Freiheit und Ehre - Roman nach der wahren Geschichte eines dänischen Freiheitskämpfers. Pernille Juhl

Freiheit und Ehre - Roman nach der wahren Geschichte eines dänischen Freiheitskämpfers - Pernille Juhl


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wollte er also jetzt zurück nach Südjütland? Hier fühlte sich alles so pathetisch an, alles erinnerte ihn an Gerda. Der Lindholm Herregård, auf dem sie gearbeitet hatte, die Hauptstraße und das Café, in dem sie gesessen hatten. Trotzdem setzte er sich in seiner Freizeit aufs Rad, suchte die Orte auf und spürte den Schmerz.

      Mehr als einmal sagte er sich, er wäre besser in Kopenhagen geblieben. Die Hauptstadt war einfach offener, dort konnte er ein anderer sein, dort war er ein anderer, ein begabter Offiziersanwärter mit einer vielversprechenden Zukunft. Sein Akzent war schon lange kein Problem mehr, im Gegenteil, einige Mädchen fanden ihn sogar richtig entzückend.

      Schön war, dass er nah bei der Familie sein konnte. Die gemeinsamen Sonntagsessen wurden wieder aufgenommen, und sowohl Oma als auch Tidde und Alma platzten beinahe vor Stolz darüber, dass er nun Offizier und Ausbilder beim Militär war. Sie wussten nicht genau, was es bedeutete, aber das spielte für sie auch keine Rolle.

      Er fand eine Wohnung im Toftevej, und es kam ihm sehr gelegen, nicht in der Kaserne wohnen zu müssen.

      Mit aller Kraft widmete er sich seiner Aufgabe und wurde schnell zu einem der beliebtesten Ausbilder in der Kaserne. Oft rief er sich die Abschlussrede des Generalinspekteurs an der Offiziersanwärterschule in Erinnerung, der betont hatte, es sei vornehmste Pflicht der zukünftigen Ausbilder, erzieherisch auf die Wehrpflichtigen einzuwirken, um so der Jugend des Landes das geistige und moralische Rüstzeug an die Hand zu geben, das im Hinblick auf das gesellschaftliche Zusammenleben für Land und Volk so unverzichtbar sei. Der Ausbilder habe die moralischen Eigenschaften des Soldaten zu fördern, sodass dieser stets seine Pflicht erfülle, selbst unter den gewaltsamen Einflüssen des Krieges, selbst wenn er auf sich allein gestellt war. Es sei ihre Aufgabe, Vaterlandsliebe und das Verständnis dafür zu festigen, was es bedeute, den Nachkommen ein freies und selbstständiges Dänemark in die Hände zu legen.

      Sicher, die Rede des Generalinspekteurs hatte bei den Abschlussfeiern der letzten Jahre wohl genauso oder zumindest ähnlich geklungen, aber sie konnte kaum zutreffender gewesen sein als in diesen Tagen. Das Land war besetzt, und sowohl in Dänemark als auch jenseits der Landesgrenzen überschlugen sich die Ereignisse. Im Juni hatte Deutschland die Sowjetunion angegriffen, im Laufe des Sommers waren überall im Land führende Kommunisten verhaftet worden und im August hatte das dänische Parlament das Kommunistengesetz verabschiedet, das jegliche kommunistische Vereinigungen und Verbindungen verbot.

      Christian verfolgte die Entwicklung genau. Zwar spielte sich sein Leben beinahe ausschließlich in der Kaserne ab, doch stellten Zeitungen und Radio eine feste Verbindung zur Außenwelt sicher. Seine Wut wuchs im Takt mit der Ohnmacht gegenüber der Entwicklung in Dänemark. Er konnte nicht mehr tun, als auf dem Weg vom Toftevej zur Kaserne und zurück alle Deutschen in Haderslev zu ignorieren und die Straßenseite zu wechseln, kam ihm die Besatzungsmacht entgegen.

      Ab und zu berichtete die Presse über Sabotageakte, die darauf abzielten, den Deutschen den größtmöglichen Schaden zuzufügen. Er dachte an die Unterhaltungen mit Aksel und Petersen, kurz nachdem der Krieg ausgebrochen war. Sie hatten über ähnliche Aktionen gesprochen. Aber wie schloss man sich einer solchen Gruppe an, wenn man umgezogen war und sich gerade erst niedergelassen hatte? Schließlich gab es keine Aushänge beim Kaufmann am Schwarzen Brett, wo man sich melden konnte.

      Die Rekruten sprachen fast jede freie Minute über die Besatzung ihres Landes. Manchmal hörte Christian ihre Diskussionen mit an, ohne etwas dazu zu sagen. Einige von ihnen hatten sehr vernünftige Ansichten, wie er fand. Nach der Invasion Russlands hatte Frits Clausen, der Arzt aus Bovrup, noch mehr Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Nicht zuletzt in diesem Teil des Landes fand er überdurchschnittlich viele Anhänger. Christian erinnerte sich an einen der Wortwechsel der Rekruten, bei dem er dabei gewesen war. Hoffentlich hatten sie ihm nicht angesehen, was er dachte. Innerlich war er sehr stolz auf sie gewesen.

