Freiheit und Ehre - Roman nach der wahren Geschichte eines dänischen Freiheitskämpfers. Pernille Juhl

Freiheit und Ehre - Roman nach der wahren Geschichte eines dänischen Freiheitskämpfers - Pernille Juhl


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Kronen im Monat“, antwortete Aksel.

      „Danke, dass ihr dabei an mich gedacht habt. Warum eigentlich nicht? Versuchen wir's einfach mal.“

      „Ausgezeichnet. Außerdem kannst du nach einem Monat ja auch wieder aussteigen, wenn dir das Ganze doch nicht passt“, sagte Aksel lächelnd. „Tatsächlich haben wir schon was in Aussicht, in der Heloglandsgade, das Zimmer, das auch mein Bruder hatte. Und ein Kaffee am Abend ist sogar inbegriffen.“

      Christian konnte sich des Gedankens nicht erwehren, dass es ganz bestimmt nicht langweilig werden würde.

      „Ein bisschen umständlich ist es schon“, meinte Petersen mit einem kaum wahrnehmbaren Lächeln. „Immerhin müssen wir jedes Mal Ausgehuniform tragen, wenn wir die Kaserne verlassen.“

      Auch Christian fand diese Vorschrift albern. „Ja, und die weißen Handschuhe nicht vergessen ...“

      „ … und Gürtel und Stiefel immer auf Hochglanz poliert“, fügte Aksel in einem Tonfall hinzu, als hielte er sich die Nase zu und klang dabei genau wie ihr Ausbilder Berg.

      Wieder lachten sie alle drei.

      „Ich finde, es ist schon allerhand, dass sie uns vorschreiben, in welche Kneipen wir gehen dürfen und in welche nicht“, ereiferte Aksel sich.

      „Als hätten wir Zeit, in die Kneipe zu gehen“, ergriff Petersen wieder das Wort. „Aber es kann sein, dass hin und wieder einer der Offiziere in unserem Zimmer vorbeischaut, Christian. Nicht, dass wir am Ende noch Karten spielen oder uns mit jungen Damen vergnügen.“

      „Das wäre ja wirklich allerhand“, sagte Christian und stimmte in das Lachen der beiden anderen ein.

      „Wartet erst mal ab, wenn am Sonntag Pimmel-Parade ist“, sagte Aksel mit einer Miene, als warte er nur auf ihre Reaktion. Petersen kam Christian zuvor.

      „Pimmel-Parade?“

      „Jeden Sonntag kommt ein Oberstleutnant zur Kontrolle. Dann haben wir in Unterhose und mit nackten Füßen vor unseren frisch gemachten Betten zu stehen und die Hände auszustrecken. Und dann wird der Herr Oberstleutnant kontrollieren, ob die Zeh- und die Fingernägel auch ordentlich sauber sind.“

      „Das ist ja schlimmer als zu Hause bei Mama“, sagte Christian, und sie lachten wieder.

      Schlimmer als in Haderslev kann es ja wohl nicht werden, dachte er, musste aber bald feststellen, dass er sich geirrt hatte.

      Schon am Nachmittag spürte Christian die Veränderung. Er hatte zwei neue Freunde, und sie tauschten diskrete Blicke aus, als sie Ausbilder Berg gegenüberstanden, der genauestens die Regeln für die Grußpflicht außerhalb der Kaserne und noch ein paar andere seltsame Dienstvorschriften durchging.

      Das Zimmer in der Helgolandsgade erwies sich sehr schnell als Glücksfall für Christian. Er hielt sich häufig dort auf, um in Ruhe oder gemeinsam mit seinen neuen Freunden pauken zu können. Sie mussten nur um 22.00 Uhr zurück in der Kaserne sein und auf ihrer Stube im Bett liegen.

      Es war ein strammes Programm, das Christian im Frühjahr 1938 in der Sønderborg Kaserne zu absolvieren hatte, dennoch blieb ihm genug Zeit darüber nachzudenken, wie er Gerdas famose Hochzeit mit diesem Hans-Jørgen verhindern konnte. Natürlich war es Zeitverschwendung. Während des Sommers und ein Jahr später, im September, verbrachte er einige Tage zu Hause auf der Hühnerfarm bei Alma und Jes, die ihn nach Kräften verwöhnten.

      Sonntags traf sich die ganze Familie bei Oma, wie in den guten alten Zeiten. Christian freute sich darauf. Natürlich war er ein paar Mal bei ihr gewesen, aber die Familientreffen am Sonntag waren ein Ritual, das ihn an seine Kindheit erinnerte.

      Bei einem seiner unzähligen Besuche als Kind hatte Oma einmal gesagt: „Dein sonniges Gemüt hast du von Tidde geerbt. Das ist ein Geschenk, Kedde.“

      Er hatte die Bemerkung nie vergessen. Es war wie eine Verpflichtung, ein Geschenk in Form eines sonnigen Gemüts. Aber für ihn hieß es auch, dass er ein Geschenk für die Familie war. Schon damals, als er noch ein kleiner Junge war, gab er sich alle Mühe, ein Geschenk zu sein, besonders für Tidde. Damals glaubte er, er werde eines Tages mit Oma Botilla über die ungewöhnlichen Familienverhältnisse sprechen, unter denen er aufwuchs, aber es war nie dazu gekommen.

