Der Thron des Riesenkaisers. Lena Klassen

Der Thron des Riesenkaisers - Lena Klassen


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könnte einen Auftrag haben, der sie dazu zwang, seinetwegen einen Umweg zu machen. Die Piraten mussten in den Norden, bevor die Zeit der Stürme begann, hatte er dem Geretteten erklärt und ihn dabei angefunkelt, als könnte ein einziger Blick genügen, um einen Kaisergänger dazu zu bringen, klein beizugeben. Blitz musste sich so schnell wie möglich etwas Glaubwürdiges einfallen lassen. Er wollte den Gehorsam des Freibeuters gegenüber Zukata nicht auf die Probe stellen und noch einmal die Frage aufwerfen, warum er nicht in seidenen Gewändern auf einem Königs- oder Fürstenthron saß, sondern in abgerissenen Lumpen im Meer getrieben war. Deshalb dachte er sich schnell etwas aus, das mit Sureschs Plänen beeindruckend gut zusammenpasste.

      »Ihr könnt mich auf der Insel der Amazonen absetzen.«

      »Für den Kaisergänger fahre ich ans Ende der Welt«, meinte Suresch großspurig und beäugte seinen Gast eindringlich.

      »Im Ernst«, meinte Blitz und schaute über seine Schulter, als befürchtete er, sie könnten belauscht werden. »Die Insel ist mein Ziel. Ich habe dort – etwas zu tun.«

      »Du, ein Mann, auf der Insel der Amazonen?«

      Auf jeden Fall klang es geheimnisvoll genug. Nicht einmal der Kapitän eines Piratenschiffs würde darauf bestehen, alles über den Auftrag eines Kaisergängers zu erfahren. Suresch nickte und ließ ihn zufrieden. Und Blitz atmete auf. Die Amazonen kannten ihn; wenn er irgendwo Hilfe bekommen konnte, dann dort.

      In der Zwischenzeit machte er sich an Bord der Adlerschwinge nützlich. Die Piraten hatten schon am ersten Tag den Seemann in ihm erkannt und hielten ihn für einen Freibeuter wie sie – welcher ehrliche Matrose hätte jemals Zukatas Zeichen getragen? Befriedigt nahmen sie zur Kenntnis, dass er sich nicht wie ein großer Herr aufführte, der in seiner Kajüte saß und sich bedienen ließ. All das hätte ihm zugestanden, aber seine Hände sehnten sich nach dem glatt polierten Holz der Planken, nach Tauen und Segeltuch unter seinen Händen. Der Wind brachte den Geruch von Salz und Tang mit. Über ihnen kreiste ein Möwenschwarm und wartete darauf, an ihrer Beute teilzuhaben. Der Ruf der Vögel war Musik in seinen Ohren. Das Rauschen der Wellen, das Knarren des Holzes, das Knattern und Schlagen der Segel – all das gehörte so sehr zu seinem Leben, dass Blitz sogar hier, inmitten von Verbrechern, das Glück fand. Er ließ sich sein Erschrecken nicht anmerken, wenn sie mit ihren Raubzügen prahlten, mit den Grausamkeiten, die sie begangen, und den Reichtümern, die sie errungen hatten. Ein wenig war es wie damals, als er unter die Räuber gefallen war und mit Männern aß, die eben von einem Mord nach Hause gekommen waren. Er hörte zu und seine Augen schienen ein wenig dunkler zu werden, und er lachte nicht mit, wenn sie grölten, aber er zuckte nicht zurück. Niemals wurde das Entsetzen in seinem Gesicht sichtbar. Manchmal lächelte er, als würde er träumen, aber sie sollten nicht erfahren, was er dachte.

      »He, und du, Beny?« Einer schlug ihm auf die Schultern. »Erzähl! Was hast du gemacht, zusammen mit Zukata?«

      »Du könntest uns Geschichten erzählen, wie?«

      In ihren Gesichtern lag die Erwartung, etwas von seinen Abenteuern zu hören zu bekommen, so dass sie damit prahlen konnten. Einer von Zukatas Männern, ja, und er war auf unserem Schiff. Mit uns hat er zusammengesessen und geredet und man hat nicht gemerkt, dass er sich für was Besseres hält. Unser Kumpel ist er geworden, vielleicht wird er sogar Zukata von uns berichten …

      »Wir haben viel miteinander erlebt«, sagte Blitz vorsichtig, und ihnen musste es so scheinen, als wüsste er nicht, wie viel er verraten durfte. Von einem Zukata, den man nahe bei sich hatte, einem Zukata zum Anfassen, noch nicht der ferne Kaiser auf dem hohen Thron. »Einmal haben mich die Soldaten erwischt und man wollte mich schon hängen. Und da, Zukata, mit bloßen Händen hat er eine Schneise durch die Wachen geschlagen, mitten im Hof der Fürstenburg, vor allen Leuten!«

      Jede Geschichte, die er preisgab, kehrte zu ihm zurück. Oder vielleicht kehrte er zu der Geschichte zurück, zu jenem Ereignis, zu einer Zeit, in der er so unglaublich jung gewesen war und es kaum vermocht hatte, sich gegen einen Mann zu wehren, der sein Herr und sein Vater sein wollte. Die Münder der Piraten standen offen, während er ihnen den gewaltigen Riesen vor Augen malte, einen Zukata, der wie ein Sturm durch die Wälder fegte und alles mitriss, was sich ihm in den Weg stellte.

