Goldstück-Variationen. Michael Klonovsky
kauft man sich!«
Das riesige Land erstreckt sich bekanntlich über elf Zeitzonen, also bietet sich zu jeder vollen Stunde die Gelegenheit zum kollektiven Glaserheben, irgendwo sitzt immer jemand, der oder die als Repräsentanten ihrer Weltzeit von der Moderatorin ausgerufen werden kann, beginnend in Chabarowsk am Amur und schließlich endend mit der deutschen Mitternacht. Es gibt Live-Musik – ein Sänger, zwei Sängerinnen, ein Computer –, und die Tanzfläche ist ständig voll. Die Titel wechseln von russischer Popmusik über sowjetische Schlager (die jeder kennt und mitsingt), orientalische Tänze (eine schwarzhaarige, dunkeläugige Schöne reagiert sofort mit den typisch orientalischen Schlangenbewegungen der Arme), bis hin zu Modern Talking. Was komplett fehlt, ist das, was sonst überall läuft.
Die kulturprägende Kraft der Sowjetunion zwang den verschiedensten Völkerschaften nicht nur dasselbe Joch auf, sondern amalgamierte sie zu Sowjetbürgern; alle sprechen dieselbe Sprache, singen dieselben Lieder, haben, sofern etwas älter, ähnliche Erinnerungen, sind durch dieselbe Schule gegangen. Dort haben auch Muslime ganz selbstverständlich Puschkin gelesen, klassische Instrumente gelernt und Schach gespielt. Gerade in den islamischen Ländern am Südbauch Russlands machte der Bolschewismus großen Eindruck; das war eine universalistische Religion von immenser Kraft, die sich wie der frühe Islam ausbreitete und alle Hindernisse niederrannte, deren Prediger von Männern mit Pistolen und Maschinengewehren begleitet wurden und sich auf keinen Kompromiss einließen, sie verkündeten die Gleichheit aller Erdenkinder und machten blutigen Ernst damit, das hatte etwas ungeheuer Einleuchtendes. Heute ist dieses Imperium zerfallen, aber seine zumindest in kultureller Hinsicht eindrucksvollen Reste sind zuweilen noch zu besichtigen.
Liebe schon länger hier gut und gern lebende Bürgerinnen und Bürger und drittes Dingens, im vergangenen Jahr ist die Bevölkerung Afrikas um weitere etwa 36 Millionen Menschen gewachsen. Damit ist für unsere Politik ein Rahmen gelegt, den wir nicht wegdiskutieren können. Wir stehen also vor der globalen Herausforderung, dem weiter steigenden Bedürfnis der Menschen, die bald hier leben werden, und ihrer Angehörigen, Vorfahren und Hausgeister nach individueller Mobilität, digitaler Teilhabe, religiöser Toleranz und Klimaschutz gerecht zu werden. Wer anderen eine Grenze baut, soll nicht mit Steinen werfen, sonst fällt er selbst hinein. Wir brauchen einen Marschallstab, äh -plan für Afrika. Wir schaffen das, und wenn dies bald nicht mehr Ihr Land ist, meins ist es nie gewesen. Ihre amtierende Kanzlerinnensprechpuppe
Das einzige, was Brillanz erträglich macht, ist ihre relative Erfolglosigkeit. Zum Glück für die leicht überdurchschnittliche Intelligenz sind die meisten Menschen unfähig, Brillanz überhaupt zu bemerken.
Mehrere Leser haben den Springer-Vorstandsvorsitzenden Mathias Döpfner für seinen Welt-Kommentar »Deutschlands Stimme gegen Jerusalem ist beschämend« gelobt und gefragt, ob ich mich zu diesem »klaren Statement« nicht äußern wolle.
Wollte ich eigentlich nicht. Döpfners Text beginnt nämlich mit den Worten: »Wenn man die Geschichte der letzten 100 Jahre – kreisend um das Schlüsselereignis, den Holocaust – etwas (aber nur unwesentlich) vereinfacht, dann gibt es ein Tätervolk, die Deutschen, ein Opfervolk, die Israelis, und eine Gemeinschaft der Retter, die Alliierten.«
Der Chef eines großen deutschen Medienkonzerns besitzt also – oder fingiert es zumindest – ein Geschichtsbild von der Schlichtheit eines totalitär manipulierten Hauptschülers und zugleich die Obszönität des Millionärs, es öffentlich zu machen. Wer sich auf eine dermaßen primitive Weltsicht überhaupt einlässt, ist ein Sklavenwesen, das heute Jerusalem als Hauptstadt Israels verteidigt und der Stadt übermorgen auf Geheiß anderer den Status aberkennt, der ist vollkommen unfrei in jeder Hinsicht seines Denkens. Wer die Tragödien des 20. Jahrhunderts auf ein dermaßen armseliges und ahnungsloses Level zusammenschnurren zu dürfen meint, verdient eigentlich keinerlei Erwähnung meinerseits – jetzt tu’ ich’s ja nolens volens doch –, auch nicht, wenn er sich politisch in meinem Sinne äußert. Warum sollte ich diesen intellektuellen Kretinismus erwähnen? In meinem Diarium irrlichtern doch schon genug intellektuelle Schmalhänse herum.
