Freiheit und Ehre - Roman nach der wahren Geschichte eines dänischen Freiheitskämpfers. Pernille Juhl

Freiheit und Ehre - Roman nach der wahren Geschichte eines dänischen Freiheitskämpfers - Pernille Juhl


Скачать книгу
Weg? steht darunter.“ Er achtete darauf, seiner Stimme einen unüberhörbar ironischen Tonfall zu verleihen, sodass niemand missverstehen konnte, was er davon hielt.

      „Jedenfalls weiß er, wie man sein Fähnchen auf die Landkarte setzt“, meinte Hans Kristian. „Soweit ich weiß, kommt es immer wieder zu Konfrontationen zwischen jungen Nationalisten und den Nazis, oder?“

      „Schade, dass wir im Sommer in Roskilde nicht dabei waren. Da gab's ein paar ordentliche Prügeleien mit der Polizei.“

      Die Versammlung lachte wieder.

      „Klingt, als wären es einige von euch gewesen, die Clausens Plakate verunstaltet haben.“ Holm sah einige seiner Zuhörer direkt an und fuhr fort, als ihm verständnislose Blicke begegneten. „Ha, habt ihr das etwa noch nicht mitgekriegt? Mein Vetter ist in der K. U., und er hat mir erzählt, dass sie auf alle Clausen-Plakate einen Streifen geklebt haben, auf dem 'Aus dem Schweinestall entlaufen? steht.

      Schallendes Gelächter brach aus.

      Als Christian wenig später ins Bett ging, hatte er das Gefühl, erst jetzt tatsächlich auf der Offiziersanwärterschule angekommen zu sein. Es brauchte eben nicht immer die großen Dinge, um dazuzugehören.

      Christian trieb sich im Stall herum. Vielleicht würde Hans Kristian ja noch auftauchen. Sie hatten sich oft zur selben Zeit bei den Stallungen aufgehalten, ohne miteinander zu sprechen, aber jetzt war das Eis gebrochen.

      Dann hörte er die Stalltür quietschen und das charakteristische Klappern von Hufen auf Beton. Neben dem Vierbeiner betrat Hans Kristian den Stall. Christian grüßte ihn und ließ ein paar Minuten verstreichen, bevor er zu der Box schlenderte, in der Hans Kristian sein Pferd versorgte.

      „Na, schönen Ausritt gehabt?“, fragte er beiläufig.

      „Und ob. Ich liebe es, um diese Jahreszeit über die abgeernteten Felder zu reiten“, antwortete Hans Kristian, während er den Sattel vom Rücken des Pferdes hob.

      „War ein netter Abend gestern.“ Christian streckte die Arme aus zum Zeichen, er könne behilflich sein und den Sattel in die Sattelkammer bringen.

      „Danke“, sagte Hans Kristian lächelnd und mit frischen roten Wangen. Als Christian zurückkam, fuhr er fort: „Alle reden nur noch über Politik. Vor der Besatzung habe ich mich eigentlich nicht besonders für Politik interessiert. Tja, das hat sich gründlich geändert.“

      „Das geht wohl den meisten so“, meinte Christian.

      Hans Kristian nahm eine Hand voll Heu und rieb damit das schwitzende Pferd ab. „Wir sitzen schon viel zu lange untätig herum.“ Er hielt inne und sah Christian an, der vor der Box auf dem Gang stand. „Ich glaube, es ist zu spät, um dem Beispiel der Norweger zu folgen. Sie haben sich von Anfang an einen Platz an der Seite der Alliierten erkämpft. Wenn wir das Gleiche erreichen wollen, dann brauchen wir List und viel Geduld … Und wir müssen endlich mal in Gang kommen.“

      „Das sehe ich genauso.“ Christian überlegte, wie offen er sein konnte und kam zu dem Ergebnis, dass er und Hans Kristian auf derselben Seite standen. „Stauning und der Rest der Regierung tun, was sie können, um uns davon zu überzeugen, dass sich Dänemark am besten wegduckt und so klein wie möglich macht. Eine äußerst sonderbare Strategie.“

      Er verstummte. Entschied, dass es vorläufig besser war, nichts darüber zu sagen, wie er sich den Widerstand gegen die Deutschen vorstellten. Noch wusste er nicht, wie er es anpacken sollte. Er saß auf der Offiziersanwärterschule fest. Außerdem gab es keinen nennenswerten Widerstand in der Bevölkerung, die Leute schwiegen und fügten sich, schienen sich mit ihrem Schicksal abgefunden zu haben. Im Radio hörte man tagtäglich von den siegreichen Feldzügen der Deutschen.

      „Ich habe übrigens etwas ganz Neues angefangen“, sagte Hans Kristian unvermittelt.

      „Aha?“ Christian war neugierig.

