Augusta und ihr Dichter. Gerd Mjøen Brantenberg
Ehe zu führen schien. Oder stritten sie sich im Verborgenen? Mit seiner Frau ließ sich kein Streit verbergen. Er hätte gern unter vier Augen mit Bjørnson darüber gesprochen. Aber man redete nicht über solche Dinge. Er wußte von Helene, daß Bjørnson verlobt gewesen war. Christiane Luise Ambrosia Wessel hatte sie geheißen. Das klang wie ein Gedicht. Sie war kurz nach der Verlobung gestorben. Er hätte den Pastor gern gefragt, was das für ein Gefühl war – eine tote Frau im Herzen zu tragen, wenn man mit einer anderen verheiratet war. War das schon Ehebruch?
Jon Mjøen schaute auf die Felder von Mjøagrenda und die nackten schwarzen Zweige des Birkenwäldchens am Bach und dachte an die vergangenen Jahre. Er dachte an Helene und warum er ihr einen Heiratsantrag gemacht hatte. Sollte er denn immer nur Trauer erleben, hatte er sich gefragt. Dann wollte er lieber zum Herrn eingehen. Aber es gab doch soviel Schönes zu sehen, und er hatte noch soviel zu tun. Er brauchte eine, die zäh und stark war. Eine, die hundert Jahre alt werden konnte. Das schreckliche Unglück auf Østråt hatte ihn auf seltsame Weise beeindruckt. So etwas passierte nicht, wenn Gott damit kein besonderes Ziel verband. Eine Frau, die rund um die Uhr die Todesschreie einer anderen anhören konnte – sie hatte Gott ihm zeigen wollen. Und deshalb hatte er ihr seinen Antrag gemacht.
Er kannte sie damals noch nicht gut, hatte sich aber immer über ihren Witz gefreut. Daß sie von scharfem Verstand war, machte das Leben weniger eintönig. Aber diesen scharfen Verstand benutzte sie auch, wenn sie sich stritten, und das war nicht so angenehm. Und sie stritten sich immer wieder, denn sie war ein schrecklich geiziges Frauenzimmer. Zuerst hatte ihm das gefallen, es war gut und christlich, sparsam zu sein. Aber als sie dem alten Kongsvold einen Viertelliter dünnes Bier und eine ranzige Speckschwarte vorgesetzt hatte, hatte er sie gescholten. „Wir können nicht alle durchfüttern, die du anschleppst“, sagte sie. „Jedenfalls nicht, wenn du selber so gierig zulangen willst“, antwortete er.
Das waren böse Worte. Und er hatte gedacht: Das darf nicht sein. Wir streiten uns. Es war wie ein Sündenfall. Dieser erste Ehekrach tat weh. Und er trug den Keim zu allen zukünftigen Streitigkeiten in sich. Das wußte er jetzt.
Das Seltsame war, daß sie nie mehr auf eine solche Weise zueinander gefunden hatten wie nach diesem Streit. Bei dieser Begegnung in der Dunkelheit wurde alles wieder gut. Hier knauserte sie an nichts und war wunderbar in ihrer Fleischeslust. Er murmelte eine Entschuldigung für seine bösen Worte. Sagte, es sei nicht so gemeint gewesen. Aber das stimmte nicht so ganz.
Nein, aus reinem Herzen würde er sie niemals lieben können. Vor ihrer Hochzeit hatten sie beschlossen, die kleine Jentine in Trondheim aufwachsen zu lassen, und er hatte es eigentlich begreiflich gefunden, daß Helene die Frucht seiner ersten Liebe nicht im Haus haben wollte. Aber im Grunde konnte er ihr diese Entscheidung nicht verzeihen.
Während er sich das alles überlegte, hörte er plötzlich, daß jemand im Gerichtshaus war. Eine entsetzliche Angst nahm ihm den Atem. Augusta! Er jagte über den Hof, und grauenhafte Vorstellungen durchfuhren ihn wie Blitze.
Dann stand er im Gerichtshaus und spürte nur noch gewaltige Erleichterung. Da hingen Augusta und Bjørnstjerne an ihren Balken und lachten. Wütend hob er seine Tochter hoch und schüttelte sie. „Habe ich dir nicht verboten, hier zu spielen?“ Bjørnstjerne sprang erschrocken auf den Boden und versuchte, sich zu verstecken. Jon Mjøen packte ihn. Doch dann sah er die Augen des Jungen und ließ los.
„Ich werde dich nicht schlagen“, sagte er. Seine Wut war schon wieder verraucht. Er erklärte den Kindern ruhig, wie gefährlich ihr Treiben gewesen war und daß sie für den Rest des Lebens Schaden hätten davontragen können. Sie gingen auf den Hof und warteten in der Aprilsonne. „Ist es scheußlich, Lensmann zu sein?“ fragte der Junge. „Nein, wie kommst du auf die Idee?“ – „Mußt du nicht die ganze Zeit böse sein, damit die Leute tun, was du willst?“ – „Ach, meistens tun sie das ohnehin“, antwortete Mjøen. „Und dann hast du ja noch den Pastor, der kann sie von der Kanzel ausschimpfen.“
Der Lensmann blickte verdutzt zu dem Jungen hinunter. Das ist ja vielleicht ein witziger kleiner Bursche, dachte er.
