Der Thron des Riesenkaisers. Lena Klassen

Der Thron des Riesenkaisers - Lena Klassen


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Riese mit einem Lächeln. Fast konnte er es sehen. Fast konnte er seinen Atem auf der Stirn spüren und die großen warmen Hände.

      Hab keine Angst.

      Fast hätte Blitz gelacht. Während er mit den Wellen kämpfte und keinen Augenblick nachließ, war es doch so, als würde er nicht im kalten Wasser um sein Leben ringen, sondern als würden ihn die Hände des Riesen über die Untiefen hinwegtragen. Er atmete Wasser ein, hustete und spuckte und würgte, und doch glaubte er dieser Stimme, die zu ihm sagte: Gib nicht auf. Hab Mut. Sei stark. Fürchte dich nicht.

      Wie war es möglich, sich gleichzeitig der Kraft des Riesen zu überlassen und weiterzumachen? Trotz Kälte und Schwere unermüdlich Arme und Beine zu bewegen? Wie konnte er einverstanden sein mit dem, was ihn erwartete, und doch immerzu weiterschwimmen, mit einer Ausdauer, die der eines Riesen gleichkam?

      »Ich hab ihn! Na los. Und hepp!«

      Arme um seine Schultern. Blitz brauchte eine Weile, bis er begriff, dass die Hände, die ihn gepackt hatten, nicht dem Riesen gehörten, der ihn begleitete, sondern einem Mann, und dass auch die anderen Hände zu fremden Menschen gehörten. Dass das Boot, in das sie ihn zogen, echt war. Und dass das Schiff, zu dem sie ruderten, schon eine ganze Weile in der Nähe gewesen sein musste. Er hatte es nur nicht gesehen.

      Erst als sie ihm an Bord geholfen hatten, als er an Deck saß, ein grobes Tuch um die Schultern, und einige Schlucke eines sehr starken und sehr übelschmeckenden Getränks hinuntergekippt hatte, wurde ihm allmählich bewusst, wo er gelandet war. Etwas Vertrautes war an den Gestalten, die ihn umringten, an der Art, wie sie redeten, wie sie aussahen, wie sie lachten. Seeleute hatten immer eine raue Sprache, aber diese hier waren fast zu gut gekleidet für ein solches Schiff, das nicht nach einem Handelsfrachter aussah. Schöne Hemden mit großen Knöpfen, geflochtene Ledergürtel, gefärbte Tücher. Wenn dies ein reiches Kaufmannsschiff gewesen wäre, das gerade besonders gute Geschäfte gemacht hatte, hätte der Kapitän darauf geachtet, dass an Bord alles sauber war, die Galionsfigur neu gestrichen, die Segel geflickt. Doch dieses Schiff wurde schlampig geführt, von Leuten, die lieber tranken, als die Bohlen zu schrubben. Kein nüchterner Kapitän hätte so etwas geduldet. Diese Leute hier waren nicht stolz auf ihr Schiff, und wenn sie es doch waren, dann liebten sie es nicht. Lange genug hatte er unter Räubern gelebt, um zu erkennen, zu welchem Schlag ein Mensch gehörte. Das hier waren unzweifelhaft Piraten. Er musste sich nicht einmal umwenden und zu der schwarzen Flagge hinaufsehen.

      »Oh bitte, Rin«, murmelte er. »Musste das wirklich sein?«

      Er fühlte immer noch das Lächeln über sich, ein riesiges, gütiges und zudem äußerst amüsiertes Lächeln.

      »Kapitän Suresch will dich sehen«, teilte ihm einer der Matrosen mit. Blitz ließ die Decke liegen, obwohl ihm immer noch kalt war, doch eingewickelt wie eine melgianische Pilgerin wollte er nicht vor dem Herrn des Schiffs erscheinen. Dass er kein Hemd trug, keine Schuhe und auch seine Hosen kaum bis zu seinen Waden reichten, würde einen Piraten nicht stören. Falls der Kapitän beschloss, ihn am Leben zu lassen, würde man ihm andere Kleidung geben; falls nicht, spielte es sowieso keine Rolle, was er anhatte. Das Messer, das er im Gürtel trug, nahmen sie ihm nicht ab. Besser für sie, dass sie es nicht versuchten.

      Der Anführer der Piraten war ein großer, kräftiger Kerl mit einem Bart, der in seinem Gesicht wucherte wie Unkraut. Er musterte Blitz aus dunklen, halb zusammengekniffenen Augen.

      »Schiffbrüchig, eh?«, fragte er. »Und wie, bitteschön, kommst du dazu, mitten im Meer zu schwimmen, ohne ein untergegangenes Schiff weit und breit?«

      »Ich hatte ein Boot«, erklärte Blitz.

      »Ein Boot? Haben sie dich ausgesetzt? Was hast du ausgefressen? Sag es mir lieber gleich, ich finde es doch heraus.« Suresch ließ seinen Blick über Blitz’ zahlreiche Narben wandern. »Wie heißt du? Von welchem Schiff bist du?«

      »Er lügt. Weder die Löwenbiss noch die Greifenklaue sind in diesen Gewässern unterwegs«, warf ein anderer Pirat ein, bevor Blitz überhaupt antworten konnte.