      Für die anderen Kinder in der Schule war es viel einfacher. Es war schwierig, zu erklären, wie das alles zusammenhing mit seiner Familie. Er war von Frauen umgeben, Tidde, Botilla samt Tante Alma und Tante Adda. Tidde war seine richtige Mutter, und doch auch wieder nicht. Sie hatte ihn zur Welt gebracht, konnte sich aber nicht um ihn kümmern, weil sie als Haushälterin bei einem Fuhrunternehmer in Tinglev arbeitete.

      Als Kind hatte er unzählige Male darüber nachgedacht. Wenn er und Tidde sich nur sonntags bei den gemeinsamen Essen der Familie bei Oma sahen, wie konnte sie dann seine Mutter sein? Niemand von den anderen sah seine Mutter nur am Sonntag. Manchmal machte es ihn wütend. Es fühlte sich an, als sei er ein Ballon, in den jemand zu viel Luft geblasen hatte und der kurz davor war, zu zerplatzen. Er spürte den Drang, Tidde anzuschreien, sie sei nicht seine Mutter und dass er nicht von ihr umarmt werden wollte. Nicht ihr Seufzen hören und nicht die sehnsüchtigen Blicke sehen wollte, mit denen sie ihn anschaute.

      Damals wünschte er sich nichts mehr, als dass Alma und Jes seine Eltern wären. Schließlich wohnte er bei ihnen, und das schon sein ganzes Leben. Er war ihr Kind. Oma sagte oft zu ihm: „Was für ein Glück, dass Alma und Jes dich aufnehmen konnten. Sie haben sich so sehr ein Kind gewünscht, und dann kamst du, Kedde.“

      Bei ihr klang es, als sei es ganz leicht. Aber seine Kinderlogik sagte ihm, er würde in der Schule nicht dauernd geärgert, wenn Tidde nicht seine Mutter wäre. Alles wäre viel einfacher ohne Tidde. Er hätte Alma und Jes Mama und Papa nennen können, nicht Tante und Onkel, und alle hätten es verstanden.

      Sonntag für Sonntag trabte er mit ordentlichem Scheitel und in frisch gewaschenen Sachen zum Familientreffen bei Oma und benahm sich, wie man es von ihm erwartete. Er ließ sich küssen und umarmen und beobachtete, wie die Erwachsenen sich bestätigende Blicke zuwarfen. Ja, ihr Kedde war ein Geschenk. Von seiner inneren Zerrissenheit sahen sie nichts, sahen nicht, dass er Tidde am liebsten angeschrien hätte: „Du sollst sonntags nicht mehr kommen! Du sollst mich nicht so ansehen! Ich bin nicht dein Sohn! Warum bleibst du nicht einfach in Tinglev?“

      Das war viele Jahre her, und jetzt freute er sich darauf, die Familie zu sehen. Er vermisste sie, allesamt, und fühlte sich geliebt, wenn Tidde und Oma ihn an sich drückten und lange festhielten. Seine Onkel und Tanten waren da, und natürlich Vetter Nicolaj. Vor dem Essen schlenderten er und Nicolaj durch den Garten. Der Spätsommer hielt sich, und die Sonne zeigte sich von ihrer großzügigen Seite und verwöhnte sie mit ihren angenehm warmen Strahlen. Die Äste der Apfelbäume waren voller roter Früchte und hingen fast bis zur Erde. Wespen umkreisten die reifen Pflaumen, und Christian pflückte sich einen Apfel, während er versuchte, mit Nicolaj Schritt zu halten.

      Die zunehmende Unruhe in Europa beschäftigte den Vetter, der das Gesicht in ernste Falten legte.

      „Was zum Teufel geht da vor sich?“, fragte er beinahe wütend und machte sich daran, seine Pfeife zu stopfen.

      Christian schüttelte den Kopf. „Tja, es ist wirklich beängstigend. Der deutsche Kanzler ist ganz sicher nicht mein Fall.“ Plötzlich fiel ihm die Begegnung mit Peter Østergaard an einem seiner ersten Tage in der Sønderborg Kaserne ein, aber vielleicht war es besser, Nicolaj nicht auch noch davon zu erzählen.

      „Das ist mal eine Untertreibung!“, schnaubte sein Vetter. „Er ist vollkommen verrückt! Allein, wenn man ihn im Radio rumbrüllen hört weiß man schon, dass er nicht alle Tassen im Schrank hat. Bevor man sich umsieht, hat er verdammt noch mal ganz Europa mit Krieg überzogen! Du wirst mir ja wohl recht geben, wenn ich sage, dass im letzten Monat so einiges passiert ist.“ Nicolaj kaute auf dem Pfeifenstiel herum, und dichte Rauchwölkchen stiegen auf. „Deutschland ist in Polen einmarschiert, und ein paar Tage später erklären England und Frankreich Deutschland den Krieg … Ein deutsches U-Boot versenkt ein englisches Passagierschiff. Wo soll das enden, kannst


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