Freiheit und Ehre - Roman nach der wahren Geschichte eines dänischen Freiheitskämpfers. Pernille Juhl

Freiheit und Ehre - Roman nach der wahren Geschichte eines dänischen Freiheitskämpfers - Pernille Juhl


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schauderte.

      „Ich glaube, die Reichweite der Maschinengewehre ist zu klein“, sagte der Kamerad neben ihm.

      Weitere Flugzeuge zogen hoch über ihren Köpfen dunkel brummend vorüber. Wie ein Schwarm riesiger Insekten, bedrohlich und eine finstere Zukunft prophezeiend.

      „Verdammt, verdammt, verdammt ...“, murmelte sein Nebenmann.

      Christian hatte eine Erwiderung auf der Zunge, aber dann hörte er plötzlich einen neuen Befehl: „Kampfhandlungen einstellen! Kampfhandlungen einstellen!“

      Sie sahen sich an. Fragende Mienen. Zogen die Brauen zusammen und formten jeder ein lautloses „WAS?“ mit den Lippen. Sie hatten noch keinen einzigen deutschen Soldaten zu sehen bekommen, aber die Flugzeuge auf dem Weg nach Norden sprachen eine deutliche Sprache.

      Christian fühlte Wut in sich aufsteigen. Die Anspannung der letzten Stunden hatte sich aufgestaut, und jetzt sollten sie zurück zur Kaserne marschieren, einfach so. Er konnte es nicht fassen. Funktionierte so etwa die dänische Verteidigung? Die Verteidigung, der er blind vertraut hatte und von der er ein Teil sein wollte, unbedingt? Die Gedanken an die Familie zu Hause, die stolz auf ihn sein würde, verblassten. Hier gab es nicht das Geringste, worauf irgendjemand stolz sein konnte!

      Er atmete tief durch und riss sich zusammen. Er musste professionell sein. So wie er es immer war. Dann entdeckte er ihren Zugführer, der den Helm abnahm und auf die Erde schleuderte, dass kleine Steinchen und Erde nach allen Seiten spritzten. Genauso fühlte er sich gerade auch.

      Zögernd und mit hängenden Köpfen machten sich die Soldaten auf den Weg zurück zur Kaserne. Die mühsam unterdrückte Wut drohte, beim kleinsten Anlass auszubrechen, und Christian wusste auch ohne jedes Wort, wie es Aksel und Petersen ging.

      Auf den Bürgersteigen standen immer noch zahlreiche Leute herum, darunter viele Heimatdeutsche. Einige hielten Blumensträuße in den Händen, um den Feind willkommen zu heißen, und warfen den dänischen Soldaten verächtliche Blicke zu. Was zum Teufel dachten sie sich eigentlich? Glaubten sie wirklich, dieser Teil Dänemarks würde wieder deutsch werden?

      Vereinzelte „Heil Hitler“-Rufe waren zu hören, und Arme wurden zum Hitlergruß ausgestreckt. „Was für Idioten“, sagte Petersen, der offenbar Gedanken lesen konnte.

      „Man würde ihnen gerne mal ein paar Takte sagen“, meinte Christian nur und bemühte sich, seine Wut unter Kontrolle zu halten. Wenig später spürte er, wie der Drang, etwas zu tun, zu handeln, langsam abflaute. Was hätte es schon nützen können? Die Situation in Sønderborg war, wie sie nun einmal war. Wie es wohl um die anderen Städte in Südjütland stand? Er wollte es lieber gar nicht wissen.

      Aber auch andere sahen mit finsterer Miene zu ihm und seinem Zug herüber, empört über die Passivität des Militärs. Höhnische Zurufe waren zu hören. Er versuchte, sie zu ignorieren.

      Was machte die Familie in Kollund jetzt? Standen sie auch vor ihrem Haus und redeten flüsternd mit den Nachbarn? Lasen sie die Flugblätter, die massenweise aus den deutschen Flugzeugen abgeworfen worden waren? Früh am Morgen hatte es geradezu Flugblätter geregnet, und jetzt lagen sie überall herum und wurden vom Wind aufgewirbelt und hierhin und dorthin geweht. Schon draußen am Sportplatz hatte Christian sich ein Exemplar in die Tasche gesteckt. Er hatte es später lesen wollen, aber jetzt brannte er darauf zu erfahren, was dort stand. Was schrieben die Deutschen? Er musste es wissen und wünschte sich gleichzeitig, nie auch nur ein Wort davon zu erfahren.

      Die Überschrift wirkte beinahe schon komisch, und die dänische Rechtschreibung schien den Deutschen auch nicht besonders zu liegen: „AUFRUF! Ohne Grund und gegen den Willen der deutschen Regierung und des deutschen Volkes, in Frieden zu leben ...“

      „Ihr könnt mich mal“, hatte er gedacht. Es schien schon wieder lange her zu sein.