4. Januar
Für die progressive Literaturwissenschaftlerin ist Casanova ein Frauenfeind.
Das Opernhaus Florenz spielt die Carmen jetzt mit geändertem Schluss; die schöne Zigeunerin kommt ihrem verschmähten Liebhaber Don José zuvor und erschießt ihn, bevor er sie umbringen kann. Um die Sache plausibel zu machen, erscheint der verliebte Deserteur nicht mit einem Messer, sondern mit einer Pistole zum Finale, die Carmen ihm entwindet und gegen ihn selber richtet – woher sollte ein einfaches Mädchen schließlich eine Pistole haben? Der ergreifende Abgesang Josés, dies fassungslose »C’est moi qui l’ai tuée! Ah! Carmen! Ma Carmen adorée!« (»Ich habe sie getötet! Carmen! Meine angebetete Carmen!«) fällt damit natürlich flach (keine Ahnung, wie sie das lösen wollen, ohne das Werk auch musikalisch zu verstümmeln). »Wir denken, es ist wichtig, dass das Theater kein konservativer Ort der Musikkultur ist, es sollte kein Museum sein. Es ist ein Ort, an dem eine Debatte beginnen kann. Carmen wurde vor 150 Jahren in einem ganz anderen kulturellen Kontext geschrieben. Zeiten ändern sich«, erklärt der Produzent. Wie wahr. Nur der Opportunismus bleibt konstant.
»The dramatic departure from operatic orthodoxy is an attempt to shine the spotlight on the modern-day abuse and mistreatment of women, an issue given added resonance by the outrage over the behaviour of Harvey Weinstein and Donald Trump«, hält der Telegraph in seinem Bericht über die neue Jahrhundert-Carmen fest.
Ich hätte ja nichts gegen eine zeitgenössische Carmen, deren Finale einmal so umgekehrt läuft, als Anklage gegen Weinstein und Trump und die anderen Unholde (aber niemals eine blonde Carmen, die von einem »Südländer« erdolcht wird!), für alle, denen die Tosca nicht genügt. Doch dann soll sie auch ein Zeitgenosse schreiben; dass die Unproduktiven, künstlerisch Unfruchtbaren an den Klassikern herummanipulieren, geht mir »wider die Natur« (W. Busch). Schluss. Aus. Gesindel. Boykott!
Die Welt meldet: »Die Zuwanderung von mehr als eineinhalb Millionen Ausländern über das Asylsystem hat zu einem spürbaren Anstieg von Gewalttaten geführt. Das ist das Ergebnis einer vom Kriminalwissenschaftler Christian Pfeiffer geleiteten Studie im Auftrag des Bundesfamilienministeriums.« Die besagte Studie des mysteriösen Instituts, das eigentlich ein e.V. ist, von dem weithin bekannten »Kriminalastrologen« (so Bernd Zeller bzw. Alexander Wendt) Christian Pfeiffer geleitet wird und bislang besonders durch Gefälligkeitsgutachten zur Verharmlosung von Migrantenkriminalität auffiel, kommt also zu dem Ergebnis, dass Wölfe Schafe reißen und der Regen die Erde nässt, thank you very much, aber das haben wir leider Gottes schon vorher gewusst, die Leugner (und Lumpen), die das Gegenteil behaupteten, um ihren Heiligenschein erstrahlen zu lassen, natürlich auch. Nun geht es routiniert ans Abwiegeln. In der Welt – ich könnte schockweise ähnliche Passagen aus anderen Medien zitieren – liest sich das so:
»Allerdings gilt es wie bei allen Statistiken zu beachten, dass die Auffälligkeiten von Gruppen keine Aussage über den einzelnen Gruppenangehörigen zulassen. Die Frage, ob Flüchtlinge generell krimineller sind als Deutsche, ist selbstverständlich mit Nein zu beantworten. Genauso wenig, wie Amerikaner krimineller als Franzosen sind oder Obdachlose mehr als Investmentbanker. Statistisch feststellbare Merkmale einer Gruppe treffen grundsätzlich keine Aussage über ein bestimmtes Mitglied der Gruppe.« (Nein, nur über die Wahrscheinlichkeit, innerhalb dieser Gruppe ein Exemplar mit dem jeweiligen Merkmal zu treffen.)
Das zitiert der Journalist nicht, das »meldet« er in einer »Nachricht«. Weil diese tumben Gesellen