Der Thron des Riesenkaisers. Lena Klassen

Der Thron des Riesenkaisers - Lena Klassen


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U B A R: König von Salien, zieht den Kopf ein

      R U F I N: ein Mönch, der ungern mit Frauen spricht

      S C H A V I L A I: früher Ilinias’ Freundin, jetzt eine stolze Äbtissin

      S E T T A N: als engster von Zukatas Vertrauten wurde er König von Laring

      S I D I N I: Zukatas Frau, ein zartes Wesen, bringt ihn in Rage

      S O R A Y N: Sohn von Blitz und Ilinias, ein Mann mit einzigartigen Talenten

      S T O L L O: Wirt, beschäftigt zwei Prinzessinnen und weiß nichts davon

      S U R E S C H: ein Piratenkapitän, der einen gefährlichen Mann aufgabelt

      T A M A I T: Majas Bruder, treu und kampferprobt

      T O R I S: ein Mann aus dem Ziehenden Volk, Majas Vater

      U S E: ein kranker Riese

      V A R I T I: Ketas Frau, weise und gütig

      W I L U: Piratenkapitän, bekommt es mit der Angst

      Z U K A T A: ein reizbarer Riese, der Kaiser von Deret-Aif

Drittes Buch: Der Thron des Riesenkaisers

       1. Sorayns Boot

      D A SG R A U EW A S S E Rleckte gierig an den Steinen. Mit unzähligen Fingern und Zungen streckte es sich nach ihnen aus und glitt dann wieder zurück, nur um im nächsten Moment einen neuen Angriff zu starten.

      Der schwarzhaarige Mann, der in Ufernähe auf einem moosbewachsenen Balken saß und den Wellen bei ihrem Spiel zuschaute, wirkte in seiner durchnässten, zerlumpten Kleidung wie ein Schiffbrüchiger. In seinen Augen lag das ungläubige Staunen eines Menschen, der noch nicht recht begreift, dass er entkommen ist.

      Ein Windstoß peitschte ihm die Gischt entgegen; mit tausend kleinen Nadelstichen neckte und quälte sie ihn. Dennoch wandte er sich nicht ab, sondern hielt sein Gesicht dem Meer entgegen, hungrig nach der Berührung. Schließlich hob er den Blick. Über den Himmel rasten die Wolken, tief und dunkel, und wie zur Bestätigung dessen, was er längst hätte begreifen müssen, schnappte die erste Welle mit kalten Zähnen nach seinen Füßen.

      Blitz stand auf. Er war müde bis in die Knochen, aber den Sturm hier abzuwarten, grenzte an Selbstmord. Lange genug war er in der schwarzen Burg, die sich über den Klippen erhob, eingesperrt gewesen; darauf, sein Leben zwischen finsteren Wassermassen zu beschließen, legte er es nicht an. Zu den schnellen, gewandten Bewegungen, die ihm sonst eigen waren, war er jetzt, nass, durchgefroren und erschöpft, nicht in der Lage. Wie ein uralter Mann fühlte er sich, während er steifbeinig über die Steine kletterte, landeinwärts. Der Wind zerrte an seinen Kleidern. Die Hütten der Fischer, in denen er jetzt gerne Zuflucht gesucht hätte, standen schon lange nicht mehr. Das Meer holte sich die Insel zurück; hier oben, wo er sich jetzt umdrehte, um noch einmal auf die aufgewühlte See hinauszuschauen, hatten früher einmal eine Reihe Weinstöcke Frucht getragen. Stümpfe ragten ins hohe, vom Wind niedergepeitschte Gras. Auf dieser Seite Neiaras gab es wahrscheinlich erst einen Unterschlupf, wenn er dem Weg nach oben in die Hügel folgte. Besondere Ansprüche hatte er keine. Auf einer Insel, die augenscheinlich verlassen war, gab es keine Hoffnung auf einen warmen Platz am Kamin, einen Teller Suppe und ein weiches Bett. Als er dem Weg zwischen den Hügeln hindurch folgte, tauchte ein baufälliges Haus vor ihm auf. Durch die große Toröffnung wankte er in einen offenen, von Schutt überfüllten Hof. Der immer stärker werdende Regen trieb ihn in einen der leeren Räume. Es trommelte aufs Dach, als würde der Sturm mit aller Macht versuchen, ihm zu folgen, aber er fand eine trockene Ecke, rollte sich zusammen und schlief.

      Das Unwetter tobte die ganze Nacht. Blitz bekam nicht viel davon mit. Kälte und Nässe und das Heulen des Windes – das alles hatte er als Gefangener im Schloss fast tagtäglich miterlebt. Doch immerhin hatte er dort, wenn er morgens aufwachte, fast immer etwas zu essen bekommen. Hier jedoch konnte er seinem knurrenden Magen keine befriedigende Antwort geben. Er durchstöberte das verfallene Haus. Groß war es, viel größer als die üblichen Häuser auf den Glücklichen Inseln. Was war das hier – der Besitz des Weinfürsten Wikant, bevor er auf die Idee verfallen war, sich ein Schloss zu bauen? Und nun gab es für die Gäste nichts als Regenwasser, das nach Salz und Meer schmeckte.

