Freiheit und Ehre - Roman nach der wahren Geschichte eines dänischen Freiheitskämpfers. Pernille Juhl

Freiheit und Ehre - Roman nach der wahren Geschichte eines dänischen Freiheitskämpfers - Pernille Juhl


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besondere Atmosphäre; das ungeduldige Schaben der Hufe, kurz bevor der Hafer verteilt wurde; ein freudiges Wiehern, wenn er hereinkam. Eine schöne, dunkelbraune Stute mit vier weißen Socken und einer Blesse auf der Stirn hatte es ihm besonders angetan. Musse. Ihr Maul war seidig weich und sie war von sanftem Gemüt, was ihm sehr gefiel. Er verbrachte Stunden auf ihrem Rücken oder bei ihr in der Box, während er nachdachte oder Selbstgespräche führte.

       Warum fühlst du dich hier nicht wohl? Du kommst doch im Großen und Ganzen in allen Fächern ziemlich gut zurecht.

      Reiten war sein Lieblingsfach. Bot sich die Gelegenheit, schlenderte er hinunter zu den Ställen. Sport bereitete ihm die größten Probleme, und in einem schwachen Moment hatte er sich ein Buch zugelegt, Sport in unserer Zeit – Ertüchtigung fürs Volk, obwohl er eigentlich gar kein Interesse daran hatte. Jetzt lag es unberührt in einer Ecke seiner Stube und schien ihn höhnisch anzusehen.

      Wenn du das bisschen Freizeit, das du hier hast, ja doch nicht mit diesem langweiligen Unsinn verschwenden willst, warum hast du das Buch dann überhaupt gekauft? Er lächelte über sich selbst. Ein wenig Vergnügen stand ihm ja wohl zu. Vielleicht konnte er das Buch an irgendjemanden verkaufen?

       Wenn ich schon etwas lese, muss es wenigstens spannend sein, außerdem kann ich genauso gut in den Stall gehen oder Briefe nach Hause schreiben.

      Er war ein guter Junge. Ja, das war er. Schrieb Brief um Brief an die Lieben zu Hause, sowohl an Oma, Alma und Jes als auch an Tidde und Tante Adda. Er stellte sich vor, wie sie über ihn sprachen, ihren Kedde. Stellte sich ihre lachenden Gesichter vor, wenn sie sich sonntags trafen, sich über seine guten Eigenschaften austauschten und sich gegenseitig versicherten, dass er es schon zu etwas bringen werde in Kopenhagen. Gut zu wissen, dass es Menschen gab, die an ihn glaubten.

      Er klopfte Musses Hals und verließ die Box, um die Kiste mit den Striegeln zu holen. Als er zurückkam, ging er systematisch ans Werk, striegelte die Stute mit langen, festen Streichen und freute sich darüber, dass sie es sichtlich genoss. Ganz still stand das Pferd da, die Ohren nach vorne geklappt und den Kopf zu ihm gedreht, als wolle es alles genau beobachten. Er ließ die Hand über das glänzende Fell am Rücken des Tieres gleiten und atmete den starken, aber angenehmen Geruch des Pferdes ein. Der Geruch würde sich in seiner Kleidung festsetzen, ihn den Rest des Abends begleiten und an seinen Zufluchtsort erinnern.

      Du musst verflixt noch mal zusehen, den Leuten gegenüber etwas offener zu sein. Will man neue Kameraden finden, muss man auch etwas dafür tun. Die Sätze schwirrten ihm im Kopf herum. Du führst Selbstgespräche und merkst es fast nicht mal. Das einzige Wesen, mit dem du sprichst, ist ein Pferd! Schlechte Angewohnheit. Nur weil du nicht mehr zusammen mit Aksel und Petersen in Sønderborg bist, musst du ja wohl nicht gleich als Sonderling enden, der nur noch mit sich selbst spricht … und einem Pferd!

      Er seufzte. Tja, er musste wohl die Initiative ergreifen. Es gab noch einen anderen Burschen, der sich oft im Stall aufhielt, Hans Kristian. Er schien ein netter Kerl zu sein, und er kam auch aus Südjütland. Hoch aufgeschossen und knochig, ging er immer leicht vornübergebeugt, wie groß gewachsene Menschen es oft tun, die sich unbewusst kleiner machen wollen. Aber wie man mit einem Pferd umging, das wusste er!

      Christian hörte, wie die Tür zum Stall aufgeschoben wurde und Hufe über den Gang klapperten. Jemand war von einem Ausritt zurückgekommen und brachte sein Pferd zurück in die Box. Christian trat dicht an die Gitterstäbe vom Musses Box heran und spähte den Gang entlang.

      „Guten Abend.“

      „Ach, hallo, da versteckst du dich.“ Lächelnd führte Hans Kristian sein Pferd vorbei.

      Schweigend kümmerten sie sich um die Tiere. Christian zog das Striegeln in die Länge, bis er hörte, wie sich Hans Kristian auf dem Gang zu schaffen machte. Als er sich umdrehte, stand Hans Kristian vor Musses Box.

