Freiheit und Ehre - Roman nach der wahren Geschichte eines dänischen Freiheitskämpfers. Pernille Juhl

Freiheit und Ehre - Roman nach der wahren Geschichte eines dänischen Freiheitskämpfers - Pernille Juhl


Скачать книгу
doch sonst voller Stolz trug, konnte sich nicht vorstellen, zu dem prächtigen Eingangsbereich des Hauptgebäudes zu gehen und die Türglocke zu betätigen. Im selben Moment hörte er Motorengeräusche und drehte sich um. Ein schwarzer, blank polierter Wagen näherte sich. War es die Polizei? Sein Herz schlug schneller, und er fühlte sich, als habe er etwas Verbotenes getan.

      Der Wagen kam neben Christian zum Stehen, und der Fahrer öffnete die Tür. „Suchen Sie jemanden?“, fragte er freundlich und sah ihn forschend an. Der Mann trug eine karierte Schirmmütze und einen dunklen, kurz geschnittenen Oberlippenbart und machte einen ausgesprochen aristokratischen Eindruck. Christian entschied sich, dass er den Gutsbesitzer vor sich haben musste.

      „Ja … Nein … Ich ...“. Er drehte sein Fahrrad in die andere Richtung.

      „Junger Mann, sind Sie sicher, dass ich Ihnen nicht vielleicht doch behilflich sein kann?“

      „Nun ja, ich hatte nur eine etwas verrückte Idee“, murmelte Christian und blickte dabei zu Boden. „Eine Bekannte von mir arbeitet auf dem Hof.“ Er sah hinüber zu den Gebäuden.

      „Und wer, wenn man fragen darf?“ Der Mann sah ihn mit hochgezogenen Brauen an.

      „Ja, also ... Fräulein Gerda Madsen“, antwortete Christian und ärgerte sich darüber, dass er errötete.

      „Aha.“ Der Mann schien sich jetzt zu amüsieren. „Ein richtig nettes Mädchen. Wollen wir mal sehen, ob wir sie finden? Schließlich haben Sie den ganzen Weg auf sich genommen. Kommen Sie am Besten einfach mit.“

      Christian zögerte. Er wünschte, er wäre nie gekommen. Was in aller Welt sollte er zu Gerda sagen, wenn ausgerechnet der Gutsbesitzer dabeistand? Wie war er auf den Gedanken verfallen, er könne einfach so an der Tür klingeln und Gerda würde öffnen? Und was dann? Was hatte er sich bloß dabei gedacht?

      Zwei große Hunde kamen bellend und mit aufgestellten Nackenhaaren auf sie zu. Der Gutsbesitzer fuchtelte kurz mit den Armen und sagte ein paar Worte, und die Tiere legten sich schwanzwedelnd in den Kies der Einfahrt. Der Mann stieg die breite Treppe zum Eingang hinauf, schob die Tür weit auf und winkte Christian, ihm zu folgen.

      „Jemand zu Hause?“, rief er in die große Halle. Christian widerstand der Versuchung, nach oben zu schauen und den riesigen Kronleuchter zu bewundern. Eine breite, weiß gestrichene Treppe führte in die erste Etage.

      In einer Tür erschien eine dünne, gut gekleidete Frau. „Musst du so einen Lärm machen, Mogens?“ Dann bemerkte sie Christian.

      Er wäre am liebsten im Boden versunken. Kurz überlegte er, unter dem Vorwand, er habe noch etwas Wichtiges zu erledigen, zur Tür hinauszustürzen. Aber das wäre nur noch peinlicher gewesen.

      Der Gutsbesitzer deutete auf Christian und entgegnete der Dame, die vermutlich seine Frau war: „Wo ist Gerda? Sie hat Herrenbesuch.“ Schelmischer Tonfall, ein Lächeln in den Mundwinkeln. Herrenbesuch! Die Götter mochten wissen, was sie darunter verstanden.

      „Guten Tag.“ Lächelnd reichte die Dame Christian eine zerbrechlich wirkende, parfümierte Hand. Nachdem er ihren Gruß erwidert hatte, sagte sie: „Ich glaube, sie hilft in der Küche. Ich sehe mal nach.“

      Kurz darauf stand er alleine in der Halle und fühlte sich mehr denn je klein und völlig fehl am Platz. Immerhin konnte er nun ungestört den Blick durch die Eingangshalle wandern lassen, wagte sich an ein großes Gemälde heran und betrachtete die zahlreichen Jagdtrophäen, die an den Wänden hingen.

      Plötzlich hörte er Gerdas helle Stimme hinter sich. „Kedde! Bist du es wirklich?“

      Sein Puls beschleunigte, als er sich zu ihr umdrehte.

      Sie trug eine weiße Schürze und lächelte, sodass man ihre perfekten Zähne sehen konnte. Das kastanienbraune Haar war zu einem Knoten im Nacken geflochten.

