Augusta und ihr Dichter. Gerd Mjøen Brantenberg

Augusta und ihr Dichter - Gerd Mjøen Brantenberg


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aber schon früh beschlossen, aus seinen beiden Söhnen, Even und Jon, selbständige Bauern zu machen, deshalb war er fleißig und sparsam. Im Jahre 1797, als Hallvard achtundzwanzig wurde, wurde der alte Lensmann kränklich und bettlägerig. Er rief Hallvard zu sich und sage: „Jetzt hast du mir zehn Jahre als Bote gedient. Bring diesen Brief dem Amtmann Trampe in Trondheim, dann wirst du sicher zu meinem Nachfolger ernannt.“

      Hallvard legte mit Rucksack, Stab und Brief die hundertzehn Kilometer von Oppdal bis Trondheim zu Fuß zurück, obwohl er im Stall eine fette Stute hatte. Die durfte nicht angestrengt werden. Während er an den Höfen am Königsweg vorbeiwanderte und der Fluß still und blank im Sonnengleiß tanzte, dachte er nur an eins – wieder und wieder, wie er später seinen Söhnen erzählte. Und dieses eine war Ingeborg Sivertstochter von Ørstad. Sie war so lebhaft, so schön, er mußte an sie denken, ob sie nun ja oder nein sagte.

      Als er von Amtmann Trampe zurückkehrte, machte er Ingeborg einen Antrag – und sie sagte ja. Aber dann wurde Gøttem wieder gesund. Solange er noch aufrecht stehen konnte, wollte er seinen Posten als Lensmann nicht aufgeben. Weder Hallvard noch Ingeborg mochten so lange warten, deshalb wurde ihr Ältester, Even, drei Jahre vor ihrer Hochzeit geboren. Immerhin waren sie verlobt, die Nachbarn fanden es nicht weiter unsittlich, auch wenn der Pastor die beiden tadelte.

      Ein Jahr nach der Hochzeit – im Januar 1801 – kam der jüngere Sohn Jon zur Welt.

      Während der schweren Kriegsjahre, der Kontinentalsperre und auch im Unglücksjahr 1802 konnten die Leute auf Waslæggen überleben, es gab dort so viele Weidenbäume, mit denen sie das Essen strecken konnten. Außerdem stiegen in der Gegend die Bodenpreise, und Hallvard verkaufte einen Teil seines väterlichen Erbes. Nach dem Tod des alten Gøttem brachte ihm der Lensmannsposten ein gutes Einkommen, und als der alte Exerzierplatz unter dem Almannberg zum Verkauf ausgeschrieben wurde, hatte er genug erspart, um ihn für seine beiden Söhne zu erwerben.

      Dort, im Schatten der hohen Berge, lag keiner der großen Höfe. Auch viele Kätnerstellen hatten fast den ganzen Tag Sonne. Aber der Bach unten am Hang war Gold wert, da das Tal so oft mit der Dürre zu kämpfen hatte.

      Während Hallvard für seine beiden Söhne Höfe baute, reiste sein Sohn Jon nach Trondheim und trat ins Kontor des Amtmanns Fredrik Graf Trampe ein. In Trampes Haus lernte er feine Manieren und gebildete Sprache, dort gab es immer wieder Feste und gesellige Lustbarkeiten. Trampe gehörte zu den eifrigsten Mitarbeitern der Dramatischen Gesellschaft, die Lustspiele und Tragödien aufführte, und auch der junge Jon wurde in einigen Rollen eingesetzt. Er hatte eine gute Singstimme und fand Auswendiglernen nicht weiter schwer.

      Als der Graf Jons Begabung erkannnt hatte, durfte er als Held in Oehlenschlägers „Axel und Valborg“ auftreten. Dieses spannende Stück handelte von zwei jungen Liebenden im Mittelalter, die voneinander getrennt werden und daran sterben. Jungfer Sundt, die im Haus des Grafen lebte, spielte die Valborg. Und nachdem sich die beiden am Ende des Stückes in der herzzerreißenden Sterbeszene umarmt hatten, machten sie auch hinter dem Vorhang noch weiter. Danach reiste Jon nach Hause, um nachzusehen, ob sein neuer Hof am Fuß des Almannberges schon bezugsfertig sei. Das war er nicht, deshalb blieb Jon zunächst zu Hause, um alles für die Hochzeit vorzubereiten.

      Eines Tages, als er mit seinem Vater den Gemarkungsweg zum Pfarrhof hinaufstieg, kam der Pastor ihnen entgegen und rief, es sei ein Brief für Jon gekommen. Der Brief stammte von Graf Trampe. Der Graf schrieb, Jungfer Amalie Sundt leide an einer schweren Lungenentzündung. Jon sprang auf sein Pferd und jagte die hundertzehn Kilometer nach Trondheim. Als er die Brücke nach Bakklandet erreicht hatte, kam ihm der Trauerzug entgegen.

      Jon war damals dreiundzwanzig. Er verbrachte noch mehrere Jahre bei seinem Vater und lebte nur für seine Besuche an Amalies Grab. Er konnte seine Schwermut nicht abschütteln, fürchtete manchmal um sein Leben und blickte voll Sehnsucht zu den Stromschnellen in der Driva hinüber.

