Goldstück-Variationen. Michael Klonovsky
und man von ihnen Berichterstattung oder wenigstens die Trennung von Kommentar und Meldung erwartet, liest kaum mehr einer diese Gazetten. Selbstverständlich sind Flüchtlinge nicht krimineller als Deutsche, sie begehen nur mehr Straftaten. Wäre Mustafa – das ist ein Pseudonym, keinesfalls will ich alle Träger dieses schönen Namens stigmatisieren – genauso aufgewachsen wie Martin, in dieselbe Schule gegangen, in denselben Kreisen verkehrt etc. pp., er wäre selbstverständlich so wenig kriminell wie jener. Und umgekehrt wäre Martin an Mustafas Stelle eben etwas verhaltensauffälliger. Wir sollten vielleicht noch darauf insistieren, dass beide idealerweise auch jeweils dieselben Eltern, Geschwister, Ehrbegriffe und religiösen Vorstellungen haben müssten.
Was uns der Welt-Mensch und mit ihm der gesamte in der westlichen Hemisphäre herrschende Zeitgeist sagen wollen, ist, dass es zwischen Gruppen eigentlich keine Unterschiede gibt, speziell nicht in puncto Kriminalitätsneigung und Intelligenz, und wenn doch, dann ist der weiße Rassismus daran schuld. Wenn irgendwann einmal alle Familien, Kulturen, Ethnien, Nationen, Religionen und Klassen aufgelöst sind, weil die Menschen sich völlig durchmischt und kollektiv individualisiert haben, dann wird auch diese herzlose Stigmatisierung nach Gruppenzugehörigkeiten enden. Sicherheitshalber wählt unser Journalist kompatible Vergleichsgruppen und schreibt, Amerikaner seien nicht krimineller als Franzosen oder Obdachlose als Investmentbanker. Wie wäre es indes mit Afghanen, Rumänen oder Algeriern im Vergleich mit Franzosen? Sind Zigeuner krimineller als Mormonen? Begehen Uhrmacher mehr Straftaten als Luden oder Bauarbeiter? Fragen über Fragen.
Zur Studie. Sie nimmt Niedersachsen als typisches pars pro toto für ’schland, das nur am Rande. Auf Seite 60/61 gibt es eine Tabelle »Zustimmung zu islamisch fundamentalistischen Aussagen«. Quelle ist eine niedersachsenweite Befragung unter muslimischen Schülern anno 2015 – inzwischen dürften sie noch etwas optimistischer geworden sein –, welche unter anderem folgende Zustimmungswerte auf folgende Aussagen ergab:
–Der Koran ist das einzig wahre Glaubensbuch; die darin festgehaltenen Regeln müssen genau befolgt werden. 69.6 Prozent (Jungen 69.0/Mädchen 70.3)
–Der Islam ist die einzige wahre Religion; alle anderen Religionen sind weniger wert. 36.6 Prozent (35.0/37.6)
–Ich kann mir gut vorstellen, selbst für den Islam zu kämpfen und mein Leben zu riskieren. 29.9 Prozent (27.1/32.6)
–Die islamischen Gesetze der Scharia, nach denen zum Beispiel Ehebruch oder Homosexualität hart bestraft werden, sind viel besser als die deutschen Gesetze 27.4 Prozent (32.2/22.5)
–Muslime werden auf der ganzen Welt unterdrückt; dagegen müssen sie sich mit Gewalt zur Wehr setzen. 19.8 Prozent (24.0/15.2)
–Es ist die Pflicht jedes Muslims, Ungläubige zu bekämpfen und den Islam auf der ganzen Welt zu verbreiten. 18.6 Prozent (16.9/20.1)
–Muslimen ist es erlaubt, ihre Ziele notfalls auch mit terroristischen Anschlägen zu erreichen. 3.8 Prozent (4.8/2.9)
Für jeden politisch und vor allem perspektivisch denkenden Freund des Rechtsstaates und des Pluralismus müssten die Alarmglocken schrillen angesichts dessen, was da heranwächst. Doch der Kommentar in der Studie gibt Entwarnung: «Nur ein kleiner Teil der Muslime stimmt im Durchschnitt allen Items zu (Hervorhebung von mir – M. K.). Dies trifft auf 10.8 % der Muslime der niedersachsenweiten Schülerbefragung 2015 zu. Werden die Ergebnisse zusammengefasst, so ist unter Nutzung eines neu entwickelten Messinstruments zur Erfassung islamisch extremistischer Einstellungen zu konstatieren, dass sich etwa jeder neunte muslimische Jugendliche zustimmend äußert. Werden die hier ebenfalls berichteten Raten zu rechtsextrem und linksextrem eingestellten Jugendlichen zum Vergleich herangezogen, so ist dieser Anteil nicht übermäßig hoch.«
Wenn also unser Mustafa zwar sagt, dass die Scharia über jedem weltlichen Gesetz steht und es die Pflicht des Muslims sei, Ungläubige zu bekämpfen, dafür aber terroristische Anschläge ablehnt, wird er vermittels des neu entwickelten Messinstruments unter die eher harmlosen Feinde des Rechtsstaates rubriziert. Und jeder zehnte Martin denkt – und handelt – im Grunde ebenso, nur halt auf links- oder rechtsextreme Weise. Wer aber, außer vielleicht H. Maas, wäre bereit, seine Lesart des Grundgesetzes notfalls auch mit terroristischen Mitteln durchzusetzen?