      Blitz schenkte dem Sprecher, einem langen, hageren Mann neben dem Kapitän, ein abfälliges Lächeln und legte die Hand ganz ruhig an den Griff seines Messers. »Du nennst mich einen Lügner? Was bist du hier, der Maat? Wenn ich mich einen Lügner schimpfen lasse, dann allerhöchstens vom Kapitän dieses Schiffes.« Wenn man solchen Leuten nicht von vornherein zeigte, dass man keine Angst hatte, war man verloren.

      »Warte, du …«

      Kapitän Suresch hob die Hand, und der Maat ließ die Fäuste wieder sinken und trat einen Schritt zurück.

      »Ich habe nie behauptet, ich wäre von der Löwenbiss oder der Greifenklaue«, sagte Blitz und wunderte sich darüber, wie die Piratenschiffe heutzutage hießen.

      »Von welchem Schiff bist du dann?«, verlangte der Kapitän zu wissen.

      »Ich bin …«

      »Er lügt«, rief der Maat, bevor Blitz zu Ende reden konnte. »Er denkt sich gerade eine Geschichte aus!«

      »Mein Name ist Jakebeny.« Seinen eigenen Namen durfte er nicht nennen, nicht, wenn die Gefahr bestand, dass Zukata davon erfuhr, dass er noch am Leben war. Den Namen seines Vaters zu tragen, erfüllte ihn mit einem erhabenen Gefühl des Stolzes. Auch dies war wie ein Schlag in Zukatas Richtung. Sieh her, ich habe schon einen Vater, nach dem ich mich nenne. Nicht du. Niemals du. »Ich bin von der – äh, Riesenfaust

      »Nie gehört«, knurrte der Maat, doch diesmal scheuchte ihn Suresch mit wenig sanften Worten ganz fort, und trat so nah an Blitz heran, dass dieser seinen stinkenden Atem riechen konnte.

      »Ich erkenne Zukatas Auserwählte, wenn ich einen vor mir habe, Jakebeny«, sagte er. »So wie jeder hier. Denkst du, ich wüsste nicht, was ich einem Kaisergänger schuldig bin?«

      Blitz sagte nichts dazu. Aber die Narbe an seinem Arm schien aufzubrennen, dieses Zeichen, das ihn für immer mit Zukata verband: das eingebrannte Z und darüber die Krone. Zukata, der Kaiser. Damals hatte der Riesenprinz noch davon geträumt, eines Tages in Kirifas auf dem Thron zu sitzen, und dieses Zeichen, das er allen seinen Gefolgsleuten eingebrannt hatte, war wenig mehr als die Verheißung von Macht und Einfluss und unermesslichem Reichtum gewesen. Schlimmer noch – für jeden, der Zukatas Zeichen, das Mal eines Verbrechers, an sich trug und von Soldaten aufgegriffen wurde, bedeutete es das Todesurteil. Doch nun war Zukata selbst der Herrscher des gesamten Kaiserreichs und das Brandmal verlieh allen seinen Gefolgsleuten die Macht, im Namen des Kaisers Befehle zu erteilen.

      Blitz konnte die Narbe nicht ausstehen, doch er hatte nicht die Absicht, den Irrtum des Kapitäns aufzuklären. »Ich kann nicht erklären, wie ich hierher geraten bin«, behauptete er. »Aber ich verlange, bis zum nächsten Hafen mitzufahren.«

      »Die Krone ist kaum noch zu erkennen«, bemerkte Suresch. »Du warst ein Mitglied von Zukatas alter Bande, richtig? Du warst von Anfang an dabei?«

      »Das stimmt.«

      »Und du hast kein Königtum bekommen wie die anderen? Keinen Thron und kein Gut?« Wieder glomm das Misstrauen in den geröteten Augen auf.

      »Die letzten Jahre habe ich in einem Schloss gewohnt«, bekannte Blitz freimütig, natürlich ohne zu erwähnen, dass er dort in einem winzigen Zimmer hinter einer schweren Tür gelebt hatte, die sich niemals öffnete. »Aber ich habe das Meer vermisst und Schiffsplanken unter meinen Füßen. Sehe ich aus wie jemand, der von goldenen Tellern speist? – Wo ich gerade dabei bin, gibt es vielleicht etwas Essbares an Bord?«

      Der Kapitän lächelte breit. »Das gibt es.« Er schlug Blitz auf die Schulter und rief einen Matrosen, der ihn hinunter zur Kombüse führen sollte. Vielleicht fragte Suresch sich, ob der Gerettete ein Kaisergänger war, der in Ungnade gefallen war. Aber solange das nicht erwiesen war, blieb ihm nichts anderes übrig, als jeden seiner Wünsche zu erfüllen.

      Wer so ausgehungert war wie Blitz, hatte nur einen Wunsch.

      Er war auf der Adlerschwinge gelandet, einem Schiff, das die westlichen Gestade abfuhr, um


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