Freiheit und Ehre - Roman nach der wahren Geschichte eines dänischen Freiheitskämpfers. Pernille Juhl

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erklärt.“

      „Ha, Deutschland gegen den Rest der Welt!“

      Sie mussten beide lachen.

      „Sie haben eine ordentliche Tracht Prügel verdient, diese Deutschen“, sagte Nicolaj. „Immer halten sie sich für was Besseres. Dass Südjütland sich für Dänemark entschieden hat, daraus sind sie auch nicht schlauer geworden.“

      „Neulich habe ich in irgendeinem Blatt eine Karikatur gesehen“, sagte Christian. „Darin ging es um den Nichtangriffspakt zwischen Dänemark und Deutschland. Hitler steht auf einem riesigen Panzer mit Hakenkreuz und diesem ganzen Zeugs an der Seite. Die Kanone zielt auf einen kleinen Mann, der seinen Hut in den Händen hält: unser Außenminister P. Munch. Ich finde, das trifft den Nagel auf den Kopf.“

      „Mit dem Pakt können sie sich genauso gut den Hintern abwischen“, sagte Nicolaj und spuckte auf den Boden.

      Dann rief Oma, das Essen sei fertig. Christian hätte ihr Gespräch gerne fortgesetzt, aber solche Themen war bei Tisch tabu.

      Vor dem Essen sangen sie 'In Jesu Namen kommen wir zu Tisch', und Christian spürte mit einem Mal, wie sehr er das Singen vermisste.

      Jes erzählte von der Hühnerfarm und einer neuen Epidemie, die alle Hühnerzüchter teuer zu stehen kommen würde. Es galt, schnell und klug zu handeln, ansonsten könnte es fatale Folgen für die Tiere haben. Er hatte die wenigen kranken Hühner sofort von den gesunden getrennt. Alma und Jes lächelten sich über den Tisch hinweg an, und Christian wurde warm ums Herz. Hier zu Hause bei seinen Pflegeeltern war die Welt noch in Ordnung. Endlich lief der Betrieb besser, und Jes hatte seinen sonstigen Arbeitgebern gekündigt und konnte sich ausschließlich um die Hühnerfarm kümmern. Alma schien regelrecht glücklich zu sein. Es gab keinen Grund, die gute Stimmung zu zerstören und von den neuesten Entwicklungen in Deutschland und vom Krieg zu reden. Die meisten am Tisch erinnerten sich noch gut an den Großen Krieg, und keiner von ihnen wollte daran denken, es könnte noch einmal zu einer ähnlichen Katastrophe kommen.

      Nicolaj und er warfen sich verständnisvolle Blicke zu.

      Sie sprachen über Christians Karriere beim Militär. Oma, Tidde und Alma strahlten vor Freude über ihren „kleinen Kedde“, und tatsächlich fühlte er einen gewissen Stolz. Er musste erzählen, wie die Tage in der Kaserne abliefen und was er sein würde, wenn er mit seiner Ausbildung fertig war. Alle möglichen Fragen prasselten auf ihn ein. Dann redeten sie über Nicolajs Ausbildung zum Buchdrucker in Fredericia.

      Das Essen schmeckte ausgezeichnet, und alles war wunderbar, bis Oma sagte: „Sag mal, Kedde, du hast doch früher immer mit Gerda gespielt, der Tochter von Zimmermann Madsen, oder?“

      Er räusperte sich. „Öh, ja.“

      „Wusstest du, dass sie geheiratet hat? Letztes Jahr, in der Kirche in Bov.“

      „Nein, wusste ich nicht.“

      „Ich bin da gewesen, neugierig wie ich nun mal bin.“ Typisch Oma. Sie lächelte zufrieden und fuhr fort. „Ihr Vater ist ja ein Fall für sich. Nichts ist gut genug für seine kleine Gerda, und er platzte fast vor Stolz über seinen neuen Schwiegersohn. Hans-Jørgen Holst heißt er und ist wohl der Sohn eines der großen Gutsbesitzer bei Haderslev.“

       Gerda Holst, du lieber Gott!

      „Aha. Wie schön für sie.“

      Nicolaj sah ihn forschend an, und es schien, als wisse er alles.

      Oma bemerkte nichts, und unbekümmert sprach sie weiter. „Jetzt läuft sie mit dickem Bauch herum, ist wohl schon ein paar Tage überfällig. Sie war letzte Woche auf Besuch zu Hause bei ihren Eltern. Sehr hübsches Mädchen, muss man schon sagen.“

      Den Rest des Tages musste Christian sich zusammenreißen. Es fiel ihm schwer, an den richtigen Stellen zu lächeln, und ein ums andere Mal überzogen dunkle Falten sein Gesicht.

      Er wünschte, Oma hätte nicht von Gerda und dem dicken Bauch erzählt. Immer wieder tauchten Bilder von Gerda als schöner Braut und werdender Mutter vor seinem inneren Auge auf. Er konnte sich nicht vorstellen, dass es irgendwo in diesem Land eine Frau gab, die ihn genauso beeindrucken würde wie sie.