      Er musste unbedingt von dieser Insel herunter. Am besten noch heute, solange er bei Kräften war. Dass der Hafen nicht mehr existierte, hatte er gewusst, doch es musste doch irgendwo noch ein Boot zu finden sein, wenigstens ein kleines! Besaßen Wikant und Tinek nicht wenigstens ein einziges Schiff, um fliehen zu können? Die Antwort gab er sich selber. Sie waren nicht geflohen und sie hatten nicht den winzigsten Kahn.

      Tinek! Blitz sah hoch zur schwarzen Burg; von hier aus konnte er nur die Spitze einer Zinne erkennen. Er musste die Fürstin mitnehmen, wenn er ging, so unwahrscheinlich es auch war, dass er eine Möglichkeit fand, von hier zu verschwinden. Sie hatte keine Hoffnung gehabt, das wusste er, er hatte es gesehen, wenn sie ihm die kärglichen Mahlzeiten brachte, die sie irgendwie aus irgendetwas zusammenkratzte. Zuversicht, die Tag für Tag schwand …

      Blitz schauderte, wenn er nur an dieses Schloss dachte, den Ort, an dem sie ihn wie ein seltenes Haustier eingesperrt hatten, doch er zwang sich dazu, den Weg zu wählen, der ihn darauf zuführte. Er musste Tinek sagen, dass sie nicht aufgeben durfte. Er würde einen Weg finden, ein Boot, ein Floß, irgendein Gefährt.

      »Tinek!« Seine Stimme war heiser, sein Hals brannte. Da stand er, vor sich eine unüberwindbare Schlucht. Steil ging es hinunter in eine finstere Tiefe, aus der das Wasser zu ihm hinaufrauschte. Der Sturm hatte die Zugbrücke weggerissen – niemand würde diese Burg je wieder betreten. »Tinek!« Er schrie, so laut er konnte, aber keine Hand zerrte die Bretter fort, kein Gesicht, bleich und ausgezehrt, erschien an einem der zugenagelten Fenster. Schließlich gab er es auf. Er wandte der Burg den Rücken zu und ging – und drehte sich noch einmal um, rasch, falls sie sich doch entschlossen hatte, sich zu zeigen – aber niemand rief ihn zurück. Alles blieb still. Nur das Meer, niemals müde, niemals still, lockte ihn hinaus ins Ungewisse.

      Was brauchte man, um ein Floß zu bauen? Bretter gab es hier genug; das Dorf schien vor seinen Augen zu zerfallen. Doch Werkzeug gab es hier keins. Am Ende würde ihm nichts übrig bleiben, als sich mit einer Holzbohle allein aufs offene Meer hinauszuwagen und dort jämmerlich unterzugehen. War er dazu aus der Gefangenschaft entkommen – um auf einer verlassenen Insel zu sterben?

      »Nicht dafür«, sagte er laut, sagte es trotzig, rief es den Wolken zu, als könnte dahinter, seinen Blicken verborgen, ein Riese stehen, der ihm zuhörte – der nur die Hände auszustrecken brauchte, um sein Schicksal zu wenden. »Nicht dafür! Um hier zu sterben? Ist das deine Gnade, Rin? Erst Freiheit und dann Tod? Nie und nimmer!« Es musste irgendwo einen Ausweg geben, eine Möglichkeit zur Rettung. »Es gibt sie!«, rief er dem unsichtbaren Riesen zu. »Ich werde sie finden, irgendwo hier … Ich gebe nicht auf! Du hattest so viele Gelegenheiten, mich nach Rinland zu holen. Du hast sie alle nicht genutzt. Hundert Mal wäre ich fast gestorben … und du hast mich noch nicht gerufen. Es gibt eine Möglichkeit. Zeig sie mir!«

      Er durchsuchte die Häuser, erfüllt von einer Hoffnung, die so wie er einfach nicht sterben wollte, eine Hoffnung, immer ein Stück lebendiger als er selbst, ihm immer einen Schritt voraus. Die Bewohner hatten alles mitgenommen, was sich nur mitnehmen ließ. Wo waren sie hingezogen? Nach Drian, zum nächstgelegenen Festland? Oder hatten sie sich verstreut, übers ganze Kaiserreich, jeder dorthin, wohin das Schicksal ihn verschlug?

      Wo Ilinias wohl war? Und Sorayn. Er setzte sich, den Rücken gegen eine Hauswand gelehnt, und dachte an seinen Sohn, an jenen unvergleichlichen Moment, in dem er den Jungen gefunden und im Arm gehalten hatte.

      Rin ließ niemanden gehen, dessen Zeit noch nicht gekommen war. Wahrscheinlich war es vermessen zu glauben, dass der größte aller Riesen dieses Kind nur dafür am Leben gehalten hatte, dass Blitz es einmal umarmen konnte. Und doch war diese Erinnerung ein Schatz in seinem Herzen. Wie Gläser voller Eingemachtem bewahrte er sie in seinem Herzen auf, ein Keller, in den er hinuntersteigen


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