      Vor lauter Verlegenheit rang er beinahe die Hände. „Ja … Ich … Ich wollte nicht, dass … Ich dachte ...“

      Sie streckte die Hand aus und sie begrüßten sich förmlich. Mit einem anerkennenden Blick musterte sie ihn. Vielleicht war es doch keine so schlechte Vorschrift, die Ausgehuniform tragen zu müssen.

      „Wollen wir uns nicht auf die Terrasse setzen? Möchtest du etwas trinken? Einen Kaffee vielleicht?“

      „Öh, ein Kaffee wäre ...“

      „Schön. Komm, ich zeige dir die Terrasse.“

      Wenig später saß er auf der Kante eines Gartenstuhls und sah sich verstohlen um, während er darauf wartete, dass sie zurückkam. Ob der Graf oder was er nun auch immer sein mochte irgendwo hinter einer Gardine stand und ihn beobachtete? Und was dachten sie von Gerda und ihm? Dass sie verlobt waren?

      Sie balancierte Tassen, Teller, eine geblümte Kaffeekanne im selben Muster und ein paar Plätzchen auf einem Tablett, als sie die Terrasse betrat.

      „Wie schön“, sagte sie und arrangierte hektisch das Gedeck. Peinlich berührt, stellte er fest. Wie er selbst.

      „Kannst du denn einfach so … Ich meine, während der Arbeitszeit …?“

      „Ja, das geht schon. Sie sind sehr nett. Tatsächlich hat die Dame des Hauses vorgeschlagen, ob ich nicht eine Stunde freinehmen wolle.“ Jetzt lächelte sie wieder, und die Grübchen machten ihr Gesicht noch anmutiger.

      „Ich bin in der Haderslev Kaserne stationiert“, erzählte er und versuchte, eine ernste Miene aufzusetzen. Das konnte sie sich wahrscheinlich selbst denken.

      „Wirklich?“ Ihre Augen funkelten.

      „Bist du gerne hier?“, wechselte er das Thema.

      Sie nickte und trank einen Schluck Kaffee. Er bemühte sich, seinen Blick nicht allzu ungeniert über ihren wohlgeformten Körper wandern zu lassen. Sie war jetzt zwanzig Jahre alt, wie er auch, war eine Frau geworden. Eine attraktive Frau! Seit fünf Jahren hatte sie die Stellung auf Lindholm inne. Wollte sie etwa den Rest ihres Lebens als Haushälterin verbringen, so wie seine Mutter? Sie schien sich wohlzufühlen. Aber was war mit den guten Noten, die sie in der Schule bekommen hatte? Sie hatte doch Ärztin werden wollen.

      Warum in aller Welt hatten sie sich immer nur bei ihr zu Hause getroffen, wenn die Familie dabei gewesen war? Warum hatte er sie nie eingeladen, mit ihm auszugehen? Ein vertrauenswürdiger Bewerber brauchte ja wohl keine Anstandsdame. Vielleicht hielt Frau Madsen ihn einfach nur für einen alten Schulkameraden. Wofür hielt Gerda ihn?

      „Mir geht es hier sehr gut“, antwortete sie.

      Sie gehört zu mir. Wir sind füreinander bestimmt, dachte er. Aber was, wenn sie schon einen anderen hat? Ein kalter Schrecken durchzuckte ihn eine Sekunde lang. Was wusste er schon über Gerda?

      „Schön zu hören.“ Er richtete sich auf seinem Stuhl auf.

      Sie sprachen über Peter, die Mittelschule, die sie verlassen hatte. Über ihre Familien. Über Kollund und Haderslev. Sein neues Leben als Rekrut. Die Stunde verging wie im Flug.

      „Komm bald wieder her, ja?“, sagte sie, als sie ihm die Hand gab. Er genoss ihre feuchte Wärme und hielt sie einen Moment zu lange.

      Auf dem Weg zurück zur Kaserne ließ er seinen Gedanken freien Lauf. Ein ganzer Film lief vor seinem geistigen Auge ab. Er in inniger Umarmung mit Gerda, dann kniete er vor ihr und sie heirateten in der Kirche in Bov. Alma und Jes waren unglaublich stolz. Onkel Jes war ganz rot im Gesicht, wie jedes Mal, wenn er begeistert war, lächelte breit und fuhr sich mit seinem Taschentuch über den kahlen Schädel. Gab der Wahl seines Pflegesohns seinen Segen. Nach der Trauung umarmte Alma ihn, sichtlich gerührt, und voller Inbrunst schloss sie ihre neue Schwiegertochter in die Arme, denn als solche sahen sie Gerda. Sie wären überzeugt, seine Wahl sei perfekt und würden sich auf Enkelkinder freuen, die sie ebenso als ihre eigenen betrachten würden. Oma und seine Mutter, Tidde, würden natürlich da sein und beide vor Stolz strahlen. Und er würde über seinen Schatten springen und seiner Mutter zeigen, dass er sie liebte. Dass es kein Problem für ihn war, mehrere Mütter in seinem Leben


Скачать книгу