      In dieser Zeit besuchte der schwedische Skalde Esaias Tegnér Oppdal, Jon begleitete ihn auf langen Wanderungen und half ihm beim Botanisieren. Tegnér hatte mit einem großen Schmerz zu kämpfen, und es half Jon, wenn sie darüber sprachen, wie traurig beide waren. Als sie sich trennten, schenkte der Dichter Jon eine illustrierte Ausgabe seiner „Frithjofs Saga“. Das Buch wurde zu Jons kostbarstem Besitz.

      Bei seinen Besuchen in Trondheim wohnte Jon immer beim Schiffskapitän Øyen. Nach einigen Jahre lernte er hier Jungfer Hauan kennen, eine Schwester von Madame Øyen. Bald stellte er fest, daß er morgens wieder fröhlich aufwachte. Er hatte von ihrem breiten, ruhigen Gesicht geträumt. Er wollte doch nicht sterben. Auf einem Spaziergang freite Jon vor dem Dom um Jungfer Jentine Janette Hauan.

      Inzwischen waren die Höfe auf dem Exerzierplatz fertiggestellt, und Jon zog mit seiner Braut und zwei vergoldeten Spiegeln aus Hamburg ein und nannte sich Mjøen, nach der Quelle. Die Spiegel waren Hochzeitsgeschenke von Kapitän Øyen und neben der Saga Jons prachtvollster Besitz. Er lud alle Bekannten ein, den neuen Hof zu bewundern und sich anzusehen, wie er den Bach durch Haus und Stall geführt hatte, so daß ihnen niemals das Wasser ausgehen konnte. Auch ansonsten sollte es ihnen an nichts fehlen. Prost, liebe Gäste! Und dann mußten alle „Geliebtes Frankreich, das Herz wird mir schwer“ oder ein bayerisches Trinklied singen.

      Alles war hell. Die Sonne ging auf, die Sonne hieß Tina, so nannte er nämlich seine Jentine, und er dachte: Zu glauben, daß wir nur einmal lieben könnten, ist dasselbe, wie Blau nicht zu sehen, weil wir Rot für eine schöne Farbe halten. Er hatte jetzt zwei. Eine im Himmel, und eine auf Erden. Und die auf der Erde war sein Engel. Fast alles, was sie tat oder sagte, zeigte ihre Zuneigung zu ihm, und manchmal überwältigten seine Gefühle ihn, und er fiel ihr zu Füßen und beteuerte, wie sehr er sie liebte.

      Sie lachte dann verlegen und meinte, er sei bestimmt zu lange bei Amtmann Trampe in die Lehre gegangen. Jon war noch jung genug, um zu erröten, denn Tina hatte nicht unrecht. Er sprang wieder auf. „Wenn ich das nicht gemacht hätte, dann würde ich jetzt vielleicht nicht knien“, sagte er. „Aber lieben würde ich dich trotzdem.“

      Er war zufrieden mit dieser Antwort, und neun Monate später saß er im Stall und schnitzte Holznägel. Er wollte in der Nähe sein, nicht wie andere Männer in den Wald fliehen.

      Die Hebamme Marithe Bryggjom war schon da, zusammen mit seiner Schwägerin Gjørann vom Nachbarhof und den Mägden Guri und Hilda. Dann hörte er Tina schreien. Ihr Schrei füllte den Stall, die Pferde hoben die Köpfe, bissen um sich und traten unruhig von einem Fuß auf den anderen. Dieser Schrei kam aus einer anderen Welt, nicht von einem Tier, sondern von einem fremden Wesen. War das immer so? Er wußte, daß es weh tat – mehr als alles, was ein Mensch sonst ertragen muß, hatte seine Mutter gesagt. Unmenschlich weh tat die Geburt eines Menschen. Aber so? Wieder hörte er sie schreien. Hob einen Nagel auf. Schnitzte ihn so dünn, bis er zerbrach. Dann schrie sie nicht mehr.

      Ein wenig später hörte er leises, zartes Kinderweinen. So zart, so weh, so gut. Und ganz weiß. Schneeweiß. Er stürzte zum Haus hinüber. Die Hebamme kam ihm entgegen. Ihr Gesicht war aschgrau. „Jon. Die Tina hat das nicht geschafft.“

      Er ging in die Wochenstube, starrte das Bett an. Es war mit Blutflecken besudelt. Und Tina – ein ausgestreckter weißer, bleicher Leichnam mit verzerrtem, leblosem Gesicht. Er blieb stocksteif stehen, so, als stecke ihr Tod auch ihn an. Marithe sagte: „Dein Kind, Jon Mjøen. Es ist ein Mädchen.“

      Das Kind, dachte er. Was für ein Kind?

      Auf diese Weise mußten in diesem Jahr auf Mjøen Taufe und Beerdigung an einem Tag stattfinden. Das kleine Mädchen wurde an der Bahre der Mutter getauft und erhielt die Namen Jentine Janette. Jon Mjøen stand vor der Kirche und starrte zum Almannberg hoch. Er verfluchte den Berg und sich selber. „Jetzt ragst du mein ganzes Leben dort auf“, sagte er in seinem Herzen. „Willst du denn niemals mein Glück beschützen? Bist du nicht von Gott erschaffen worden?“

      In diesem Moment wälzten sich von Süden düstere Wolkenmassen heran, und innerhalb weniger Minuten war der Almannberg verschwunden. Ein Zeichen. Aber was mochte es bedeuten? Nicht alle Zeichen des Herrn waren leicht zu deuten. Jemand berührte seinen Ärmel. Es war seine Mutter. Er sagte: „Jetzt bist du noch einmal Mutter geworden, du.“

      Dann


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