      Sønderborg, Winter '39 / '40

      Christian widmete sich mit Leib und Seele der Infanterie-Unteroffiziersschule in Sønderborg. Seine Zeit verbrachte er entweder in der Kaserne oder in Gesellschaft von Aksel und Petersen in ihrem gemeinsamen Studierzimmer. Er war fest entschlossen, Gerda zu vergessen und die Prüfungen mit Bestnoten zu bestehen.

      Die Ausbildung gestaltete sich so, wie er es erwartet hatte, anspruchsvoll und hart. An den sechs Werktagen der Woche absolvierten sie vormittags Übungen draußen im Feld oder auf dem Kasernengelände. Er mochte es, seine Muskeln zu spüren, sein Körperbau konnte mittlerweile mit dem einer griechischen Statue konkurrieren, und auch die Übungen auf der Schießbahn im Sønderskoven, dem nahegelegenen Waldgebiet, bereiteten ihm keinerlei Probleme, ganz im Gegensatz zu dem korpulenten Aksel, der sich mit diesen Teilen der Ausbildung zunehmend schwertat. Einige der Ausbilder scheuchten ihre Schützlinge besonders gerne zur Schießbahn, um irgendwelche Übungen durchzuführen. Schon der Weg dorthin glich einem Gewaltmarsch, und in der Nähe gab es eine drei Meter hohe Mauer, die die Soldaten mit vollem Gerödel überklettern mussten.

      In diesen Augenblicken, in denen ihm alles abverlangt wurde, erkannte Christian, dass es ihm nicht gelingen würde, Gerda voll und ganz aus seinen Gedanken zu verbannen. So manches Mal ertappte er sich bei dem Gedanken: Wenn du mich jetzt sehen könntest …, während er die Mauer überquerte und sich dabei stark wie ein Ochse fühlte, während Aksel als einer der letzten den anderen hinterherstolperte.

      Nachmittags stand Theorie auf dem Stundenplan, und auch hier gehörte er in sämtlichen Fächern zu den Besten. Den Samstag mochte er am wenigsten: Reinigen der Ausrüstung sowie der Stube, außerdem persönliche Hygiene. Ganz gleich, wie sehr er sein Zeug putzte und polierte, die abschließende Musterung brachte er nie hinter sich, ohne von seinem Ausbilder abgekanzelt zu werden. Meistens war es Nikolajsen. Christian hatte ihn im Verdacht, ihn auf dem Kieker zu haben.

      Sonntags hatten sie die berühmte Pimmel-Parade zu überstehen, anschließend wurde der Stubendurchgang geradezu zelebriert. Die Fenster mussten geputzt und der Boden gewischt sein. Immer Punkt acht Uhr wurden Kleidung, persönliche Hygiene und Spinde genauestens überprüft. Nach einiger Zeit betrachtete Christian es als einen natürlichen Bestandteil des Heeres. Er verstand die Notwendigkeit von Regelmäßigkeit und Routine, und samstags musste er nun mal mit Nikolajsen leben.

      Das Dasein in der Sønderborg Kaserne war vorhersagbar und verlässlich. Sie lebten wie in einer Enklave, abgesondert vom Rest der Welt. Nur auf dem Weg zwischen Studierzimmer und Kaserne und bei Besuchen zu Hause bei der Familie hatten sie kurz Kontakt mit der Welt außerhalb des Militärs. Sowohl Christian als auch Petersen und Aksel schlossen die Ausbildung zum Feldwebel mit guten Prüfungen ab, und alle drei entschieden sich, mit der Ausbildung zum Oberfeldwebel weiterzumachen.

      Im Herbst und Winter '39 / '40 beanspruchte die Welt außerhalb ihres Alltags mehr und mehr Aufmerksamkeit. Die Überschriften der Zeitungen erreichten auch die Sønderborg Kaserne, wo man mit wachsender Beunruhigung die politischen Spannungen in Europa verfolgte; Hitlers aufstachelnde Reden, die immer unmenschlichere Behandlung der Juden und die Invasion Polens. Ende November überfiel die Sowjetunion ohne Kriegserklärung Finnland.

      Anfang Januar, unmittelbar nach der Zwischenprüfung, gönnte sich das Trio ausnahmsweise einmal einige Glas Bier im Gasthaus Christian IV. Hemmungslos zogen sie über Staatsminister Staunings Neujahrsansprache her, und nach den ersten Bier wechselte die Stimmung zwischen lauthals vorgetragenen Ansprachen, ohrenbetäubendem Gelächter und ausschweifenden Prophezeiungen des kurz bevorstehenden Weltuntergangs. Sie hatten völlig vergessen, dass sie nicht allein waren, und achteten nicht auf die neugierigen oder leicht vorwurfsvollen Blicke der übrigen Gäste.

      Aksel hatte einen Satz aus der Rede Staunings auswendig gelernt und zitierte ihn im Laufe des Abends mehrere Male: „Aufgrund der Struktur unseres Landes


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