich hasste ihn dafür. Mom hatte sich seit Tagen nicht gemeldet und ich selbst hatte auch nicht den Mut gefunden, anzurufen. Die Angst, dass mein Vater rangehen würde, war zu groß. Wirklich bereuen tat ich es nicht, dieses ganze Versteckspiel war mir schon vor Jahren auf die Nerven gegangen. Mich endlich überwunden zu haben, Klartext mit ihnen zu reden, war seltsam befreiend. Aber …
„Hey“, kam es plötzlich von links und mein Blick schnellte nach oben, blieb an Coltons kantigen Gesichtszügen hängen.
„Hi“, brachte ich hervor. Das merkwürdige Kribbeln in meinem Magen ignorierte ich. Auch wenn es meine geheime Hoffnung gewesen war, dass er hier auftauchte, hätte ich nicht erwartet, dass es so kommen würde.
„Darf ich mich setzen?“, fragte er und ich nickte, rutschte ans andere Ende der Bank, damit er sich neben mich setzen konnte. Aber genauso, wie ich es getan hatte, zog er einen Stuhl unter dem Tisch hervor und ließ sich mir gegenüber nieder.
„Alles okay?“
Ich runzelte die Stirn und fragte mich, ob es so offensichtlich war, dass ich keine gute Laune hatte. Wie konnte er das erkennen, wo wir uns doch nur zwei Mal für vielleicht fünf Minuten gesehen hatten?
„Ja“, log ich und bereute es im selben Moment. „Es ist stressig im Moment, es sind bald Prüfungen.“
„Prüfungen?“ Fragend hob Colton eine Augenbraue.
„Ich studiere in der Stadt“, war meine knappe Antwort und er nickte wissend.
„Darf ich fragen, was genau?“ Überrascht von seinem Interesse an meinem Leben, schwieg ich einen Moment und überbrückte dies mit einem großen Schluck von meinem Bier. Colton beobachtete mich dabei, als würde er genau wissen, was ich da tat.
„Wirtschaftsinformatik.“
„Wow, das klingt interessant.“ Ich musste ihn erstaunt angeblinzelt haben, denn Colton lachte kurz auf. Die meisten Menschen, die hörten, womit ich die letzten Jahre meine Zeit verbracht hatte, fragten noch ein zweites Mal nach.
„Ja, das ist es“, bestätigte ich. „Aber langsam zehrt es an meinen Nerven.“
Colton nickte ernst, als wüsste er genau, wovon ich sprach. Ich traute mich nicht, zu fragen, was er für seinen Lebensunterhalt tat – über ein Studium war er sicherlich schon hinaus. Er sah für mich auch nicht wie jemand aus, der den ganzen Tag im Büro verbrachte – ihn konnte ich mir eher bei körperlicher Arbeit vorstellen. Heute trug er ein dunkles Shirt und ein Holzfällerhemd darüber, die Ärmel nach oben gerollt. Ich glaubte, die Ausläufer eines Tattoos sehen zu können, war mir im schummrigen Licht der Kneipe allerdings nicht sicher.
Wir schwiegen uns eine ganze Weile lang an, hingen unseren eigenen Gedanken nach, bevor jeder sein Getränk ausgetrunken hatte und Colton die Bedienung zu unserem Tisch rief.
„Möchtest du noch eins?“, fragte er und zeigte auf meine leere Bierflasche.
„Gerne.“
„Willst du auch was Stärkeres?“
Zu meiner eigenen Überraschung wollte ich das tatsächlich.
„Was kannst du empfehlen?“
Auf Coltons Gesicht breitete sich ein sanftes Lächeln aus und er wandte sich an die junge Frau, die nun unseren Tisch erreicht hatte.
„Zwei Bier und zwei Talisker mit Eis, bitte.“
Es war nicht zu übersehen, dass die Frau, obwohl sie geschäftig die Bestellung auf ihren Zettel schrieb, mit Colton flirtete. Ich war mir allerdings nach meiner Beobachtung am letzten Wochenende nicht mehr sicher, ob er auch daran interessiert war.
COLTON
Die junge Bedienung ging mit wiegenden Hüften davon, natürlich blieb mir das nicht verborgen. Mein Blick richtete sich davon unbeeindruckt wieder auf Eric, der vor mir saß und mich beobachtete.
„Talisker?“ Er sah mich fragend an.
„Whiskey“, erklärte ich.
„Ich hab noch nie Whiskey getrunken“, gestand er und meine Mundwinkel zuckten amüsiert.
„Ein Glück, dass du mich getroffen hast“, antwortete ich. „Sonst hättest du was verpasst.“
Eric wich meinem Blick aus, als ich ihn ungeniert beobachtete und dabei schwieg. Das wirre, braune Haar stand ihm vom Kopf und die dunklen Ringe unter seinen Augen verrieten, dass er wenig geschlafen hatte. Nicht, dass ich mir Gedanken darüber machte, wie viel er schlief.
Die Bestellung ließ nicht lange auf sich warten und ich konnte im Augenwinkel sehen, dass die junge Frau ungeniert mit den Wimpern klimperte und sich nahe an mich herangestellt hatte. Der einzige Gedanke, der in meinem Kopf herumschwirrte, war, dass Eric verdammt blaue Augen hatte.
„Auf deinen ersten Whiskey.“
Ich zwinkerte Eric zu und nahm einen genüsslichen Schluck von dem goldbraunen Getränk, die Eiswürfel klirrten. Zuerst skeptisch nahm er ebenfalls einen Schluck. Das Lächeln konnte ich mir nicht verkneifen, als er schluckte und sich seine Wangen röteten. Er war süß. Und genau das war mein Problem. Er war wie viele Jahre jünger als ich? Schlimm genug, dass ich mir letztes Wochenende erlaubt hatte, den Anmachversuchen eines jungen Kerls nachzugeben und mit ihm hinter dem „DD“ verschwunden war. Fehlende Befriedigung und Eric, der mich, verdammt nochmal, dabei erwischt hatte, waren alles, was mir davon geblieben war.
„Wie bist du überhaupt darauf gekommen, Wirtschaftsinformatik zu studieren?“, fragte ich neugierig nach einer gefühlten Ewigkeit, in der wir nur von unserem Bier getrunken und auf die Tischplatte gestarrt hatten. Eric sah auf und sofort veränderte sich etwas in seinem Blick. Er sah verletzt aus, traurig.
„Du musst nicht antworten, wenn …“
„Entschuldige mich kurz“, unterbrach Eric mich.
Er stand hastig von der Bank auf und flüchtete schon fast in Richtung