Weiter im Text: »Die PKS Niedersachsens zeigt ferner für das Jahr 2014, dass die ab 14-jährigen Frauen bei den Tatverdächtigen der Gewaltkriminalität nur einen Anteil von 12,4 % erreichen, obwohl sie im selben Jahr 50,9 % der Wohnbevölkerung stellten. Frauen sind offenbar erheblich weniger gewaltorientiert als Männer. Die Annahme erscheint berechtigt, dass sie bei Konflikten eher auf gewaltfreie Lösungen hinwirken und versuchen werden, die zu ihrem engeren sozialen Umfeld gehörenden Männer entsprechend zu beeinflussen. (…) Die große Mehrheit der männlichen Jugendlichen und jungen Männer, die im Verlauf der letzten beiden Jahre als Flüchtlinge nach Deutschland gekommen sind, lebt hier ohne Partnerinnen, Mütter, Schwestern oder andere weibliche Bezugspersonen in reinen Männergruppen. Die gewaltpräventive, zivilisatorische Wirkung, die von Frauen ausgeht, kommt dadurch weniger zum Tragen, während einem anderen Faktor größeres Gewicht zukommen kann: die Orientierung an gewaltlegitimierenden Männlichkeitsnormen».
Man achte auf die hohe Zustimmungswerte bei Schülerinnen zu radikalen Positionen oben. Wahrscheinlich sind die frommen Schwestern von der Gesellschaft in Kaltland aggressiv gemacht worden. Man sieht schließlich im gesamten Orient kaum etwas anderes als unter dem zivilisierenden Einfluss ihrer Frauen friedfertig ihr Wasserpfeifchen schmauchende Moslems. Es ist wie eigentlich immer bei Pfeiffer: Behauptungen, Mutmaßungen und Unterstellungen werden mit Zahlen verrührt zur rosigen Prognose. Die Regierung ist zufrieden, die Medienclaque applaudiert.
Ein letztes Zitat: »Hinzu kommt ein Aspekt, der sehr zu beachten ist, wenn die Zahlen von polizeilich registrierten Tatverdächtigen den zentralen Ausgangspunkt einer Kriminalitätsanalyse bilden. Sie beruhen nun einmal primär auf der Anzeigebereitschaft der Opfer. Diese aber wird offenbar stark von der ethnischen Zugehörigkeit des jeweiligen Täters beeinflusst. (…) Je fremder der Täter ist, umso eher wird angezeigt.«
Es gibt dafür zwar keinen stichhaltigen Beleg, klingt aber gut. Alexander Wendt hat freilich auf einen Aspekt hingewiesen, den diese Leute immer übersehen, nämlich dass die tatsächliche Kriminalitätsrate dann ungeheuer hoch sein müsste, weil die vielen nicht angezeigten Straftaten durch Biodeutsche die exorbitant anwachsende Migrantenkriminalität ja weit überträfen. Und wie war das eigentlich in den Jahren vor 2015? Muss ein alter deutscher Schlager mit neuem Text versehen werden: »Kein Schwein zeigt mich an«?
Die Tagesthemen setzten gestern Abend der Manipulation verlässlich das Sahnehäubchen auf. Die Sprecherin suggerierte bei der »Meldung« zur besagten »Studie«, die Gewaltkriminalität der Migranten resultiere daher, dass sie »keine Bleibeperspektive« besäßen; eine dauerhafte Aufnahme samt Familienzusammenführung könnte die Aggressionen für immer befrieden.
So etwas hätte sich Karl Eduard v. Schnitzler wahrscheinlich nicht getraut.
»Feuerwehr-Präsident schlägt Alarm: ›Angriffe werden immer brutaler‹«, schreibt Bild. »Acht Angriffe auf Einsatzkräfte und 57 Attacken gegen Einsatzfahrzeuge zählte alleine die Berliner Feuerwehr zum Jahreswechsel. Rettungssanitäter wurden sogar mit Schusswaffen bedroht.« Der Mann heißt Hartmut Ziebs, geht mit keiner Silbe auf den mindestens mutmaßlichen Täterkreis ein – hatten wir früher wahrscheinlich auch schon, wurde halt nicht angezeigt – und sagt im Interview: »Alle Innenminister verurteilen diese Attacken. Aber das reicht nicht. Warum gehen die Bürger nicht auf die Straße und demonstrieren gegen Gewalt an Feuerwehrleuten? Angriffe auf die Feuerwehr sind Angriffe auf unsere Werte. Das Innenministerium in Hessen hat eine Schutzschleife in rot-weiß-blau als Zeichen der Solidarität herausgebracht. Rot für die Feuerwehr, weiß für die Rettungssanitäter und blau für die Polizei. Diese Schleife kann jeder als sichtbares Symbol gegen Gewalt auf Einsatzkräfte tragen.«
Wenn hinreichend viele Solidarisierer die republikanische