      Zurück in der Kaserne, teilte sein Zug sich in mehrere kleine Gruppen auf. Einige berichteten, die Turmwache habe den ganzen Morgen über unverdrossen „Fluglärm aus Süd … Fluglärm aus West“ gerufen, bis ein Offizier gekommen war und ihm befohlen hatte, endlich den Mund zu halten.

      Wie immer ließ Aksel seine Kontakte spielen. Er wusste zu berichten, dass Generalleutnant Prior schon am 6. April um die Erlaubnis zur Mobilmachung und zur Einberufung der Reservisten ersucht hatte. In den Tagen danach hatte er erneut empfohlen, die Reservisten einzuberufen und Verteidigungsstellungen an strategisch wichtigen Punkten zu errichten. Der Verteidigungsminister hatte jedes Mal abgelehnt.

      „Mit der Begründung, dass die Deutschen keinesfalls provoziert werden dürfen. Mein Gott noch mal“, beschloss er seinen kurzen Vortrag.

      „Verflucht, wir könnten die Deutschen ruckzuck aus dem Land jagen – man muss uns nur lassen“, meinte Gustav, der in der Koje gegenüber der von Christian zu Hause war.

      Andere Kameraden gesellten sich zu ihnen. Alle waren aufgebracht wegen der Entwicklung, die sich abzeichnete. Ihre Wut richtete sich nicht mehr gegen den Kasernenkommandanten, sondern zielte auf den Verteidigungsminister. Was für ein Idiot! Typisch, dass ein Mann, der oberster Befehlshaber des Militärs war, keine Ahnung davon hatte, wie man ernste Situationen wie diese anpacken musste.

      „Erst heißt es, die dänischen Soldaten werden aktiv in Kampfhandlungen eingreifen, dann dürfen wir uns nicht mal auf Kampfhandlungen vorbereiten. Was ist das für eine Doppelmoral?“, fragte einer der Kameraden.

      Während sie miteinander redeten, überquerten beinahe pausenlos deutsche Flugzeuge die Kaserne und flogen nach Norden.

      Das Schlimmste war nicht, dass sie nicht wussten, was vor sich ging. Nicht zu wissen, wo das alles hinführen würde. Vermutlich dachten die anderen genauso sehr an ihre Familien und Liebsten wie Christian es tat. Waren sie in Gefahr? Konnte ihnen etwas zustoßen?

      Christian fiel das Flugblatt wieder ein, das er am Sportplatz aufgehoben und mitgenommen hatte. Er nahm es aus der Tasche, und sofort richtete sich die Aufmerksamkeit aller auf das Stück Papier.

      „Mit freundlichen Grüßen von den Deutschen“, knurrte Gustav.

      Angestachelt von der Stimmung las Christian mit ironischer und verfremdeter Theaterstimme: „AUFRUF! An die dänischen Soldaten und das dänische Volk! Ohne Grund und gegen den aufrichtigen Wunsch der deutschen Regierung und des deutschen Volkes, in Frieden zu leben und in Freundschaft mit dem englischen Volk und dem französischen Volk, haben die Machthaber in England und Frankreich im letzten September Deutschland den Krieg erklärt ...“

      Der Text war zu lang, um ihn komplett vorzulesen, wie er einsehen musste. Unterzeichnet war das Flugblatt mit 'Der deutsche Kommandeur', und schon nach den ersten Worten brach die Gruppe um ihn herum in höhnisches Gelächter aus.

      Mit seiner Ausbilder-Berg-Karikaturstimme fragte Aksel „Nennen sie das etwa Dänisch?“, und wieder lachten alle.

      Das Stück Papier machte die Runde, jeder von ihnen las es durch und als Christian es zurückbekam, las er den Text auch noch einmal von Anfang bis Ende. Die letzten Zeilen lauteten: „Das Volk wird aufgefordert, mit der täglichen Arbeit fortzufahren und für Ruhe und Ordnung zu sorgen! Für die Sicherheit des Landes sorgt von jetzt ab das deutsche Heer und die Flotte.“

      Der Tag verging quälend langsam. Die Atmosphäre in der Kaserne war geprägt von unverbrauchter Energie, die nach einem Ventil suchte, um sich zu entladen. Christian war völlig desillusioniert und niedergeschlagen. Was nützt mir jetzt mein 'sonniges Gemüt', von dem du immer sprichst, liebe Oma?, dachte er. Kann ich jemals wieder glücklich werden nach dem, was heute passiert ist? Nicht, bevor die verfluchten Deutschen unser Land verlassen haben!

      Pausenlos gab es neue Gerüchte, und niemand wusste, woher sie kamen oder was man auf das geben konnte, was erzählt wurde.

      „Es heißt, die Garde-Husaren hätten sich geweigert, sich zu ergeben und kämpfen jetzt in den Waldgebieten in Nordseeland gegen die Deutschen“, berichtete einer. „Ich habe eben noch gehört, das ganze Regiment sei nach Schweden geflohen“, erwiderte ein anderer.

      „Vorhin


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