      Natürlich hatten sie auch auf der Offiziersanwärterschule über die DNSAP gesprochen, und jetzt spukte Frits Clausen wieder in den Zeitungen herum. Einige veröffentlichten Bilder der ersten Soldaten, die im Dienste des Freikorps' Dänemark das Land verließen.

      „Da wir gerade von Clausen sprechen: Jetzt ist die Gelegenheit, sich zu melden. In Kopenhagen hat die Waffen-SS eine Werbekampagne gestartet“, sagte Heino mit unschuldiger Miene und breitete die Arme aus. Christian mochte ihn. Zwar gehörte er nicht zu den besten Rekruten, aber er hatte Humor. „Für alle, die Lust haben, mit den Nazis in Russland zu kämpfen und den Bolschewiken mal so richtig die Gamaschen zu besohlen.“

      Alle lachten.

      „Frits Clausen steht hinter der Kampagne. Habt ihr die Plakate gesehen?“, hakte Heino nach. „Wer sich meldet, kämpft ab sofort für das Freikorps Dänemark.“

      „Du bist ja bestens informiert“, sagte der Bornholmer und zog an seiner Zigarette.

      „Mein Vetter hat sich gemeldet. Grundgütiger! Sie schicken ihn in ein Ausbildungslager nach Deutschland, und dann geht’s ab nach Russland und in den Krieg“, fuhr Heino fort und verdrehte die Augen.

      „Zum Teufel, man weiß wirklich nicht, was gefährlicher ist, ein Haufen Kommunisten oder ein Haufen Nazis“, meinte Bengtsson und schüttelte den Kopf.

      „Wie wir alle wissen, ist nichts so gefährlich wie ein Kommunist“, schaltete Christian sich mit deutlicher Ironie in der Stimme ein. „Die Treibjagd, die im Moment abläuft, ist nur ein weiterer Beweis für den Einfluss der Deutschen in Dänemark“, fügte er mit ernster Miene hinzu, bereute die Worte aber in dem Moment, in dem er sie ausgesprochen hatte, denn er verstieß damit gegen eine wichtige Grundregel.

      Überrascht sahen die Rekruten ihn an. Dann sagte einer: „Deutschland hat Jugoslawien und Griechenland erobert, und jetzt greifen sie die Sowjetunion an. Sie berauschen sich an ihren Siegen, aber das wird sich ändern. Mit den Russen werden sie nicht fertig.“

      „In Wirklichkeit regieren doch die Deutschen unser Land, wenn sie die Regierung zwingen können, die Kommunistische Partei zu verbieten und die Kommunisten zu verhaften. Sie sagen unserer Regierung ja sogar, wenn ihr es nicht macht, dann machen wir's eben selbst!“ Bei diesen Worten sah Heino zu seinem Ausbilder hinüber.

      „Sie kennen Frits Clausen doch bestimmt, Herr Ausbilder Fries“, stellte der Bornholmer fest.

      „Warum sollte ich?“

      „Liegen Bovrup und Kollund nicht direkt nebeneinander?“

      „Nein, und ich kenne ihn auch nicht.“ Er stand auf und verließ den Unterrichtsraum, fest entschlossen, die Grundregel nicht noch einmal zu übertreten. Man diskutierte mit seinen Rekruten nicht über Politik. Nichtsdestotrotz hätte er gerne noch mehr gesagt, besonders zu der Pressemitteilung, die das Außenministerium kürzlich herausgegeben hatte und aus der hervorging, dass 'Oberstleutnant Kryssing das Kommando des Freikorps' mit Billigung der königlich-dänischen Regierung? übernommen habe.

      Kollund, Dezember 1941

      Christian bedankte sich bei dem Mann, der ihn auf seinem Pferdewagen mitgenommen hatte, und legte die letzten Kilometer bis zur Hühnerfarm zu Fuß zurück. Er konnte sich nicht erinnern, dass ihm jemals so kalt gewesen war. Sein ganzer Körper war steif gefroren, die Füße in den Stiefeln schienen zu Eisklumpen geworden zu sein. Er schlug den Kragen hoch und träumte von einer Pelzmütze anstelle der Strickmütze, die er trug und die der Wind vollkommen ignorierte. Die Böen wirbelten Schneeflocken durch die Luft, sodass er eine Hand an die Stirn legen musste, damit sie ihm nicht in die Augen wehten. Seine Pflegeeltern hätten ihn natürlich abgeholt, besonders bei diesem Wetter, doch wussten sie nicht, dass er einen Tag früher als geplant Weihnachtsurlaub bekommen hatte. Natürlich würden sie sich freuen.

      Er war fest entschlossen, die vorweihnachtliche Stimmung nicht zu verderben, indem er Alma und Jes davon erzählte, was in Kopenhagen vor sich ging. Sie machten sich ohnehin schon genug Sorgen.

      Er kämpfte sich vorwärts und schob die freie Hand in die Manteltasche. Zu seiner Überraschung bekam er ein Stück Papier zu fassen, einen Handzettel, den er vor Wochen eingesteckt hatte. Tatsächlich hatte er ihn einem Kameraden weitergeben wollen, hatte es aber schlichtweg


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