      „Die anderen sitzen draußen und schnacken ein bisschen. Kommst du mit?“

      „Warum nicht? Ich bin hier sowieso fertig.“ Er gab Musse einen Klaps aufs Hinterteil und trat auf den Gang. Milde Luft empfing sie an der Stalltür, und Hans Kristian steuerte zielstrebig auf eine Gruppe Offiziersanwärter zu, die es sich dort bequem gemacht hatten, wo sie sich immer trafen. Christian folgte ihm. Spätsommer. Vielleicht einer der letzten warmen Abende des Jahres? Der süße Duft der Stockrosen, die an der Mauer emporrankten, hing in der Luft. Saftiges grünes Gras erfreute das Auge, Hummeln summten und der Abendhimmel war tiefblau.

      Sicher sprachen sie über Politik, das taten alle in diesen Zeiten. Es überraschte Christian deshalb nicht, dass er die Worte Kooperationspolitik und Regierung schon von Weitem ausmachen konnte. Hans Kristian und er sahen sich an, als hätten sie denselben Gedanken.

      Sie ließen sich auf zwei freien Stühlen nieder und glitten nahezu unbemerkt in den Kreis junger Männer, die lautstark diskutierten.

      „Das sind eben genau die Gründe, warum die Kooperationspolitik richtig ist“, stellte Holm fest, einer der Wenigen, die die Politik der Regierung unterstützten, wie Christian schon früher aufgefallen war, während die meisten von ihnen kein gutes Haar daran ließen. Jetzt fuhr er unverdrossen fort: „Erstens: Die Nazis lassen die Finger von den Gesetzen unseres Landes. Zweitens: Auf diese Weise ist sichergestellt, dass wir nicht in Kriegshandlungen verwickelt werden und schließlich drittens: Unsere Grenzen bleiben bestehen, so wie sie sind. Nichts täten die Deutschen lieber, als die Grenze wieder an den Kongeå zu verlegen, so wie vor 1920.“

      „Die Regierung ist ein Haufen von Marionetten“, behauptete ein Kerl namens Tage Larsen. „Sie müssen einfach mal Rückgrat beweisen. Wenn sie ständig nur den Schwanz einziehen, übernehmen die Deutschen bald voll und ganz die Kontrolle über unser Land.“

      Christian fand, beide Standpunkte hatten etwas für sich, auch wenn er mehr mit Tages Meinung sympathisierte. Als Südjüte kannte er die Angst nur allzu gut, die die Menschen nahe der Grenze auch noch zwanzig Jahre nach der Vereinigung spürten. Sie fürchteten, die Deutschen könnten die Grenze wieder verlegen. Auch in seinem Kopf waren die Bilder von dem Tag vor ungefähr einem halben Jahr, als die Deutschen das Land besetzten, noch allzu frisch. Wie die Heimatdeutschen in Sønderborg an den Straßenrändern gestanden und den Besatzern zugewunken und sie gefeiert hatten, als seien sie Helden. Es war und blieb eine ewige Streitfrage in seiner Heimat.

      „Unsere Regierung führt ein absurdes Theaterstück auf, und wir, die dänischen Soldaten, sind nur die Statisten“, meinte ein Nordjüte mit rotem Bart, ein riesiger Kerl, dem niemand gern allein im Dunklen begegnet wäre.

      „Ich könnte kotzen, wenn ich die ganzen Anweisungen höre, die man andauernd von allen Seiten bekommt“, warf einer ein, den Christian nicht kannte. „Überall, im Radio, in den Zeitungen, wenn man sich mit Freunden trifft und um Himmels willen sogar im Kino kriegt man gesagt, was man zu tun hat … und um Gottes willen zu lassen hat.“

      Einige nickten, und jemand murmelte mit aufgesetzt ironischer Stimme: „Obacht, gemäß Paragraph 117 Absatz soundso kann ihr Verhalten ernst zu nehmende Folgen nach sich ziehen.“

      „Ich sage ja nur, dass alles noch viel schlimmer wäre, wenn wir nicht entsprechend der Kooperationspolitik handeln würden“, beharrte Holm. „Dann würden die Deutschen den ganzen Laden übernehmen.“

      Eine Weile sagte niemand etwas, offenbar war jeder mit seinen eigenen Gedanken beschäftigt. Es war, als gebe es nichts anderes mehr in ihrem Leben als den Krieg.

      „Die Kooperationspolitik stellt trotz allem sicher, dass die etablierten dänischen Parteien an der Macht bleiben. Und bis jetzt ist es immerhin gelungen, Frits Clausen von den Futtertrögen fernzuhalten.“

      „Frits Clausen“, schnaubte einer aus der Runde. „Seine Kampagnen für die Machtübernahme der Nazis in Dänemark sind ja kaum noch zu übersehen.“

      Einige lachten.

      „Den nimmt doch sowieso keiner ernst.“

      „Sag das mal nicht, seine Partei ist auf dem Vormarsch.“

      „In


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