Nach der Kirche wurde der Tisch reich gedeckt – mit Bier und Wein und saftigem Hammelbraten. Nach dem Essen durften die Kinder in der Küche spielen, während die Erwachsenen in der Stube sitzen blieben und sich über die Familie unterhielten. Peder Bjørnson war der Bruder von Helenes Mutter. Er war der einzige Junge in der sechsköpfigen Geschwisterschar und der Jüngste. Sie gingen weit in der Zeit zurück, und Peder Bjørnson führte das große Wort.
Sie stammten vom Gut Schee am Randsfjord und konnten neun Generationen zurückrechnen, bis zum Stammvater Tarald auf Skei, der 1528 als Eigentümer genannt worden war. Sein Enkel, Erland Nilssohn, war 1620 erschlagen worden. Er hatte keine Kinder gehabt. Sein Bruder Knut übernahm das Gut. Der Mord wurde niemals aufgeklärt. Aber eines Nachts suchte Erland seinen Bruder Knut heim und wuchs aus den Bodenbrettern heraus. „Du hast meinen Hof gestohlen, du hast meinen Hof gestohlen. Knut! Knuu-huu-huut! Wo ist mein Hof?“ heulte Peder Bjørnson. „Seither hat er sicher keine friedliche Nacht mehr erlebt, mein Ururururgroßvater. Dein Urururururgroßvater“, sagte er zu Helene.
„Knut hatte im Dorf so große Macht, daß niemand zu behaupten wagte, er habe seinen Bruder umgebracht“, sagte Bjørnson. „Die Leiche hat er im Randsfjord versenkt, da liegt sie noch immer. Der Neid ist die größte Schwäche der Menschen. Und das älteste Thema der biblischen Geschichte.“
Nach Knut war der Hof immer wieder vom Vater auf den Sohn übergegangen. Peders Groß- und Helenes Urgroßvater, Peter Bjørnson Lomsdalen, war so groß und stark gewesen, daß er Bäume mit der Wurzel aus dem Boden reißen konnte. Die Groß- und Urgroßmutter, Mari Øystad, kam aus der Familie Bratten, die von Harald Schönhaar und Snefrid abstammten – einer von Haralds vielen Nebenfrauen neben Königin Gyda. „Ja, der war ein Hurenbock von Rang und Namen, Norwegens erster König“, warf Helene dazwischen. „Aber er kam ja aus der Ynglingesippe, die von den Göttern herstammte.“ – „Ja“, sagte ihr Onkel zufrieden. „Aber vielleicht findest du als Pastor es gar nicht so nett, von heidnischen Göttern abzustammen?“ fragte sie, in einer unklaren Mischung aus Spott und Scherz. „Wir stammen doch alle von Gott ab, auch wenn unser Glaube sich ändert“, antwortete Peder in einem Tonfall, als stehe er auf der Kanzel. „Ach, es gibt genug, die nicht von Gott herstammen, weder mütternoch väterlicherseits“, erwiderte sie.
So ging es weiter. Peder Bjørnson führte sie durch die Zeiten, und Helene begleitete seinen Bericht mit ihren kleinen Sticheleien. Der Lensmann und Frau Bjørnson steuerten interessierte Fragen bei, obwohl sie alles längst wußten. Ingeborg Augusta und Bjørnstjerne Martinius waren hereingekommen und durften unter der Bedingung zuhören, daß sie kein Wort sagten. Sie saßen kerzengerade da.
Aber nun näherte der Bericht sich den Anwesenden. In alten Zeiten können die Vorfahren gern gestohlen und gemordet, gehurt und betrogen haben, ohne daß die Nachkommen das zu verhehlen versuchen – nein, je mehr Geschichten dieser Art, um so besser –, aber je näher wir der eigenen Zeit rücken, um so braver werden die Leute. Jetzt waren sie bei dem berüchtigten Bjørn Schee angekommen – Peders Vater und Helenes Großvater.
Aber Peder Bjørnson verhielt sich eben nicht wie alle anderen. „Die Wahrheit muß ans Licht“, sagte er. Immer bei der Wahrheit bleiben. Und zum Schluß erzählte er, wie das großartige Gut Schee, das zwölf Pachtstellen unter sich gehabt und zweiundsechzig Menschen – achtzehn auf dem Gut und vierundvierzig in den Katen – ernährt hatte, als Peder und seine Schwester dort aufgewachsen waren, wie dieses Gut, mit der wunderbaren Aussicht über den Randsfjord, von seinem Vater heruntergewirtschaftet worden war, denn der hatte getrunken und gefeiert und sich herumgetrieben, immer hatte er Streit vom Zaun gebrochen, und als das gute Leben ihm im Jahr 1818 dann endlich den Hals brach, war der Hof bis unter den Giebel verschuldet. Er hatte seine Lüste nicht im Zaum gehalten und war in der Hölle gelandet, und da saß er sicher heute noch.
Bjørnson verstummte. Er hatte alles so lebendig geschildert. Ein Märchen, in dem am Ende alles schiefging. „Es hört sich bei dir an, als ob du einen Ruinenhaufen übernommen hättest“, sagte Helene.
„Wie meinst du das?“ fragte Peder.
„Wie