      Sein Gesprächspartner drehte sich zu ihm um und sah ihn eindringlich an. „Ich gehe jetzt doch tatsächlich regelmäßig in die Bibliothek.“

      Überrascht hob Christian die Augenbrauen, und Hans Kristian lachte.

      „Damit hattest du nicht gerechnet, was? Ich lese viel über die alten Kämpfe und Streitigkeiten um die Grenze. Ja, und über die, die sich früher in Deutschland dafür eingesetzt haben, dass unsere Heimat heute zu Dänemark gehört. Besonders H. P. Hanssens Erinnerungen haben großen Eindruck auf mich gemacht.“

      Christian sah ihm in die Augen. „Woher kommst du eigentlich?“

      „Aabenraa.“

      „Kann ich mir die Bücher mal ausleihen?“

      „Na klar.“

      Haderslev, Sommer 1941

      Die Zeit verging wie im Flug. Als Christian sein Zeugnis als Ausbildungsoffizier in Händen hielt, konnte er es kaum fassen. Es trug die Überschrift 'Offiziersanwärterschule des Heeres? und war auf Frederiksberg Slot ausgestellt und unterzeichnet worden. Es besagte, dass er der viertbeste von fünfzig Schülern seiner Klasse war.

      Die Offiziersanwärterschule hatte ihn zu einem vorzeigbaren Fechter gemacht, und was das Schießen anging, hatte er sich noch einmal verbessert. Auch im Sport schlug er sich inzwischen wacker, und er konnte auf eine Zeit zurückblicken, in der er viel erlebt hatte. Militärhistorische Vorträge hatten ebenso zu seiner Ausbildung gehört wie Erste-Hilfe-Kurse, Gesangsunterricht und Tanz.

      Gesang und Tanz! Nicht gerade Disziplinen, die er erwartet hatte – aber die Fächer hatten ihn positiv überrascht. Überall im Land war das Nationalbewusstsein seit der Besatzung stärker zutage getreten, und es schien, als sei damit auch die Lust am Singen größer geworden. Die Zeitungen brachten Bilder von tausenden von Menschen, die sich zum gemeinsamen Singen zusammenfanden. Sogar Alma und Jes gingen zu solchen Veranstaltungen. Und dass 'Gemeinsames Singen? auf dem Ausbildungsplan der Offiziersanwärterschule stand, ergab plötzlich erst recht einen Sinn, verschaffte es ihnen doch die Gelegenheit, zusammen ein Bekenntnis für ihr Land abzulegen. Stolz sangen sie sich durch das nationale Liedgut.

      Der Tanzunterricht erinnerte ihn daran, dass es außerhalb der Offiziersanwärterschule Frauen gab. Tatsächlich waren sie überall. Sie waren schön, ausgelassen und kurvig. Nicht ganz so wie Gerda, aber es musste doch eine andere geben, die zu ihm passte.

      Es ärgerte ihn, dass er jedes Mal, wenn er mit einer der attraktiven Frauen das Parkett betrat, an Gerda denken musste. Reiß dich zusammen, ermahnte er sich selbst, aber es half nichts. Es lag wie ein Fluch über ihm. Über etwas zu fantasieren, das man ja doch nicht bekommen konnte, war einfach nur Zeitverschwendung.

      Er würde viele gute Erinnerungen an die Schule mitnehmen. Brauchte er etwas Aufmunterung, musste er nur an das Lied denken, das sie auf ihrem Abschlussfest gesungen hatten. Hans Kristian und ein paar andere hatten es sich ausgedacht, und es war so komisch, dass ihm vor Lachen die Tränen in die Augen getreten waren, als sie es an ihrem letzten gemeinsamen Abend zum Besten gaben. Es trug den Titel 'Das Ende der Statistenschule? und beschrieb sehr treffend, wie es gewesen war, die Offiziersanwärterschule zu besuchen, während das Land besetzt war. Sogar die Lehrer hatten ihren Spaß. Eine Strophe hatte es allen besonders angetan, und Christian kannte sie auswendig:

      Merkt auf, Soldaten, euer Land ist in Gefahr,

      denn das Geld ist knapp in diesem Jahr,

      aber unser Land kommt schon zurecht,

      nur ein paar Touristen mehr wären schon nicht schlecht.

      Und um die hierher zu führen,

      gibt’s ab sofort 'ne neue Taktik.

      Ihr werdet einfach keine Offiziere,

      sondern Statisten in der Schauspieltruppe vom Old Vic.

      Ein paar Tage später stand er mit dem Marschbefehl in der Hand vor der Haderslev Kaserne, um seinen Dienst als Ausbilder anzutreten. Hatte er sich vorgestellt, es würde so werden wie früher? Plötzlich wusste er


Скачать книгу