      Blitz lächelte. Und vielleicht spürten sie da, dass er keiner von ihnen war, dass er jemandem gehörte, den sie nie gesehen hatten, und dass er, auch wenn er in ihrer Mitte arbeitete, immer jemand sein würde, dem Zukata seine Zuneigung und sein Vertrauen und sein Zeichen geschenkt hatte und vielleicht auch noch ein Fürstentum oder ein Schloss. Wenn er von dem Herrn des Kaiserreichs sprach, mit einer Mischung aus Ehrfurcht und Bewunderung und Schrecken – er brauchte sich nicht zu verstellen, denn all dies war in ihm –, fühlten sie sich seltsam berührt und nickten. Nur eine Andeutung, dass er Zukata hintergangen hatte, bloß ein kleiner Hinweis darauf, dass dieser nur zufrieden sein würde, wenn Blitz irgendwann tot zu seinen Füßen lag, und sie hätten ihn in Stücke gerissen.

      Je weiter sie nach Norden kamen, um so unmöglicher schien ihr Vorhaben, Sandart zu erreichen. Der Wind pustete ihnen nicht mehr bloß Salzgeruch ins Gesicht, sondern peitschte die Wellen so hoch auf, dass das Deck ständig überspült wurde. Die Wolken schienen mit dem Meer zu verschmelzen, so tief hatten sie sich über die weite See geduckt, und die Adlerschwinge kämpfte sich durch einen grauschwarzen Hexenkessel aus peitschendem, spritzendem, allgegenwärtigem Wasser.

      »Ich kann die Insel nicht anlaufen!«, brüllte Kapitän Suresch durch das Tosen und Brüllen des Sturms hindurch. »Wir würden an den Klippen zerschellen!«

      »Was tun wir dann?«, schrie Blitz zurück.

      Die Antwort des Kapitäns konnte er nicht mehr hören. Eine Woge schleuderte ihn gegen den Mast. Krampfhaft hielt Blitz sich fest, während der Bug des Schiffes sich in den nächsten Wellenberg bohrte.

      »Noch nicht, Rin!«, rief er in das Heulen des Orkans hinein. »Noch nicht!« Der Wind riss ihm die Stimme vom Mund und trug sie hinaus in das wirbelnde Schwarz.

       2. Der Silberne Krug und eine Kette aus Eisen

      D E RJ U N G EM A N Nauf der Lichtung schien so fest zu schlafen, als gäbe es nichts Böses auf der Welt. Sein Pferd, ein langbeiniger Brauner mit schwarzer Mähne, rupfte gemächlich die hohen Halme ab, so weit der Strick an seinem Halfter es zuließ. Als das Mädchen zwischen den Bäumen hervortrat, stutzte der Hengst nur kurz und ließ sich nicht weiter beim Grasen stören.

      Der Schläfer lag auf dem Rücken, den Kopf auf einen aus grobem Stoff genähten Reisesack gebettet. Sein blondes Haar klebte ihm verschwitzt an der Stirn. Manina lächelte unwillkürlich. Die Spätsommersonne schien ihm voll ins Gesicht; wenn er nicht bald aufwachte, würde er sich einen schlimmen Sonnenbrand holen. Wahrscheinlich schlief er hier schon länger, als er beabsichtigt hatte. Das hieß, dass er sehr müde gewesen war, als er hier angekommen war, und es nicht einmal mehr bis ins Dorf geschafft hatte, wo es im Silbernen Krug alles gegeben hätte, was Reisende benötigten, um sich zu erfrischen und gut zu erholen. Sie betrachtete ihn und überlegte, von wo er wohl kommen mochte, aus welchem der vierundzwanzig Königreiche Deret-Aifs.

      Der Fremde öffnete die Augen und blickte sie verträumt an. Er gähnte, wischte sich die Haare aus der Stirn und setzte sich auf.

      »Was für ein wunderschöner Traum«, sagte er. »Oder bist du wirklich?«

      Die junge Prinzessin lachte. »Ganz wirklich«, versicherte sie. Seine Stimme war ebenso angenehm wie sein Äußeres. Und ja, auch sie hatte das Gefühl, dass diese Begegnung nicht wirklich stattfand. Nie hätte sie sich träumen lassen, dass hier, auf dem Weg ins Gasthaus, in dem sie arbeitete, etwas passierte, das ihr Leben von Grund auf änderte. Sie musste nur das staunende Lächeln in seinem attraktiven Gesicht erwidern, in seine ernsten grauen Augen blicken, um zu wissen, dass nichts mehr so war wie zuvor.

      Solche Dinge passierten sonst immer nur anderen. Wenn Maja davon erzählte, wie sie auf einer Lichtung ihren tot geglaubten Brieffreund getroffen hatte, senkte die ehemalige Kaiserin manchmal traurig den Kopf. Und kam doch ständig darauf zurück. Sie konnte nicht anders, als


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